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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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München und Stuttgart ebensogut, -- vielleicht sogar mit größerem Recht, wie
in Berlin wiederholt werden, d. h. das Provisorium ist für Preußen mindestens
ebenso unbequem wie für den Süden, weil es die freie Action hindert, deren
wir ganz besonders bedürfen.

Die Ueberzeugung, die Gewitterwolke, welche sich in Frankreich zusammen¬
zieht, werde zunächst auf Preußen entladen weiden, spielt in der Zurückhaltung
der süddeutschen Höfe die Hauptrolle; schon vor Jahresfrist hatten die Münchner
historisch-politischen Blätter gerathen, den Zeitpunkt eines preußisch-französischen
Zusammenstoßes abzuwarten, denn dieser sei der geeigneteste, "damit wir in
Berlin günstige Bedingungen bekommen". Diese Eventualität wird von den
Particularisten diesseits des Main ebenso eifrig und in noch frivolerer Weise
in Rechnung gezogen wie Von denen jenseit des deutschen Rubikon und alles was zu
Oestreich hält läßt sichs jetzt mit besondmn Eiser angelegen sein, die Gerüchte
von einer französisch-italienisch-östreichischen Alliance und einem dieser entgegen¬
stehenden russisch-preußischen Bündniß zu cvlportircn, um an dasselbe Hoffnungen
einer neuen Lösung der deutscheu Frage im "volksthümlich-föderativem Sinne"
zu knüpfen und dem gemäß vor jeder Compromittiiung durch pieußensreundliche
Wahlen zu warnen. Als Dreie in dein demokratisch-particularistischen Bunde
gegen die Regierung sind neuerdings die Polen aufgetreten, die zu eifriger
Betheiligung an der Wahlschlacht rüsten.

Einen heilsamen Gegendruck auf die Gemüther aller derer, die es in ihrer
Parteivcrblendung noch nicht bis zum Vaterlandsverrath gebracht haben, muß
aber die Wendung ausüben, welche die Dinge in Frankreich genommen
haben. Ist die Reise Franz Josefs nach Paris auch so gut wie aufgegeben
und hat sich der sranzosenfrcundliche Eisen der Wiener auch was end der letzten
zwei Wochen wieder gelegt, so liegen die Gedanken an eine kriegerische Explosion
der französischen Gewitterschwüle doch näher als jemals. Emil OlUvier hat
im gesetzgebenden Körper das entscheidende Wort gesprochen, als er behauptete,
nur ein auswärtiger Krieg oder eine liberale innere Reform vermöchten dem
zweiten Kaiserreich aus der unhaltbaren Position zu helfen, in welche es ge¬
rathen ist. Die herbe Antwort, welche der Kaiser der tiörs-Partei durch den
an Rvuher gerichteten Brief ertheilt hat, zeigt deutlich, nach welcher Seite tie
napoleonische Wagschale neigt und es läßt sich nicht läugnen, daß d>e Ver¬
weigerung von Concessionen an Ollivier- und Latour-Dümoulinsche Ansprüche
im impenalistischen Sinne durchaus gerechtfertigt ist. Durch ein Ministerium
dieser Partei winde das Kaiserre es sicher nichts gewinnen. Auch abgesehen
davon, daß die Rcactivirung Drouyns die nothwendige Folge einer Schwenkung
nach dieser Seite wäre, die Vcischlimmerung der Beziehungen zu Preußen also
doch mit in den Kauf genommen werden müßte, würde eine Ollivier-Latoursche
Regierung die inneren Bedrängnisse des Empire nicht auf die Dauer besser".


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München und Stuttgart ebensogut, — vielleicht sogar mit größerem Recht, wie
in Berlin wiederholt werden, d. h. das Provisorium ist für Preußen mindestens
ebenso unbequem wie für den Süden, weil es die freie Action hindert, deren
wir ganz besonders bedürfen.

Die Ueberzeugung, die Gewitterwolke, welche sich in Frankreich zusammen¬
zieht, werde zunächst auf Preußen entladen weiden, spielt in der Zurückhaltung
der süddeutschen Höfe die Hauptrolle; schon vor Jahresfrist hatten die Münchner
historisch-politischen Blätter gerathen, den Zeitpunkt eines preußisch-französischen
Zusammenstoßes abzuwarten, denn dieser sei der geeigneteste, „damit wir in
Berlin günstige Bedingungen bekommen". Diese Eventualität wird von den
Particularisten diesseits des Main ebenso eifrig und in noch frivolerer Weise
in Rechnung gezogen wie Von denen jenseit des deutschen Rubikon und alles was zu
Oestreich hält läßt sichs jetzt mit besondmn Eiser angelegen sein, die Gerüchte
von einer französisch-italienisch-östreichischen Alliance und einem dieser entgegen¬
stehenden russisch-preußischen Bündniß zu cvlportircn, um an dasselbe Hoffnungen
einer neuen Lösung der deutscheu Frage im „volksthümlich-föderativem Sinne"
zu knüpfen und dem gemäß vor jeder Compromittiiung durch pieußensreundliche
Wahlen zu warnen. Als Dreie in dein demokratisch-particularistischen Bunde
gegen die Regierung sind neuerdings die Polen aufgetreten, die zu eifriger
Betheiligung an der Wahlschlacht rüsten.

Einen heilsamen Gegendruck auf die Gemüther aller derer, die es in ihrer
Parteivcrblendung noch nicht bis zum Vaterlandsverrath gebracht haben, muß
aber die Wendung ausüben, welche die Dinge in Frankreich genommen
haben. Ist die Reise Franz Josefs nach Paris auch so gut wie aufgegeben
und hat sich der sranzosenfrcundliche Eisen der Wiener auch was end der letzten
zwei Wochen wieder gelegt, so liegen die Gedanken an eine kriegerische Explosion
der französischen Gewitterschwüle doch näher als jemals. Emil OlUvier hat
im gesetzgebenden Körper das entscheidende Wort gesprochen, als er behauptete,
nur ein auswärtiger Krieg oder eine liberale innere Reform vermöchten dem
zweiten Kaiserreich aus der unhaltbaren Position zu helfen, in welche es ge¬
rathen ist. Die herbe Antwort, welche der Kaiser der tiörs-Partei durch den
an Rvuher gerichteten Brief ertheilt hat, zeigt deutlich, nach welcher Seite tie
napoleonische Wagschale neigt und es läßt sich nicht läugnen, daß d>e Ver¬
weigerung von Concessionen an Ollivier- und Latour-Dümoulinsche Ansprüche
im impenalistischen Sinne durchaus gerechtfertigt ist. Durch ein Ministerium
dieser Partei winde das Kaiserre es sicher nichts gewinnen. Auch abgesehen
davon, daß die Rcactivirung Drouyns die nothwendige Folge einer Schwenkung
nach dieser Seite wäre, die Vcischlimmerung der Beziehungen zu Preußen also
doch mit in den Kauf genommen werden müßte, würde eine Ollivier-Latoursche
Regierung die inneren Bedrängnisse des Empire nicht auf die Dauer besser».


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/205>, abgerufen am 15.01.2025.