Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

möglichst scharfe Betonung der Fragen, in welchen sie mit der Regierung nicht
zusammengehen, auf die Wähler zu wirken suchen. Dieses Verfahren wird sich in¬
dessen nur sehr bedingungsweise empfehlen. Es wird vielmehr nothwendig sein, mit
allem Nachdruck und aller Energie an dem Bekenntniß festzuhalten, daß das
Ziel der nationalen Einigung auf dem Boden der gegebenen Bundesverfassung,
über alle andern Ziele geht und nicht davon abhängig gemacht werden kann,
ob es theuer oder wohlfeil erkauft wird. Lassen wir uns durch die Mißgriffe
der Negierung, welche die Trägerin der preußischen Politik ist, an dieser Politik
und an dem preußischen Staat auch nur für einen Augenblick irre machen, so
zeigen wir damit ein Mißtrauen gegen uns selbst, das zunächst uns selbst Scha¬
den thut. Nur wenn wir uns selbst vertrauen, vertrauen uns auch die "andern
Seelen" und die Geschichte des preußischen Staats hat es mehr wie ein Mal
bewiesen, daß derselbe mehr Lebenskraft und Gesundheit einzusetzen hat als jeder
andere deutsche Staat, mag dessen Regierung noch so viel Vorzüge auszuweisen
gehabt haben. Der Muth der Ueberzeugung ist das erste Erforderniß einer
lebenskräftigen Partei und dieser wird im gegebenen Zeitpunkt mit besonderem
Nachdruck gefordert werden.

Ernst und sorgenvoll war die Lage schon vor zwei Monaten und trotz des
Abschlusses derZollconvention mi! dem Süden hat sie sich inzwischen nicht gebessert.
Wie sichs nicht anders erwarten ließ, ist der Nachgiebigkeit, welche Bayern und
Württemberg in der Zollangelegenheit bewiesen haben, eine gewisse Reaction zu
Gunsten ultramontaner und particularistisher Einflüsse zeitweise gefolgt. Nachdem
die Leute durch die Verständigung mit Preußen ihre materiellen Interessen in
Sicherheit gebracht haben, glauben sie zeigen zu müssen, daß sie nicht minder
selbständig und sclbstvertraueud wie zuvor seien und triumphirend verkündet der
Stuttgarter Beobachter bereits, die Aera der Demüthigungen für den Süden
habe ihr Ende erreicht und von weiteren "Concessionen" an Preußen könne
(wie der König dem Kaiser Napoleon höchstselbst versichert habe) nicht die Rede
sein. Aufrichtig genug mag diese patriotische Versicherung gemeint gewesen sein,
durch die Thatsachen wird sie dennoch Lügen gestraft. Wenn auch auf die neu¬
lich verkündete Constituinuig einer süddeutschen Nationalpartei einstweilen noch
kein Gewicht zu legen ist. so viel steht fest, daß die Zunahme der Antipathien
gegen Preußen, die Schwaben und Bayern weder selbständiger noch einiger ge¬
macht hat und daß von der Bildung eines Südbundes jetzt ebensowenig die
Rede ist. wie im vorigen Herbst. Die Ratlosigkeit der Führer jener verschie¬
denen Volks- und Particularparlcien. die jenseit des Main ihr Spiel treiben,
ist vielmehr bei allem Wechsel der Verhältnisse, vor. während und nach Luxem¬
burg dieselbe geblieben. Für Preuße" ist durch die Rathlosigkeit des Südens
zwar nichts verloren, zunächst aber auch "och nichts gewonnen und jenes "wir
können warten", mit dem man sich seiner Zeit bei uns tröstete, kann heule in


möglichst scharfe Betonung der Fragen, in welchen sie mit der Regierung nicht
zusammengehen, auf die Wähler zu wirken suchen. Dieses Verfahren wird sich in¬
dessen nur sehr bedingungsweise empfehlen. Es wird vielmehr nothwendig sein, mit
allem Nachdruck und aller Energie an dem Bekenntniß festzuhalten, daß das
Ziel der nationalen Einigung auf dem Boden der gegebenen Bundesverfassung,
über alle andern Ziele geht und nicht davon abhängig gemacht werden kann,
ob es theuer oder wohlfeil erkauft wird. Lassen wir uns durch die Mißgriffe
der Negierung, welche die Trägerin der preußischen Politik ist, an dieser Politik
und an dem preußischen Staat auch nur für einen Augenblick irre machen, so
zeigen wir damit ein Mißtrauen gegen uns selbst, das zunächst uns selbst Scha¬
den thut. Nur wenn wir uns selbst vertrauen, vertrauen uns auch die „andern
Seelen" und die Geschichte des preußischen Staats hat es mehr wie ein Mal
bewiesen, daß derselbe mehr Lebenskraft und Gesundheit einzusetzen hat als jeder
andere deutsche Staat, mag dessen Regierung noch so viel Vorzüge auszuweisen
gehabt haben. Der Muth der Ueberzeugung ist das erste Erforderniß einer
lebenskräftigen Partei und dieser wird im gegebenen Zeitpunkt mit besonderem
Nachdruck gefordert werden.

