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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Machten. Um sich über die Zustände dieser Grenzbewohner genauer zu unterrichten,
sandte Adam Czartorisky, das damals anerkannte Haupt der in Frankreich
lebenden Polen, im Jahre 1831 einen Agenten Michael Czaykowski in die
Dobrudscha; derselbe war speciell beauftragt, mit den in dieser lebenden Nekrassow¬
kosaken, -- den Abkömmlingen der unter Führung des Hetmans Nekrassow
nach Beendigung des bulawinschen Aufstandes ausgewanderten Rebellen --
Beziehungen anzuknüpfen. Czaykowski versuchte diese Kosaken mit der Aussicht
aus eine allgemeine von Polen geleitete Erhebung aller türkischen Slawen gegen
den Sultan zu ködern, wollte durch ihre Vermittelung mit den (gleichfalls alt¬
gläubigen) dorischen und uralischen Kosaken Unterhandlungen anknüpfen und
schwärmte mit echt slawischer Excentricität für die Herstellung einer panslawisti-
schen Republik unter polnischer Aegide. Er trat zum Islam über, nahm türkische
Kriegsdienste, hieß fortan Achmed-Bey und war in seiner Eigenschaft als höherer
Offizier häusig im Stande, den Nekrassowkosaken Gefälligkeiten und Dienste zu
erweisen; es gelang ihm wirklich, einen geheimen Bund zur Wiederherstellung
der kosakischen Freiheit und des "alten Glaubens" zu stiften und einen ent¬
scheidenden Einfluß auf alle russischen Grenzbewohner zu erlangen. Bei dem
Mangel geordneter Verhältnisse in den türkischen und östreichischen Grenzprovinzen
und dem niedrigen Culturzustande der Bewohner dieser Länder wurde der unter¬
nehmende Pole eine allgemein bekannte Persönlichkeit, ohne daß die resp. Regie¬
rungen auch nur eine Ahnung von den Plänen hatten, mit welchen derselbe sich trug.

Die Chimäre einer altgläubigen Kosakenrepublik, welche immer nur als
letztes Ziel im Hintergrunde der Pläne Czaykowskis gestanden hatte, machte
während der ersten Hälfte der vierziger Jahre Unternehmungen praktischerer Art
Platz. Schon seit Jahren trugen die den hierarchischen Secten angehörigen
Sectirer sich mit dem Wunsch nach Herstellung einer festgeordneten und einheit¬
lich gegliederten Geistlichkeit, an deren Spitze ein Patriarch stehen sollte, um in
gleicher Weise über die Gläubigen in aller Herren Länder zu gebieten. Mit
der Erfüllung dieses Wunsches hatte es aber seine eigenthümlichen Schwierig¬
keiten; nach Anschauung der orientalischen Christen kann nur ein Geweihter und
zwar nur ein Bischof die Priesterweihe durch Handauflegung ertheilen, da die
Gabe dieser magischen Weihe sich direct von den Aposteln auf ihre Nachfolger,
die Bischöfe übertragen hat. Weil sich nur einzelne höhere Geistliche bei der
im 17. Jahrhundert geschehenen russischen Kirchenspaltung den Sectirern an¬
geschlossen hatten und diese sämmlich umgekommen waren, ehe es ihnen mög¬
lich gewesen, in gehöriger Anzahl Nachfolger zu weihen, litten die hierarchischen
Secten von jeher an Geistlichen Mangel. Da auch die in der griechisch-orthodoxen
Kirche ertheilte Priesterweihe ihrer Anschauung nach eine giltige ist, sobald sie
von einem Bischof ertheilt worden, waren die Sectirer darauf angewiesen, einzelne
Popen zu sich herüber zu ziehen; selbstverständlich gelang ihnen das nur mit


Machten. Um sich über die Zustände dieser Grenzbewohner genauer zu unterrichten,
sandte Adam Czartorisky, das damals anerkannte Haupt der in Frankreich
lebenden Polen, im Jahre 1831 einen Agenten Michael Czaykowski in die
Dobrudscha; derselbe war speciell beauftragt, mit den in dieser lebenden Nekrassow¬
kosaken, — den Abkömmlingen der unter Führung des Hetmans Nekrassow
nach Beendigung des bulawinschen Aufstandes ausgewanderten Rebellen —
Beziehungen anzuknüpfen. Czaykowski versuchte diese Kosaken mit der Aussicht
aus eine allgemeine von Polen geleitete Erhebung aller türkischen Slawen gegen
den Sultan zu ködern, wollte durch ihre Vermittelung mit den (gleichfalls alt¬
gläubigen) dorischen und uralischen Kosaken Unterhandlungen anknüpfen und
schwärmte mit echt slawischer Excentricität für die Herstellung einer panslawisti-
schen Republik unter polnischer Aegide. Er trat zum Islam über, nahm türkische
Kriegsdienste, hieß fortan Achmed-Bey und war in seiner Eigenschaft als höherer
Offizier häusig im Stande, den Nekrassowkosaken Gefälligkeiten und Dienste zu
erweisen; es gelang ihm wirklich, einen geheimen Bund zur Wiederherstellung
der kosakischen Freiheit und des „alten Glaubens" zu stiften und einen ent¬
scheidenden Einfluß auf alle russischen Grenzbewohner zu erlangen. Bei dem
Mangel geordneter Verhältnisse in den türkischen und östreichischen Grenzprovinzen
und dem niedrigen Culturzustande der Bewohner dieser Länder wurde der unter¬
nehmende Pole eine allgemein bekannte Persönlichkeit, ohne daß die resp. Regie¬
rungen auch nur eine Ahnung von den Plänen hatten, mit welchen derselbe sich trug.

