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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Praktiken des geistlichen Regiments kannte und es verstand, sich mit außer¬
ordentlicher Gewandtheit nickt nur mit dem Vatican und den hohen Würden¬
trägern der Kirche auf guten Fuß zu stellen, sondern auch in den niedern, von
der Diplomatie meist unbeachtet gelassenen und doch nach Oben einen entschei¬
denden Einfluß ausübenden Sphären der geistlichen und Beamtenhierarchie für
das französische Interesse Propaganda zu machen. Welches Aufwandes von
activer Zähigkeit es bedürfte, um von der passiven Zähigkeit Gregors des
Sechzehnten, in dem die starre, unnachgiebige vis inertiacs des Priesterregiments,
das System des non possumuL sich vert'örpe>t hatte, in der Jesuitenfrage die
von der französischen Negierung geforderten Zugeständnisse zu erhalten, ist im
siebenten Bande der Memoiren erzählt worden. Inzwischen hatte die dumpfe
Erregung der Geister, die in Italien herrschte, zu aufständischen Versuchen in der
Romagna geführt, als der Tod Gregors der italienischen Bewegung einen un¬
erwarteten Aufschwung gab.

Mit der Wahl Pius des Neunten begann die ungeheure Bewegung, die
nicht nur die inneren Verhältnisse der einzelnen Staaten umformen, sondern
auch der Karte Europas eine neue Gestalt geben sollte. Wenn man sich den
tiefen Eindruck, den die ersten reformatorischen Maßregeln des neuen Papstes
überall hervorbrachten, ins Gedächtniß zurückruft, wenn man sich die jugendliche
Begeisterung vergegenwärtigt, mit der die römische Bevölkerung ihr Oberhaupt
umdrängte, und ihm hoffnungsvoll ihr "Muth, heiliger Vater, Muth!" zurief,
wenn man der Tage gedenkt, wo die Augen nicht blos des katholischen
Europa mit namenloser Spannung auf die alte Hauptstadt der Welt gerichtet
waren, in der, wie man glaubte, die Saaten einer neuen, schönen und freien
Zukunft gestreut wurden, und wenn man dann diesen Fiühlingsrausch, der uns
fast zum Mythus geworden ist, mit der Gegenwart vergleicht, wenn man von
dem edlen, poetisch verklärten Bilde des päpstlichen Befreiers die Blicke auf den
schwachen Greis wirft, der gegenwärtig mit der ganzen zähen Widerstandskraft der
Hierarchie erfüllt, den hoffnungslosen Kampf für die letzten Überreste des Mrimo-
nium ?etri kämpft gegen eben die Elemente, die in schwärmerischer Verehrung ihn
einst auf den Schild erhoben als Führer in dem Kreuzzuge für die Befreiung
Italiens und aller unterdrückten Völker; -- so wird man vergebens nach einem
vermittelnden Gliede suchen, welches diese schroffen Gegensätze mit einander ver¬
knüpft. Und in der That fehlt die Vermittelung. Ein Abgrund, wie Guizot
treffend es ausdrückt, liegt zwischen den beiden Perioden in der tragischen
Regierungsgeschichte Pius des Neunten.

Es läßt sich nicht bezweifeln, daß Pius der Neunte auf den päpstlichen
Stuhl den ernstlichen Willen mitbrachte, die schlimmen Mißbräuche und Ent¬
artungen des geistlichen Regiments zu mildern und, so weit dies möglich war,
zu beseitigen. Aber schon in den ersten Ansängen seiner Regierung bedürfte


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Praktiken des geistlichen Regiments kannte und es verstand, sich mit außer¬
ordentlicher Gewandtheit nickt nur mit dem Vatican und den hohen Würden¬
trägern der Kirche auf guten Fuß zu stellen, sondern auch in den niedern, von
der Diplomatie meist unbeachtet gelassenen und doch nach Oben einen entschei¬
denden Einfluß ausübenden Sphären der geistlichen und Beamtenhierarchie für
das französische Interesse Propaganda zu machen. Welches Aufwandes von
activer Zähigkeit es bedürfte, um von der passiven Zähigkeit Gregors des
Sechzehnten, in dem die starre, unnachgiebige vis inertiacs des Priesterregiments,
das System des non possumuL sich vert'örpe>t hatte, in der Jesuitenfrage die
von der französischen Negierung geforderten Zugeständnisse zu erhalten, ist im
siebenten Bande der Memoiren erzählt worden. Inzwischen hatte die dumpfe
Erregung der Geister, die in Italien herrschte, zu aufständischen Versuchen in der
Romagna geführt, als der Tod Gregors der italienischen Bewegung einen un¬
erwarteten Aufschwung gab.