Ernst und sorgenvoll war die Lage schon vor zwei Monaten und trotz des
Abschlusses derZollconvention mi! dem Süden hat sie sich inzwischen nicht gebessert.
Wie sichs nicht anders erwarten ließ, ist der Nachgiebigkeit, welche Bayern und
Württemberg in der Zollangelegenheit bewiesen haben, eine gewisse Reaction zu
Gunsten ultramontaner und particularistisher Einflüsse zeitweise gefolgt. Nachdem
die Leute durch die Verständigung mit Preußen ihre materiellen Interessen in
Sicherheit gebracht haben, glauben sie zeigen zu müssen, daß sie nicht minder
selbständig und sclbstvertraueud wie zuvor seien und triumphirend verkündet der
Stuttgarter Beobachter bereits, die Aera der Demüthigungen für den Süden
habe ihr Ende erreicht und von weiteren „Concessionen" an Preußen könne
(wie der König dem Kaiser Napoleon höchstselbst versichert habe) nicht die Rede
sein. Aufrichtig genug mag diese patriotische Versicherung gemeint gewesen sein,
durch die Thatsachen wird sie dennoch Lügen gestraft. Wenn auch auf die neu¬
lich verkündete Constituinuig einer süddeutschen Nationalpartei einstweilen noch
kein Gewicht zu legen ist. so viel steht fest, daß die Zunahme der Antipathien
gegen Preußen, die Schwaben und Bayern weder selbständiger noch einiger ge¬
macht hat und daß von der Bildung eines Südbundes jetzt ebensowenig die
Rede ist. wie im vorigen Herbst. Die Ratlosigkeit der Führer jener verschie¬
denen Volks- und Particularparlcien. die jenseit des Main ihr Spiel treiben,
ist vielmehr bei allem Wechsel der Verhältnisse, vor. während und nach Luxem¬
burg dieselbe geblieben. Für Preuße» ist durch die Rathlosigkeit des Südens
zwar nichts verloren, zunächst aber auch »och nichts gewonnen und jenes „wir
können warten", mit dem man sich seiner Zeit bei uns tröstete, kann heule in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191434"/>
          <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> möglichst scharfe Betonung der Fragen, in welchen sie mit der Regierung nicht<lb/>
zusammengehen, auf die Wähler zu wirken suchen. Dieses Verfahren wird sich in¬<lb/>
dessen nur sehr bedingungsweise empfehlen. Es wird vielmehr nothwendig sein, mit<lb/>
allem Nachdruck und aller Energie an dem Bekenntniß festzuhalten, daß das<lb/>
Ziel der nationalen Einigung auf dem Boden der gegebenen Bundesverfassung,<lb/>
über alle andern Ziele geht und nicht davon abhängig gemacht werden kann,<lb/>
ob es theuer oder wohlfeil erkauft wird. Lassen wir uns durch die Mißgriffe<lb/>
der Negierung, welche die Trägerin der preußischen Politik ist, an dieser Politik<lb/>
und an dem preußischen Staat auch nur für einen Augenblick irre machen, so<lb/>
zeigen wir damit ein Mißtrauen gegen uns selbst, das zunächst uns selbst Scha¬<lb/>
den thut. Nur wenn wir uns selbst vertrauen, vertrauen uns auch die &#x201E;andern<lb/>
Seelen" und die Geschichte des preußischen Staats hat es mehr wie ein Mal<lb/>
bewiesen, daß derselbe mehr Lebenskraft und Gesundheit einzusetzen hat als jeder<lb/>
andere deutsche Staat, mag dessen Regierung noch so viel Vorzüge auszuweisen<lb/>
gehabt haben. Der Muth der Ueberzeugung ist das erste Erforderniß einer<lb/>
lebenskräftigen Partei und dieser wird im gegebenen Zeitpunkt mit besonderem<lb/>
Nachdruck gefordert werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570" next="#ID_571"> Ernst und sorgenvoll war die Lage schon vor zwei Monaten und trotz des<lb/>
Abschlusses derZollconvention mi! dem Süden hat sie sich inzwischen nicht gebessert.<lb/>
Wie sichs nicht anders erwarten ließ, ist der Nachgiebigkeit, welche Bayern und<lb/>
Württemberg in der Zollangelegenheit bewiesen haben, eine gewisse Reaction zu<lb/>
Gunsten ultramontaner und particularistisher Einflüsse zeitweise gefolgt. Nachdem<lb/>
die Leute durch die Verständigung mit Preußen ihre materiellen Interessen in<lb/>
Sicherheit gebracht haben, glauben sie zeigen zu müssen, daß sie nicht minder<lb/>
selbständig und sclbstvertraueud wie zuvor seien und triumphirend verkündet der<lb/>
Stuttgarter Beobachter bereits, die Aera der Demüthigungen für den Süden<lb/>
habe ihr Ende erreicht und von weiteren &#x201E;Concessionen" an Preußen könne<lb/>
(wie der König dem Kaiser Napoleon höchstselbst versichert habe) nicht die Rede<lb/>
