Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.während ganz Europa ihre Sache genommen und Rußlands Verhalten getadelt, Diese Rede ist mit einem Unwillen und mit einer Mißgunst aufgenommen Innerhalb der Grenzen Rußlands -- sagt die Moskaner Zeitung ,n einem 20"
während ganz Europa ihre Sache genommen und Rußlands Verhalten getadelt, Diese Rede ist mit einem Unwillen und mit einer Mißgunst aufgenommen Innerhalb der Grenzen Rußlands — sagt die Moskaner Zeitung ,n einem 20"
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während ganz Europa ihre Sache genommen und Rußlands Verhalten getadelt,
hätte er, der Redner und sein Schwiegervater Palazky, stets Rußlands Rechte
anerkannt und das Thun der Polen als ungiückbringendes getadelt. Nicht ver¬
hehlen lasse sichs aber, daß die Polen einen eigenthümlichen westslawischen
Stamm bildeten, nach Sprache, Geschichte und Cultur von den Russen verschie¬
den seien und darum ein Recht aus Anerkennung ihrer Nationalität besäßen.
Die allgemeine slawische Bruderliebe bleibe ein leerer Schall, so lange ein
Stamm den andern verschlingen wolle; die wahre Bruderliebe bedinge viel¬
mehr die Anerkennung der gegenseitige» Gleichberechtigung. Nicht für die Po¬
len allein, für alle «Slawen sei der'letcke Aufstand ein Unglück gewesen, denn
er habe die Herzen mit einer entfremdenden Bitterkeit erfüllt, welche beseitigt
werden müsse, ehe auf einen slawischen Erfolg, die Verwirklichung der pansla-
wistischen Idee im Ernst gerechnet weiden könne. Einem großen Volk wie dem
russische» zieme es Großmuth zu üben, sich des erfochtenen Sieges würdig zu
zeigen. Im Augenblick seien die Gemüther zwar noch erregt, die geschlagenen
Wunden noch nicht vernarbt, es werde und müsse aber eine Zeit leidenschafts¬
loser Beurtheilung der Sachlage kommen, in der die Polen das relative Recht
Rußlands anerkenne» würden; dann aber sei es für die Russen an der Zeit,
zuerst das schöne Wort der Vergebung und Versöhnung zu sprechen und die
Rechte der Polen offen und großherzig anzuerkennen."
Diese Rede ist mit einem Unwillen und mit einer Mißgunst aufgenommen
worden, welche auf das Merkwürdigste gegen die Zuvorkommenheit contrastirte,
mit welcher die Russen ihre Gäste und unter diese» ganz besonders Rieger und
Palazky behandelt haben. Nicht »ur wurde des berühmten czcchischen Redners
Vortrag (den wir nur dem Hauptinhalt nach wiedergegeben haben) von lauten
Mißfallsbezeigungcn begleitet, beinahe unmittelbar nach der Beendigung dessel¬
ben erhob sich der frühere Minister des Innern in Warschau, Hurst Tscher-
kaski, ein entschiedener Panslawist und Führer der russischen Demokratie, um
den Vorredner mit rücksichtsloser Energie zu widerlegen. Die Polen (so lehrte
er) seien von der russischen Regierung stets mit Schonung behandelt, bei ihren
Institutionen belassen, ja unter Bevorzugung vor den übrigen Bewohnern des
Reichs mit dem Geschenk einer consiilulionellcn Verfassung bedacht worden.
Zu allen Zeiten hätten sie sich aber als undankbare Söhne bewiesen — an
ihre» sei es, reuevoll in das Vaterhaus zurückzukehren und den ersten Schritt
zu thun; nur vom polnischen Volke selbst hänge dessen Geschick ab, Rußland
aber sei ihm nichts schuldig. Wie um die volle Schärfe des Gegensatzes der
russischen zu den czcchischen Anschauungen herauszukehren, schloß ver fürstliche
Redner mit der Anspielung auf eine Tagesfrage, bezüglich welcher er Ricgers
und Palazkys abweichende Meinung kennen mußte — mit einem Hoch auf' die
gegen die polnischen Bedränger muthig kcimpsenden galizischen Ruthenen. Ließ
schon diese Rede von der Möglichkeit einer Verständigung wenig übrig, so be¬
wies die Sprache der russischen Presse alsbald, daß man ebensowenig den
Czechen wie den Polen Concessionen ani Unkosten der russischen Präponderanz
zu machen gedenke. Von der erbitterten Kritik, der Ricgcrs versöhnendes Wort
unterzogen wurde, wollen wir schweigen — sehr viel lehrreicher ist es, die
Gründe kennen zu lernen, aus welchen'die russische Demokratie keinen Frieden
mit dem Polenthum machen zu dürfen glaubt.
Innerhalb der Grenzen Rußlands — sagt die Moskaner Zeitung ,n einem
der Widerlegung Ricgcrs gewidmeten Artikel' — könnten keine politisch pnvile-
girtcn Nationalitäten neben der russischen geduldet werden; es sei nicht der
ethnographische, sondern der politische Begriff Polen, welchen das russische
Volk bekämpfe, weil er der Todfeind Rußlands sei. „Unter dem russischen
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