Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Seit dem 6. Juli ist die Debatte über diesen Entwurf eröffnet, deren Aus¬ Die Gegner dieser Politik hatten leicht argumcntiren: der Staat hatte ein Nicht durch die Politik unbegrenzter Nachgiebigkeit, führten die Redner Seit dem 6. Juli ist die Debatte über diesen Entwurf eröffnet, deren Aus¬ Die Gegner dieser Politik hatten leicht argumcntiren: der Staat hatte ein Nicht durch die Politik unbegrenzter Nachgiebigkeit, führten die Redner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191502"/> <p xml:id="ID_801"> Seit dem 6. Juli ist die Debatte über diesen Entwurf eröffnet, deren Aus¬<lb/> gang im voraus gewiß war. Zwischen die allgemeine und die Specialdebatte<lb/> wurde noch eine von Glüh. Ferrari, dem radicalen. excentrischen Philosophen ge-<lb/> stellte Jnterpellation über die Sendung Tonellos und die Vischofsernennungen<lb/> unter Ricasoli eingeschoben. Dadurch erhielt die ganze Verhandlung noch mehr<lb/> den Charakter eines Processes gegen die Politik des vorigen Ministeriums. Es<lb/> folgten sich Anklage, Vertheidigung und Verdict. Das Vcrdict fiel gegen Nicasoli<lb/> und gegen die mit Cavour eingeleitete kirchliche Politik des Königreichs aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_802"> Die Gegner dieser Politik hatten leicht argumcntiren: der Staat hatte ein<lb/> Zugeständniß um das andere gemacht und stand jetzt so weit von Rom entfernt<lb/> als je. Dies was das Thema. Das mehr oder minder geschmackvolle Orna'<lb/> neue der Reden bildeten dann Excurse über alte und neue Geschichte, über<lb/> Papstthum und Inquisition, über Campanella, Galilei und den Jesuitenorden.<lb/> Mancini, der neapolitanische Jurist, brauchte nicht weniger als sieben Stunden,<lb/> bis er alle seine Gelehrsamkeit an den Mann gebracht hatte. Seine und Giuseppe<lb/> Ferraris Reden waren glänzend, aber voll Schwulst und parteiischer Uebertreibung.<lb/> Es fehlte nicht an den leidenschaftlichen Scenen, von welchen Debatten von all¬<lb/> gemeinem Interesse, zumal wenn Persönliches mit ins Spiel kommt, in Italien<lb/> unzertrennlich sind. Mehr denn einmal entglitten dem Präsidenten Mari die<lb/> Zügel der Veisammlung. Ein dunkler Ehrenmann von der Linken warf sich in<lb/> die Brust und beantragte, Ricasoli und seine Erliegen in Anklagestand zu ver¬<lb/> setzen. Seltsam war, daß die Kammer erst gegen das todte Ministerium so<lb/> muthig auftrat, während doch Nicasoli stets mit offenen Karten gespielt hatte<lb/> und die Instructionen Toncllos kein Geheimniß geblieben waren, auch die neu-<lb/> ernannten Bischöfe ihre Aemter längst ohne den mindesten Anstand angetreten<lb/> hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_803" next="#ID_804"> Nicht durch die Politik unbegrenzter Nachgiebigkeit, führten die Redner<lb/> dieser Seite aus, wird man Rom näher kommen. Die Missionen Vegezzi und<lb/> Tonello haben nur die Kurie in ihrer Hartnäckigkeit bestärkt. Die Verbindlich¬<lb/> keiten des Septlmberveitrags. der Verzicht auf die königlichen Prärogative, auf<lb/> Eid, Planet und Excquatur, die Rückberufung der vertriebenen Bischöfe, die<lb/> Neubesetzung der erledigten Bisthümer. vollends die Uebernahme eines Theils<lb/> der päpstlichen sehn'd, alle diese Maßregeln sind der Ausfluß einer Politik,<lb/> welche den Staat gegenüber dem Klerus compromitirt, die Rechte und die<lb/> Würde der Nation bloßstellt. Die ganze Kirchenpolitik seit sieben Jahren ist<lb/> eine Kette von Irrthümern, die freie Kirche im freien Staat eine Illusion, eine<lb/> überlebte Phrase. Cavour selbst konnte man von dem Tadel nicht ausschließen,<lb/> neueste Veröffentlichungen hatten bewiesen, daß die Minister, welche Tonellos<lb/> Jnstructionen schrieben, ganz genau an Cavours Ideen und bereits formulirte<lb/> Vorschläge sich hielten. Nur dann, sagte Mancini, hätte dieses Programm einen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0272]
