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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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von der nothwendigen Einheit des Staatsorganismus freiere Vorstellungen
haben, als die Grasen Eulenburg und zur Lippe.

Von der Rührigkeit, mit welcher Radicale und Particularisten aus den
letzten Octroyirungsacten der preußischen Negierung Capital geschlagen haben,
um laut zu verkünden, die preußische Politik sei bereits in eine Sackgasse
gerannt, in welcher sie umkommen muß, -- von dieser legt jedes neue Zeitungs¬
blatt vollgiltiges Zeugniß ab. Was noch zu thun übrig blieb, um neues Holz
in das Feuer kleinstaatlichen und demokratischen Hasses gegen die Regierung zu wer¬
fen, hat aber die Devolvirung des twestenschen Processes an das Oberappellations-
gericht reichlich gethan. -- Was das Justizministerium sich unter unklugen und un¬
nützen Gehässigkeiten dieser Art denkt, welche Früchte es sich von der Verfolgung von
Männern verspricht, welche die Hauptstütze des Negierungsnnflusses bilden, das ist
nachgrade zu einem Räthsel geworden, für welches^esZnur eine Auflösung giebt:
(Zuos vult xtii-äertz ävMMwt. Freilich hilft diese Auflösung über die Schwie¬
rigkeiten der augenblicklichen Situation nicht hinaus und daß diese Schwierig¬
keiten von der bedenklichsten Art sind, dafür möchte" wir unter anderem das
Zeugniß der Kölnischen Zeitung anführen, der man Pessimismus und Uebelwollen
gegen die Regierung schwerlich vorwerfen wird und die es d och für nothwendig gehal¬
ten hat. die Aufmerksamkeit des Grafen Bismarck auf die Hindernisse hinzulenken,
die seiner Politik durch das System bereitet würden, dem seine Kollegen in
innern Fragen folgten. Die in Kurhessen begangenen Mißgriffe sind weder irre¬
parabel noch handelt es sich bei denselben um entscheidende Fragen ersten Ranges-
Unsere gegenwärtige Lage ist aber gleichfalls von der Art, daß es nicht erst
großer Fehler bedarf, um sie zu einer unhaltbaren zu machen. Hat es doch
die Natur der klcinst.iatlichen Verhältnisse, in welchen unsere Generatio" auf¬
gewachsen ist. mit sich gebracht, daß die öffentliche Meinung ihr Urtheil nicht
sowohl danach bildet, wie in Fragen von weltgeschichtlicher Bedeutung, sondern
wie in den Prvvinzial- und Detailangelegenheiten verfahr,n wird, über welche
auch der Mittelmann Bescheid weiß und an welchen sein Herz vorzugsweise
hängt. Das Wachsthum der politischen Weisheit des Volks hält mit dem
seiner Zwecke nur sehr mühsam Schritt und grade in Deutschland wird es noch
lange dauern, ehe man darüber hinaus kommt, sein Urtheil über ein politisches
System nach andern wie Lokalkriterien zu bilden.

Die Wahlen zum nächsten Reichstage stehen so nahe bevor, daß man bei
jedem Ereigniß nach der Wirkung fragt, welche dasselbe auf die Stimmung der
Wähler ausüben wird. Die Aussichten sind nach den -letzten Ersahrungen für
die preußische Regierung aber eben so schlimm, wie für die nationalliberale Partei.
Es liegt die Annahme nahe, -- und die Haltung verschiedener Parteiorgane
und Parteimänner bestätigt sie bereits -- die Nationalliberalen würden durch


Grenzboten III. 18t!7,

von der nothwendigen Einheit des Staatsorganismus freiere Vorstellungen
haben, als die Grasen Eulenburg und zur Lippe.

Von der Rührigkeit, mit welcher Radicale und Particularisten aus den
letzten Octroyirungsacten der preußischen Negierung Capital geschlagen haben,
um laut zu verkünden, die preußische Politik sei bereits in eine Sackgasse
gerannt, in welcher sie umkommen muß, — von dieser legt jedes neue Zeitungs¬
blatt vollgiltiges Zeugniß ab. Was noch zu thun übrig blieb, um neues Holz
in das Feuer kleinstaatlichen und demokratischen Hasses gegen die Regierung zu wer¬
fen, hat aber die Devolvirung des twestenschen Processes an das Oberappellations-
gericht reichlich gethan. — Was das Justizministerium sich unter unklugen und un¬
nützen Gehässigkeiten dieser Art denkt, welche Früchte es sich von der Verfolgung von
Männern verspricht, welche die Hauptstütze des Negierungsnnflusses bilden, das ist
nachgrade zu einem Räthsel geworden, für welches^esZnur eine Auflösung giebt:
(Zuos vult xtii-äertz ävMMwt. Freilich hilft diese Auflösung über die Schwie¬
rigkeiten der augenblicklichen Situation nicht hinaus und daß diese Schwierig¬
keiten von der bedenklichsten Art sind, dafür möchte» wir unter anderem das
Zeugniß der Kölnischen Zeitung anführen, der man Pessimismus und Uebelwollen
gegen die Regierung schwerlich vorwerfen wird und die es d och für nothwendig gehal¬
ten hat. die Aufmerksamkeit des Grafen Bismarck auf die Hindernisse hinzulenken,
die seiner Politik durch das System bereitet würden, dem seine Kollegen in
innern Fragen folgten. Die in Kurhessen begangenen Mißgriffe sind weder irre¬
parabel noch handelt es sich bei denselben um entscheidende Fragen ersten Ranges-
Unsere gegenwärtige Lage ist aber gleichfalls von der Art, daß es nicht erst
großer Fehler bedarf, um sie zu einer unhaltbaren zu machen. Hat es doch
die Natur der klcinst.iatlichen Verhältnisse, in welchen unsere Generatio» auf¬
gewachsen ist. mit sich gebracht, daß die öffentliche Meinung ihr Urtheil nicht
sowohl danach bildet, wie in Fragen von weltgeschichtlicher Bedeutung, sondern
wie in den Prvvinzial- und Detailangelegenheiten verfahr,n wird, über welche
auch der Mittelmann Bescheid weiß und an welchen sein Herz vorzugsweise
hängt. Das Wachsthum der politischen Weisheit des Volks hält mit dem
seiner Zwecke nur sehr mühsam Schritt und grade in Deutschland wird es noch
lange dauern, ehe man darüber hinaus kommt, sein Urtheil über ein politisches
System nach andern wie Lokalkriterien zu bilden.

Die Wahlen zum nächsten Reichstage stehen so nahe bevor, daß man bei
jedem Ereigniß nach der Wirkung fragt, welche dasselbe auf die Stimmung der
Wähler ausüben wird. Die Aussichten sind nach den -letzten Ersahrungen für
die preußische Regierung aber eben so schlimm, wie für die nationalliberale Partei.
Es liegt die Annahme nahe, — und die Haltung verschiedener Parteiorgane
und Parteimänner bestätigt sie bereits — die Nationalliberalen würden durch


Grenzboten III. 18t!7,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/203>, abgerufen am 15.01.2025.