sein. Aufrichtig genug mag diese patriotische Versicherung gemeint gewesen sein,<lb/>
durch die Thatsachen wird sie dennoch Lügen gestraft. Wenn auch auf die neu¬<lb/>
lich verkündete Constituinuig einer süddeutschen Nationalpartei einstweilen noch<lb/>
kein Gewicht zu legen ist. so viel steht fest, daß die Zunahme der Antipathien<lb/>
gegen Preußen, die Schwaben und Bayern weder selbständiger noch einiger ge¬<lb/>
macht hat und daß von der Bildung eines Südbundes jetzt ebensowenig die<lb/>
Rede ist. wie im vorigen Herbst. Die Ratlosigkeit der Führer jener verschie¬<lb/>
denen Volks- und Particularparlcien. die jenseit des Main ihr Spiel treiben,<lb/>
ist vielmehr bei allem Wechsel der Verhältnisse, vor. während und nach Luxem¬<lb/>
burg dieselbe geblieben. Für Preuße» ist durch die Rathlosigkeit des Südens<lb/>
zwar nichts verloren, zunächst aber auch »och nichts gewonnen und jenes &#x201E;wir<lb/>
können warten", mit dem man sich seiner Zeit bei uns tröstete, kann heule in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0204] möglichst scharfe Betonung der Fragen, in welchen sie mit der Regierung nicht zusammengehen, auf die Wähler zu wirken suchen. Dieses Verfahren wird sich in¬ dessen nur sehr bedingungsweise empfehlen. Es wird vielmehr nothwendig sein, mit allem Nachdruck und aller Energie an dem Bekenntniß festzuhalten, daß das Ziel der nationalen Einigung auf dem Boden der gegebenen Bundesverfassung, über alle andern Ziele geht und nicht davon abhängig gemacht werden kann, ob es theuer oder wohlfeil erkauft wird. Lassen wir uns durch die Mißgriffe der Negierung, welche die Trägerin der preußischen Politik ist, an dieser Politik und an dem preußischen Staat auch nur für einen Augenblick irre machen, so zeigen wir damit ein Mißtrauen gegen uns selbst, das zunächst uns selbst Scha¬ den thut. Nur wenn wir uns selbst vertrauen, vertrauen uns auch die „andern Seelen" und die Geschichte des preußischen Staats hat es mehr wie ein Mal bewiesen, daß derselbe mehr Lebenskraft und Gesundheit einzusetzen hat als jeder andere deutsche Staat, mag dessen Regierung noch so viel Vorzüge auszuweisen gehabt haben. Der Muth der Ueberzeugung ist das erste Erforderniß einer lebenskräftigen Partei und dieser wird im gegebenen Zeitpunkt mit besonderem Nachdruck gefordert werden. Ernst und sorgenvoll war die Lage schon vor zwei Monaten und trotz des Abschlusses derZollconvention mi! dem Süden hat sie sich inzwischen nicht gebessert. Wie sichs nicht anders erwarten ließ, ist der Nachgiebigkeit, welche Bayern und Württemberg in der Zollangelegenheit bewiesen haben, eine gewisse Reaction zu Gunsten ultramontaner und particularistisher Einflüsse zeitweise gefolgt. Nachdem die Leute durch die Verständigung mit Preußen ihre materiellen Interessen in Sicherheit gebracht haben, glauben sie zeigen zu müssen, daß sie nicht minder selbständig und sclbstvertraueud wie zuvor seien und triumphirend verkündet der Stuttgarter Beobachter bereits, die Aera der Demüthigungen für den Süden habe ihr Ende erreicht und von weiteren „Concessionen" an Preußen könne (wie der König dem Kaiser Napoleon höchstselbst versichert habe) nicht die Rede sein. Aufrichtig genug mag diese patriotische Versicherung gemeint gewesen sein, durch die Thatsachen wird sie dennoch Lügen gestraft. Wenn auch auf die neu¬ lich verkündete Constituinuig einer süddeutschen Nationalpartei einstweilen noch kein Gewicht zu legen ist. so viel steht fest, daß die Zunahme der Antipathien gegen Preußen, die Schwaben und Bayern weder selbständiger noch einiger ge¬ macht hat und daß von der Bildung eines Südbundes jetzt ebensowenig die Rede ist. wie im vorigen Herbst. Die Ratlosigkeit der Führer jener verschie¬ denen Volks- und Particularparlcien. die jenseit des Main ihr Spiel treiben, ist vielmehr bei allem Wechsel der Verhältnisse, vor. während und nach Luxem¬ burg dieselbe geblieben. Für Preuße» ist durch die Rathlosigkeit des Südens zwar nichts verloren, zunächst aber auch »och nichts gewonnen und jenes „wir können warten", mit dem man sich seiner Zeit bei uns tröstete, kann heule in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/204
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/204>, abgerufen am 15.01.2025.