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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Aber damit war der Condemnat nicht einverstanden, sondern er erwirkte sich
bei dem Amtmann eine Bescheinigung, daß er ein Gnadengesuch eingereicht habe
und damit bis zur erfolgten Entschließung hierauf eine Sistirung des Bei¬
treibungsverfahrens. Als dann so die unmittelbare Gefahr einer finanziellen
Execution sich verzogen, machte sich der Amtmann daran und berichtete eingehend
über sein als Landoverschultheih eingereichtes Strascrlaßgesuch und soll in diesem
Berichte in unparteiischer Auseinandersetzung endlich gefunden haben, daß er
als Landoberschuitheiß ohne Fehl und streng gesetzlich gehandelt und in seinen
Nemonstrationen gegen die oberrichterlichen Verweise den passenden Ton nicht ver¬
letzt habe.

Und so ging dieser Bericht ab und das herzogliche Amt setzte von dessen
Abgang vorsorglich die herzogliche Receptur in Kenntniß, damit sie sich ungefähr
denken könne, wie lange sie die Beitreibung der Geldstrafe gegen den Land¬
oberschultheißen sistiren dürfe. Denn es darf hier nicht verschwiegen werden,
daß die schönen Kopfbogen aus der eigenen Druckerei des Herrn Amtmanns,
Landoberschultheißen und Rentmeisters jeden der drei Gewalthaber in der Drei¬
einigkeit zu kalligraphischen und stilistischen Uebungen nur zu leicht verführten.
Es währte aber lange mit der Entscheidung auf das so eigenthümlich eingeführte
Strafcrlaßgesuch, und der Recepturveamte, der gern seine Restanten schwinden
sah. mahnte öfters den Schuldner und erhielt die amtliche Antwort, daß noch
nicht decretirt sei auf die Eingabe, und auch der Herr Amtmann soll erbittert
gewesen sein über die Verzögerung; nur der Herr Landoberschultheiß habe
immer gelächelt und sich gefreut, denn so lange die Entscheidung auf sich warten
ließ, so lange behielt er seine fünf Gulden in der Tasche. Aber es sollte alles
anders kommen, als der dreieinige Beamte sich vorgestellt hatte und kam
recht hart.

Die herzoglich nassauischen Beamten der Justiz in unterster Instanz standen
in Disciplinarsachcn nicht unter den Gerichten, sondern unter der Verwaltung,
da sie gleichzeitig Verwaltungsbeamte waren und man die Verwaltung als die
Hauptsache, die Rechtsprechung immer nur als ein Nebengeschäft betrachtete.
Die oberste Verwaltungsbehörde hieß die Landesregierung und hatte etwa die
Functionen eines Ministeriums des Innern. Mit dieser, also dem Amte zu
Netchelsheim vorgesetzten Behörde hatte das Appellationsgericht zu Dillenburg,
welches die Strafe gegen den Landoberschuitheiß verfügt hatte, sich in Benehmen
gesetzt, als es das Straserlaßgesuch mit dem schonen Berichte des Amtes erhielt,
und da ihm die unterhaltende Korrespondenz einer Person in amtlicher Stellung
mit sich selbst doch zu scherzhaft erschien, auf eine Untersuchung dieses Curiosums
angetragen. Und diese harte Regierung ließ die Acten einfordern und so sehr
der Herr Amtmann betheuerte und nachwies, daß alles in Ordnung sei. alles
nach Gesetz und Brauch hergegangen sei, fand sie das ganze Manöver schlecht


Grenzboten I. 18S7. 12

Aber damit war der Condemnat nicht einverstanden, sondern er erwirkte sich
bei dem Amtmann eine Bescheinigung, daß er ein Gnadengesuch eingereicht habe
und damit bis zur erfolgten Entschließung hierauf eine Sistirung des Bei¬
treibungsverfahrens. Als dann so die unmittelbare Gefahr einer finanziellen
Execution sich verzogen, machte sich der Amtmann daran und berichtete eingehend
über sein als Landoverschultheih eingereichtes Strascrlaßgesuch und soll in diesem
Berichte in unparteiischer Auseinandersetzung endlich gefunden haben, daß er
als Landoberschuitheiß ohne Fehl und streng gesetzlich gehandelt und in seinen
Nemonstrationen gegen die oberrichterlichen Verweise den passenden Ton nicht ver¬
letzt habe.

Und so ging dieser Bericht ab und das herzogliche Amt setzte von dessen
Abgang vorsorglich die herzogliche Receptur in Kenntniß, damit sie sich ungefähr
denken könne, wie lange sie die Beitreibung der Geldstrafe gegen den Land¬
oberschultheißen sistiren dürfe. Denn es darf hier nicht verschwiegen werden,
daß die schönen Kopfbogen aus der eigenen Druckerei des Herrn Amtmanns,
Landoberschultheißen und Rentmeisters jeden der drei Gewalthaber in der Drei¬
einigkeit zu kalligraphischen und stilistischen Uebungen nur zu leicht verführten.
Es währte aber lange mit der Entscheidung auf das so eigenthümlich eingeführte
Strafcrlaßgesuch, und der Recepturveamte, der gern seine Restanten schwinden
sah. mahnte öfters den Schuldner und erhielt die amtliche Antwort, daß noch
nicht decretirt sei auf die Eingabe, und auch der Herr Amtmann soll erbittert
gewesen sein über die Verzögerung; nur der Herr Landoberschultheiß habe
immer gelächelt und sich gefreut, denn so lange die Entscheidung auf sich warten
ließ, so lange behielt er seine fünf Gulden in der Tasche. Aber es sollte alles
anders kommen, als der dreieinige Beamte sich vorgestellt hatte und kam
recht hart.

Die herzoglich nassauischen Beamten der Justiz in unterster Instanz standen
in Disciplinarsachcn nicht unter den Gerichten, sondern unter der Verwaltung,
da sie gleichzeitig Verwaltungsbeamte waren und man die Verwaltung als die
Hauptsache, die Rechtsprechung immer nur als ein Nebengeschäft betrachtete.
Die oberste Verwaltungsbehörde hieß die Landesregierung und hatte etwa die
Functionen eines Ministeriums des Innern. Mit dieser, also dem Amte zu
Netchelsheim vorgesetzten Behörde hatte das Appellationsgericht zu Dillenburg,
welches die Strafe gegen den Landoberschuitheiß verfügt hatte, sich in Benehmen
gesetzt, als es das Straserlaßgesuch mit dem schonen Berichte des Amtes erhielt,
und da ihm die unterhaltende Korrespondenz einer Person in amtlicher Stellung
mit sich selbst doch zu scherzhaft erschien, auf eine Untersuchung dieses Curiosums
angetragen. Und diese harte Regierung ließ die Acten einfordern und so sehr
der Herr Amtmann betheuerte und nachwies, daß alles in Ordnung sei. alles
nach Gesetz und Brauch hergegangen sei, fand sie das ganze Manöver schlecht


Grenzboten I. 18S7. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/99>, abgerufen am 22.12.2024.