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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Das Muster eines Beamten im Kleinstaat.

Alles was ist, sagt der wohlwollende Staatsweise, hat seine Berechtigung;
denn weil es geworden ist, waren die Vorbedingungen seiner Existenz vorhanden,
es mußte so kommen. Aber es giebt, Gott sei Dank, auch ehrliche Narren in
der Welt, welche das Gewordene mit Vergnügen untergehen sehen, sogar solche
Existenzen, welche uns durch ihr Dasein zum Lachen brachten. Damit die Heiter¬
keit nicht ausstirbt, verzeichnet man diese Curiosa. Schon in wenigen Jahren
dürfte ihnen der Glaube fehlen und das jetzige Geschlecht muß die Glaubwür¬
digkeit attestiren, unsere Nachkommen müssen manche Dinge bezeugt haben, ihr
Verstand würde sie zweifeln lassen an der Historie.

Zwischen den Flüssen Rhein und Main, so ziemlich bis in die Ecke ihres
Zusammenflusses, lag früher das Herzogthum Nassau, ein schönes Land mit
Bergen und Flüssen reich bedacht, mit herrlichen Wäldern, den edelsten Wein¬
bergen. Fruchtthälern und Weiden bedeckt; die steilen und unfruchtbaren Felsen
bergen die Metalle, als Eisen. Blei, Silber, auch Kupfer. Zink und entsenden
die berühmtesten Mineralquellen Europas an das Tageslicht. In einem großen
Kriege geschah es, daß dieses Herzogthum erobert wurde und daß das König¬
reich Preußen sich das Land einverleibte. So reich und schön das Land ist.
so ist es doch nicht groß und ein rüstiger Fußgänger möchte es wohl in einem
Sommertage von Aufgang bis Untergang der Sonne durchschreiten. Aber es
war ein Reich für sich, hatte einen Herrscher, ein Parlament, und zwar ein
Oberhaus und Unterhaus, eine Armee. Minister und ein Heer von Beamten.
Alles war wohldisciplinirt und der Herrscher kannte alle seine Leute von Person
und alle seine Beamten nach den Neigungen ihres Herzens, wußte, wo sie ihren
Schoppen Wein zu trinken pflegten und mit wem sie umgingen. Natürlich gab
es auch politische Parteien im Lande, und da eine davon sich überzeugt hielt,
daß auf dieser Parcelle deutschen Landes ein eigner selbständiger Staat nicht


Grenzboten I. 1867. 11
Das Muster eines Beamten im Kleinstaat.

Alles was ist, sagt der wohlwollende Staatsweise, hat seine Berechtigung;
denn weil es geworden ist, waren die Vorbedingungen seiner Existenz vorhanden,
es mußte so kommen. Aber es giebt, Gott sei Dank, auch ehrliche Narren in
der Welt, welche das Gewordene mit Vergnügen untergehen sehen, sogar solche
Existenzen, welche uns durch ihr Dasein zum Lachen brachten. Damit die Heiter¬
keit nicht ausstirbt, verzeichnet man diese Curiosa. Schon in wenigen Jahren
dürfte ihnen der Glaube fehlen und das jetzige Geschlecht muß die Glaubwür¬
digkeit attestiren, unsere Nachkommen müssen manche Dinge bezeugt haben, ihr
Verstand würde sie zweifeln lassen an der Historie.

Zwischen den Flüssen Rhein und Main, so ziemlich bis in die Ecke ihres
Zusammenflusses, lag früher das Herzogthum Nassau, ein schönes Land mit
Bergen und Flüssen reich bedacht, mit herrlichen Wäldern, den edelsten Wein¬
bergen. Fruchtthälern und Weiden bedeckt; die steilen und unfruchtbaren Felsen
bergen die Metalle, als Eisen. Blei, Silber, auch Kupfer. Zink und entsenden
die berühmtesten Mineralquellen Europas an das Tageslicht. In einem großen
Kriege geschah es, daß dieses Herzogthum erobert wurde und daß das König¬
reich Preußen sich das Land einverleibte. So reich und schön das Land ist.
so ist es doch nicht groß und ein rüstiger Fußgänger möchte es wohl in einem
Sommertage von Aufgang bis Untergang der Sonne durchschreiten. Aber es
war ein Reich für sich, hatte einen Herrscher, ein Parlament, und zwar ein
Oberhaus und Unterhaus, eine Armee. Minister und ein Heer von Beamten.
Alles war wohldisciplinirt und der Herrscher kannte alle seine Leute von Person
und alle seine Beamten nach den Neigungen ihres Herzens, wußte, wo sie ihren
Schoppen Wein zu trinken pflegten und mit wem sie umgingen. Natürlich gab
es auch politische Parteien im Lande, und da eine davon sich überzeugt hielt,
daß auf dieser Parcelle deutschen Landes ein eigner selbständiger Staat nicht


Grenzboten I. 1867. 11
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[0091] Das Muster eines Beamten im Kleinstaat. Alles was ist, sagt der wohlwollende Staatsweise, hat seine Berechtigung; denn weil es geworden ist, waren die Vorbedingungen seiner Existenz vorhanden, es mußte so kommen. Aber es giebt, Gott sei Dank, auch ehrliche Narren in der Welt, welche das Gewordene mit Vergnügen untergehen sehen, sogar solche Existenzen, welche uns durch ihr Dasein zum Lachen brachten. Damit die Heiter¬ keit nicht ausstirbt, verzeichnet man diese Curiosa. Schon in wenigen Jahren dürfte ihnen der Glaube fehlen und das jetzige Geschlecht muß die Glaubwür¬ digkeit attestiren, unsere Nachkommen müssen manche Dinge bezeugt haben, ihr Verstand würde sie zweifeln lassen an der Historie. Zwischen den Flüssen Rhein und Main, so ziemlich bis in die Ecke ihres Zusammenflusses, lag früher das Herzogthum Nassau, ein schönes Land mit Bergen und Flüssen reich bedacht, mit herrlichen Wäldern, den edelsten Wein¬ bergen. Fruchtthälern und Weiden bedeckt; die steilen und unfruchtbaren Felsen bergen die Metalle, als Eisen. Blei, Silber, auch Kupfer. Zink und entsenden die berühmtesten Mineralquellen Europas an das Tageslicht. In einem großen Kriege geschah es, daß dieses Herzogthum erobert wurde und daß das König¬ reich Preußen sich das Land einverleibte. So reich und schön das Land ist. so ist es doch nicht groß und ein rüstiger Fußgänger möchte es wohl in einem Sommertage von Aufgang bis Untergang der Sonne durchschreiten. Aber es war ein Reich für sich, hatte einen Herrscher, ein Parlament, und zwar ein Oberhaus und Unterhaus, eine Armee. Minister und ein Heer von Beamten. Alles war wohldisciplinirt und der Herrscher kannte alle seine Leute von Person und alle seine Beamten nach den Neigungen ihres Herzens, wußte, wo sie ihren Schoppen Wein zu trinken pflegten und mit wem sie umgingen. Natürlich gab es auch politische Parteien im Lande, und da eine davon sich überzeugt hielt, daß auf dieser Parcelle deutschen Landes ein eigner selbständiger Staat nicht Grenzboten I. 1867. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/91>, abgerufen am 22.12.2024.