Die Chimäre einer altgläubigen Kosakenrepublik, welche immer nur als
letztes Ziel im Hintergrunde der Pläne Czaykowskis gestanden hatte, machte
während der ersten Hälfte der vierziger Jahre Unternehmungen praktischerer Art
Platz. Schon seit Jahren trugen die den hierarchischen Secten angehörigen
Sectirer sich mit dem Wunsch nach Herstellung einer festgeordneten und einheit¬
lich gegliederten Geistlichkeit, an deren Spitze ein Patriarch stehen sollte, um in
gleicher Weise über die Gläubigen in aller Herren Länder zu gebieten. Mit
der Erfüllung dieses Wunsches hatte es aber seine eigenthümlichen Schwierig¬
keiten; nach Anschauung der orientalischen Christen kann nur ein Geweihter und
zwar nur ein Bischof die Priesterweihe durch Handauflegung ertheilen, da die
Gabe dieser magischen Weihe sich direct von den Aposteln auf ihre Nachfolger,
die Bischöfe übertragen hat. Weil sich nur einzelne höhere Geistliche bei der
im 17. Jahrhundert geschehenen russischen Kirchenspaltung den Sectirern an¬
geschlossen hatten und diese sämmlich umgekommen waren, ehe es ihnen mög¬
lich gewesen, in gehöriger Anzahl Nachfolger zu weihen, litten die hierarchischen
Secten von jeher an Geistlichen Mangel. Da auch die in der griechisch-orthodoxen
Kirche ertheilte Priesterweihe ihrer Anschauung nach eine giltige ist, sobald sie
von einem Bischof ertheilt worden, waren die Sectirer darauf angewiesen, einzelne
Popen zu sich herüber zu ziehen; selbstverständlich gelang ihnen das nur mit


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[0284] Machten. Um sich über die Zustände dieser Grenzbewohner genauer zu unterrichten, sandte Adam Czartorisky, das damals anerkannte Haupt der in Frankreich lebenden Polen, im Jahre 1831 einen Agenten Michael Czaykowski in die Dobrudscha; derselbe war speciell beauftragt, mit den in dieser lebenden Nekrassow¬ kosaken, — den Abkömmlingen der unter Führung des Hetmans Nekrassow nach Beendigung des bulawinschen Aufstandes ausgewanderten Rebellen — Beziehungen anzuknüpfen. Czaykowski versuchte diese Kosaken mit der Aussicht aus eine allgemeine von Polen geleitete Erhebung aller türkischen Slawen gegen den Sultan zu ködern, wollte durch ihre Vermittelung mit den (gleichfalls alt¬ gläubigen) dorischen und uralischen Kosaken Unterhandlungen anknüpfen und schwärmte mit echt slawischer Excentricität für die Herstellung einer panslawisti- schen Republik unter polnischer Aegide. Er trat zum Islam über, nahm türkische Kriegsdienste, hieß fortan Achmed-Bey und war in seiner Eigenschaft als höherer Offizier häusig im Stande, den Nekrassowkosaken Gefälligkeiten und Dienste zu erweisen; es gelang ihm wirklich, einen geheimen Bund zur Wiederherstellung der kosakischen Freiheit und des „alten Glaubens" zu stiften und einen ent¬ scheidenden Einfluß auf alle russischen Grenzbewohner zu erlangen. Bei dem Mangel geordneter Verhältnisse in den türkischen und östreichischen Grenzprovinzen und dem niedrigen Culturzustande der Bewohner dieser Länder wurde der unter¬ nehmende Pole eine allgemein bekannte Persönlichkeit, ohne daß die resp. Regie¬ rungen auch nur eine Ahnung von den Plänen hatten, mit welchen derselbe sich trug. Die Chimäre einer altgläubigen Kosakenrepublik, welche immer nur als letztes Ziel im Hintergrunde der Pläne Czaykowskis gestanden hatte, machte während der ersten Hälfte der vierziger Jahre Unternehmungen praktischerer Art Platz. Schon seit Jahren trugen die den hierarchischen Secten angehörigen Sectirer sich mit dem Wunsch nach Herstellung einer festgeordneten und einheit¬ lich gegliederten Geistlichkeit, an deren Spitze ein Patriarch stehen sollte, um in gleicher Weise über die Gläubigen in aller Herren Länder zu gebieten. Mit der Erfüllung dieses Wunsches hatte es aber seine eigenthümlichen Schwierig¬ keiten; nach Anschauung der orientalischen Christen kann nur ein Geweihter und zwar nur ein Bischof die Priesterweihe durch Handauflegung ertheilen, da die Gabe dieser magischen Weihe sich direct von den Aposteln auf ihre Nachfolger, die Bischöfe übertragen hat. Weil sich nur einzelne höhere Geistliche bei der im 17. Jahrhundert geschehenen russischen Kirchenspaltung den Sectirern an¬ geschlossen hatten und diese sämmlich umgekommen waren, ehe es ihnen mög¬ lich gewesen, in gehöriger Anzahl Nachfolger zu weihen, litten die hierarchischen Secten von jeher an Geistlichen Mangel. Da auch die in der griechisch-orthodoxen Kirche ertheilte Priesterweihe ihrer Anschauung nach eine giltige ist, sobald sie von einem Bischof ertheilt worden, waren die Sectirer darauf angewiesen, einzelne Popen zu sich herüber zu ziehen; selbstverständlich gelang ihnen das nur mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/284>, abgerufen am 15.01.2025.