Seit dem 6. Juli ist die Debatte über diesen Entwurf eröffnet, deren Aus¬
gang im voraus gewiß war. Zwischen die allgemeine und die Specialdebatte
wurde noch eine von Glüh. Ferrari, dem radicalen. excentrischen Philosophen ge-
stellte Jnterpellation über die Sendung Tonellos und die Vischofsernennungen
unter Ricasoli eingeschoben. Dadurch erhielt die ganze Verhandlung noch mehr
den Charakter eines Processes gegen die Politik des vorigen Ministeriums. Es
folgten sich Anklage, Vertheidigung und Verdict. Das Vcrdict fiel gegen Nicasoli
und gegen die mit Cavour eingeleitete kirchliche Politik des Königreichs aus.
Die Gegner dieser Politik hatten leicht argumcntiren: der Staat hatte ein
Zugeständniß um das andere gemacht und stand jetzt so weit von Rom entfernt
als je. Dies was das Thema. Das mehr oder minder geschmackvolle Orna'
neue der Reden bildeten dann Excurse über alte und neue Geschichte, über
Papstthum und Inquisition, über Campanella, Galilei und den Jesuitenorden.
Mancini, der neapolitanische Jurist, brauchte nicht weniger als sieben Stunden,
bis er alle seine Gelehrsamkeit an den Mann gebracht hatte. Seine und Giuseppe
Ferraris Reden waren glänzend, aber voll Schwulst und parteiischer Uebertreibung.
Es fehlte nicht an den leidenschaftlichen Scenen, von welchen Debatten von all¬
gemeinem Interesse, zumal wenn Persönliches mit ins Spiel kommt, in Italien
unzertrennlich sind. Mehr denn einmal entglitten dem Präsidenten Mari die
Zügel der Veisammlung. Ein dunkler Ehrenmann von der Linken warf sich in
die Brust und beantragte, Ricasoli und seine Erliegen in Anklagestand zu ver¬
setzen. Seltsam war, daß die Kammer erst gegen das todte Ministerium so
muthig auftrat, während doch Nicasoli stets mit offenen Karten gespielt hatte
und die Instructionen Toncllos kein Geheimniß geblieben waren, auch die neu-
ernannten Bischöfe ihre Aemter längst ohne den mindesten Anstand angetreten
hatten.
Nicht durch die Politik unbegrenzter Nachgiebigkeit, führten die Redner
dieser Seite aus, wird man Rom näher kommen. Die Missionen Vegezzi und
Tonello haben nur die Kurie in ihrer Hartnäckigkeit bestärkt. Die Verbindlich¬
keiten des Septlmberveitrags. der Verzicht auf die königlichen Prärogative, auf
Eid, Planet und Excquatur, die Rückberufung der vertriebenen Bischöfe, die
Neubesetzung der erledigten Bisthümer. vollends die Uebernahme eines Theils
der päpstlichen sehn'd, alle diese Maßregeln sind der Ausfluß einer Politik,
welche den Staat gegenüber dem Klerus compromitirt, die Rechte und die
Würde der Nation bloßstellt. Die ganze Kirchenpolitik seit sieben Jahren ist
eine Kette von Irrthümern, die freie Kirche im freien Staat eine Illusion, eine
überlebte Phrase. Cavour selbst konnte man von dem Tadel nicht ausschließen,
neueste Veröffentlichungen hatten bewiesen, daß die Minister, welche Tonellos
Jnstructionen schrieben, ganz genau an Cavours Ideen und bereits formulirte
Vorschläge sich hielten. Nur dann, sagte Mancini, hätte dieses Programm einen
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