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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Von Altgläubigen ausgegangen waren und ebenso eine kirchliche wie eine poli-
tisch-reactionäre Tendenz gehabt hatten.

Wir haben oben bereits erwähnt, daß die polnische Emigration
von jeher ihr Augenmerk auf die im Auslande lebenden politischen
Flüchtlinge aus Rußland gewandt und diese in ihr Interesse zu ziehen gewußt
hat. Kein geringer Theil der Hoffnungen jener Revolutionäre war auf die
wachsende Unzufriedenheit der altgläubigen Secten Zunächst der in Rußland selbst
lebenden) gerichtet gewesen und Kelssiew,*) einer der Freunde Herzens, hatte Jahre
lang ein in kirchlich-rationem Jargon geschriebenes Journal zu dem speciellen
Zweck der Aufhetzung der Altgläubigen gegen die Regierung herausgegeben.
Dem unermüdlichen Agitationseifer polnischer Flüchtlinge war es vorbehalten,
auch die in Oestreich und der Türkei lebenden russischen Sectirer in das Netz
der revolutionären Propaganda zu ziehen und den Versuch zu machen, auch diese
bisher wenig bemerkte und fast unbekannte Gruppe als Waffe gegen Rußland
zu benutzen. Schon vor zwanzig Jahren verlautete etwas von weit aussehenden
polnischen Umtrieben in der Türkei, die nichts weniger beabsichtigten, als die
Verlegung des Schwerpunkts des gesammten Schismas in eines der außerhalb
Rußlands belegenen slawischen Grenzländer und die Begründung einer pansla-
wistischen Propaganda zu Gunsten der Wiederherstellung Polens. Ueber diese
Agitation, die bisher von dem Schleier des Geheimnisses umgeben war, hat
der in Moskau erscheinende russische Bote (Westniy während des letzten Winters
eine Reihe interessanter Enthüllungen veröffentlicht, die einen Einblick in das
wunderbare Treiben der Bewohner des wenig bekannten südöstlichen Winkels
von Europa ermöglichen; längere Zeit hindurch blieb der Autor dieser Publi¬
kationen, der offenbar in alle Mysterien der polnischen Emigration eingeweiht
war, -- unbekannt und erst neuerdings ist es (wie die IiMxeiiäanee beige
in voriger Woche berichtete) gelungen, denselben in einem russischen Flüchtling
zu entdecken, der in seine Heimath zurückgekehrt, vom Revolutionär zum Anhänger
des russischen Panslawismus geworden ist und die Verzeihung der Regierung
erbeten hat.

Die Aufmerksamkeit der polnischen Patrioten richtete sich schon in der ersten
Hälfte der dreißiger Jahre auf die an den Grenzen Oestreichs und der Türkei
angesiedelten russischen Sectirer, da diese, seit sie Unterthanen fremder Herrscher
geworden, aller Pflichten gegen ihre ehemaligen Bedrängc-r ledig zu sein glaubten
und aus ihrer Hoffnung auf Umsturz der in Rußland bestehenden Ordnung und
auf dereinstige Anerkennung und Herrschaft ihrer Religionsgemeinschaft kein Hehl



") Dieser Kelssiew hat sich durch die Herausgabe einer außerordentlich umfangreichen
Sammlung von Documenten zur Geschichte der Secten ein entschiedenes Verdienst um die
russische Geschichte erworben.
Grenzboten III. 1867. 35

Von Altgläubigen ausgegangen waren und ebenso eine kirchliche wie eine poli-
tisch-reactionäre Tendenz gehabt hatten.

Wir haben oben bereits erwähnt, daß die polnische Emigration
von jeher ihr Augenmerk auf die im Auslande lebenden politischen
Flüchtlinge aus Rußland gewandt und diese in ihr Interesse zu ziehen gewußt
hat. Kein geringer Theil der Hoffnungen jener Revolutionäre war auf die
wachsende Unzufriedenheit der altgläubigen Secten Zunächst der in Rußland selbst
lebenden) gerichtet gewesen und Kelssiew,*) einer der Freunde Herzens, hatte Jahre
lang ein in kirchlich-rationem Jargon geschriebenes Journal zu dem speciellen
Zweck der Aufhetzung der Altgläubigen gegen die Regierung herausgegeben.
Dem unermüdlichen Agitationseifer polnischer Flüchtlinge war es vorbehalten,
auch die in Oestreich und der Türkei lebenden russischen Sectirer in das Netz
der revolutionären Propaganda zu ziehen und den Versuch zu machen, auch diese
bisher wenig bemerkte und fast unbekannte Gruppe als Waffe gegen Rußland
zu benutzen. Schon vor zwanzig Jahren verlautete etwas von weit aussehenden
polnischen Umtrieben in der Türkei, die nichts weniger beabsichtigten, als die
Verlegung des Schwerpunkts des gesammten Schismas in eines der außerhalb
Rußlands belegenen slawischen Grenzländer und die Begründung einer pansla-
wistischen Propaganda zu Gunsten der Wiederherstellung Polens. Ueber diese
Agitation, die bisher von dem Schleier des Geheimnisses umgeben war, hat
der in Moskau erscheinende russische Bote (Westniy während des letzten Winters
eine Reihe interessanter Enthüllungen veröffentlicht, die einen Einblick in das
wunderbare Treiben der Bewohner des wenig bekannten südöstlichen Winkels
von Europa ermöglichen; längere Zeit hindurch blieb der Autor dieser Publi¬
kationen, der offenbar in alle Mysterien der polnischen Emigration eingeweiht
war, — unbekannt und erst neuerdings ist es (wie die IiMxeiiäanee beige
in voriger Woche berichtete) gelungen, denselben in einem russischen Flüchtling
zu entdecken, der in seine Heimath zurückgekehrt, vom Revolutionär zum Anhänger
des russischen Panslawismus geworden ist und die Verzeihung der Regierung
erbeten hat.