Mit der Wahl Pius des Neunten begann die ungeheure Bewegung, die
nicht nur die inneren Verhältnisse der einzelnen Staaten umformen, sondern
auch der Karte Europas eine neue Gestalt geben sollte. Wenn man sich den
tiefen Eindruck, den die ersten reformatorischen Maßregeln des neuen Papstes
überall hervorbrachten, ins Gedächtniß zurückruft, wenn man sich die jugendliche
Begeisterung vergegenwärtigt, mit der die römische Bevölkerung ihr Oberhaupt
umdrängte, und ihm hoffnungsvoll ihr „Muth, heiliger Vater, Muth!" zurief,
wenn man der Tage gedenkt, wo die Augen nicht blos des katholischen
Europa mit namenloser Spannung auf die alte Hauptstadt der Welt gerichtet
waren, in der, wie man glaubte, die Saaten einer neuen, schönen und freien
Zukunft gestreut wurden, und wenn man dann diesen Fiühlingsrausch, der uns
fast zum Mythus geworden ist, mit der Gegenwart vergleicht, wenn man von
dem edlen, poetisch verklärten Bilde des päpstlichen Befreiers die Blicke auf den
schwachen Greis wirft, der gegenwärtig mit der ganzen zähen Widerstandskraft der
Hierarchie erfüllt, den hoffnungslosen Kampf für die letzten Überreste des Mrimo-
nium ?etri kämpft gegen eben die Elemente, die in schwärmerischer Verehrung ihn
einst auf den Schild erhoben als Führer in dem Kreuzzuge für die Befreiung
Italiens und aller unterdrückten Völker; — so wird man vergebens nach einem
vermittelnden Gliede suchen, welches diese schroffen Gegensätze mit einander ver¬
knüpft. Und in der That fehlt die Vermittelung. Ein Abgrund, wie Guizot
treffend es ausdrückt, liegt zwischen den beiden Perioden in der tragischen
Regierungsgeschichte Pius des Neunten.

Es läßt sich nicht bezweifeln, daß Pius der Neunte auf den päpstlichen
Stuhl den ernstlichen Willen mitbrachte, die schlimmen Mißbräuche und Ent¬
artungen des geistlichen Regiments zu mildern und, so weit dies möglich war,
zu beseitigen. Aber schon in den ersten Ansängen seiner Regierung bedürfte


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[0301] Praktiken des geistlichen Regiments kannte und es verstand, sich mit außer¬ ordentlicher Gewandtheit nickt nur mit dem Vatican und den hohen Würden¬ trägern der Kirche auf guten Fuß zu stellen, sondern auch in den niedern, von der Diplomatie meist unbeachtet gelassenen und doch nach Oben einen entschei¬ denden Einfluß ausübenden Sphären der geistlichen und Beamtenhierarchie für das französische Interesse Propaganda zu machen. Welches Aufwandes von activer Zähigkeit es bedürfte, um von der passiven Zähigkeit Gregors des Sechzehnten, in dem die starre, unnachgiebige vis inertiacs des Priesterregiments, das System des non possumuL sich vert'örpe>t hatte, in der Jesuitenfrage die von der französischen Negierung geforderten Zugeständnisse zu erhalten, ist im siebenten Bande der Memoiren erzählt worden. Inzwischen hatte die dumpfe Erregung der Geister, die in Italien herrschte, zu aufständischen Versuchen in der Romagna geführt, als der Tod Gregors der italienischen Bewegung einen un¬ erwarteten Aufschwung gab. Mit der Wahl Pius des Neunten begann die ungeheure Bewegung, die nicht nur die inneren Verhältnisse der einzelnen Staaten umformen, sondern auch der Karte Europas eine neue Gestalt geben sollte. Wenn man sich den tiefen Eindruck, den die ersten reformatorischen Maßregeln des neuen Papstes überall hervorbrachten, ins Gedächtniß zurückruft, wenn man sich die jugendliche Begeisterung vergegenwärtigt, mit der die römische Bevölkerung ihr Oberhaupt umdrängte, und ihm hoffnungsvoll ihr „Muth, heiliger Vater, Muth!" zurief, wenn man der Tage gedenkt, wo die Augen nicht blos des katholischen Europa mit namenloser Spannung auf die alte Hauptstadt der Welt gerichtet waren, in der, wie man glaubte, die Saaten einer neuen, schönen und freien Zukunft gestreut wurden, und wenn man dann diesen Fiühlingsrausch, der uns fast zum Mythus geworden ist, mit der Gegenwart vergleicht, wenn man von dem edlen, poetisch verklärten Bilde des päpstlichen Befreiers die Blicke auf den schwachen Greis wirft, der gegenwärtig mit der ganzen zähen Widerstandskraft der Hierarchie erfüllt, den hoffnungslosen Kampf für die letzten Überreste des Mrimo- nium ?etri kämpft gegen eben die Elemente, die in schwärmerischer Verehrung ihn einst auf den Schild erhoben als Führer in dem Kreuzzuge für die Befreiung Italiens und aller unterdrückten Völker; — so wird man vergebens nach einem vermittelnden Gliede suchen, welches diese schroffen Gegensätze mit einander ver¬ knüpft. Und in der That fehlt die Vermittelung. Ein Abgrund, wie Guizot treffend es ausdrückt, liegt zwischen den beiden Perioden in der tragischen Regierungsgeschichte Pius des Neunten. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß Pius der Neunte auf den päpstlichen Stuhl den ernstlichen Willen mitbrachte, die schlimmen Mißbräuche und Ent¬ artungen des geistlichen Regiments zu mildern und, so weit dies möglich war, zu beseitigen. Aber schon in den ersten Ansängen seiner Regierung bedürfte 37'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/301>, abgerufen am 15.01.2025.