Die Aufmerksamkeit der polnischen Patrioten richtete sich schon in der ersten
Hälfte der dreißiger Jahre auf die an den Grenzen Oestreichs und der Türkei
angesiedelten russischen Sectirer, da diese, seit sie Unterthanen fremder Herrscher
geworden, aller Pflichten gegen ihre ehemaligen Bedrängc-r ledig zu sein glaubten
und aus ihrer Hoffnung auf Umsturz der in Rußland bestehenden Ordnung und
auf dereinstige Anerkennung und Herrschaft ihrer Religionsgemeinschaft kein Hehl



") Dieser Kelssiew hat sich durch die Herausgabe einer außerordentlich umfangreichen
Sammlung von Documenten zur Geschichte der Secten ein entschiedenes Verdienst um die
russische Geschichte erworben.
Grenzboten III. 1867. 35
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[0283] Von Altgläubigen ausgegangen waren und ebenso eine kirchliche wie eine poli- tisch-reactionäre Tendenz gehabt hatten. Wir haben oben bereits erwähnt, daß die polnische Emigration von jeher ihr Augenmerk auf die im Auslande lebenden politischen Flüchtlinge aus Rußland gewandt und diese in ihr Interesse zu ziehen gewußt hat. Kein geringer Theil der Hoffnungen jener Revolutionäre war auf die wachsende Unzufriedenheit der altgläubigen Secten Zunächst der in Rußland selbst lebenden) gerichtet gewesen und Kelssiew,*) einer der Freunde Herzens, hatte Jahre lang ein in kirchlich-rationem Jargon geschriebenes Journal zu dem speciellen Zweck der Aufhetzung der Altgläubigen gegen die Regierung herausgegeben. Dem unermüdlichen Agitationseifer polnischer Flüchtlinge war es vorbehalten, auch die in Oestreich und der Türkei lebenden russischen Sectirer in das Netz der revolutionären Propaganda zu ziehen und den Versuch zu machen, auch diese bisher wenig bemerkte und fast unbekannte Gruppe als Waffe gegen Rußland zu benutzen. Schon vor zwanzig Jahren verlautete etwas von weit aussehenden polnischen Umtrieben in der Türkei, die nichts weniger beabsichtigten, als die Verlegung des Schwerpunkts des gesammten Schismas in eines der außerhalb Rußlands belegenen slawischen Grenzländer und die Begründung einer pansla- wistischen Propaganda zu Gunsten der Wiederherstellung Polens. Ueber diese Agitation, die bisher von dem Schleier des Geheimnisses umgeben war, hat der in Moskau erscheinende russische Bote (Westniy während des letzten Winters eine Reihe interessanter Enthüllungen veröffentlicht, die einen Einblick in das wunderbare Treiben der Bewohner des wenig bekannten südöstlichen Winkels von Europa ermöglichen; längere Zeit hindurch blieb der Autor dieser Publi¬ kationen, der offenbar in alle Mysterien der polnischen Emigration eingeweiht war, — unbekannt und erst neuerdings ist es (wie die IiMxeiiäanee beige in voriger Woche berichtete) gelungen, denselben in einem russischen Flüchtling zu entdecken, der in seine Heimath zurückgekehrt, vom Revolutionär zum Anhänger des russischen Panslawismus geworden ist und die Verzeihung der Regierung erbeten hat. Die Aufmerksamkeit der polnischen Patrioten richtete sich schon in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre auf die an den Grenzen Oestreichs und der Türkei angesiedelten russischen Sectirer, da diese, seit sie Unterthanen fremder Herrscher geworden, aller Pflichten gegen ihre ehemaligen Bedrängc-r ledig zu sein glaubten und aus ihrer Hoffnung auf Umsturz der in Rußland bestehenden Ordnung und auf dereinstige Anerkennung und Herrschaft ihrer Religionsgemeinschaft kein Hehl ") Dieser Kelssiew hat sich durch die Herausgabe einer außerordentlich umfangreichen Sammlung von Documenten zur Geschichte der Secten ein entschiedenes Verdienst um die russische Geschichte erworben. Grenzboten III. 1867. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/283>, abgerufen am 15.01.2025.