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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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hatte auch so die nützliche Wirkung, den inneren Zusammenhang eines so be¬
deutenden und widerstandsfähigen Körpers wie des hannoverschen Heeres auf¬
zulösen. In ihm stellte sich der preußischen Annexionspolitik augenscheinlich die
sprödeste Schwierigkeit entgegen. Es war die größte geschlossene Masse natür¬
licher Gegner in den neuen Provinzen; es hatte glorreiche Traditionen, der¬
gleichen ja immer erst aus einem Haufen uniformirter Wasserträger eine wirk¬
liche Armee machen. Die Wucht dieser aufrechterhaltenden geschichtlichen Ueber¬
lieferungen wurde noch unendlich verstärkt durch den Umstand, daß die Politik
des preußischen Ministeriums einen Zusammenstoß der Preußen mit den Han¬
noveranern zu einer Zeit erfordert hatte, wo letztere eine sehr erhebliche nume¬
rische Ueberlegenheit besaßen, und daß infolge dessen das hannoversche Heer
einen kantischen Triumph noch in dem Augenblick davontrug, ehe es strategisch
und politisch für immer unterging. Demzufolge zerstreuten sich die Bataillone
und Schwadronen nach der Capitulation nicht beschämt und gedemüthigt, sondern
erbittert. Die zurückkehrenden "Sieger von Langensalza" Sälen den Preußen¬
haß in jedem Dorfe des Königreichs aus. Eine besondere Wuth und Zähig¬
keit der Feindschaft entwickelten die Unteroffiziere oder die es werden wollten,
denn ihnen nahm die Einverleibung in der That mehr als nur die Bequem¬
lichkeit gewohnter Zustände. Sie wußten, daß mit den preußischen Farben die
allgemeine Wehrpflicht ins Land komme, das Ende aller Stellvertretung, von
der sie ein so hübsches vieljähriges Einkommen gezogen hatten. Im preußischen
Heere winkte ihnen nichts als der Sold, und nach dem Ablauf der Dienstzeit
die auch in Hannover nicht fehlende, ja in Hannover durchschnittlich noch höhere
Besoldungen darbietende Anwartschaft auf Civilversorgung. Daher die leiden¬
schaftliche Erbitterung dieser Leute, die sich stellenweise in der widerwärtigsten
Mißhandlung preußisch gesinnter Nachbarn und Landsleute Luft gemacht hat. Man
kann fragen: ob die Regierung dies nicht hätte voraussehen und deshalb einer
Zerstreuung der feindlichen militärischen Propaganda über das Land hin hätte
vorbeugen müssen? Allein auf der einen Seite scheint es denn doch von end¬
lichen Menschenkrciftcn zu viel verlangt, wenn man meint, Graf Bismarck oder
Herr v. Roon hätte am Vorabend der ungeheuern Entscheidungskampfe in
Böhmen der Behandlung einer eben gewonnenen Provinz, die dort erst wahr¬
haft erobert werden konnte, eine gründlich eindringende Aufmerksamkeit zuwenden
sollen; und für Beamte zweiten oder dritten Ranges war die Angelegenheit zu
schwieriger politischer Natur. Auf der andern Seite läßt sich wohl auch zwei-
feln, ob irgendeine der denkbaren Vorbeugungsmaßregeln nicht schlimmer ge¬
wesen wäre als das wirklich eingetretene Uebel. Eine Abführung der gefangenen
Armee nach preußischen Festungen hätte nicht blos bedeutende Kosten verursacht,
nicht blos über eine gewisse kurze Zeit hinaus billigerweise doch nicht festgehalten
werden können, sondern sie würde wahrscheinlich auch die Bevölkerung noch


hatte auch so die nützliche Wirkung, den inneren Zusammenhang eines so be¬
deutenden und widerstandsfähigen Körpers wie des hannoverschen Heeres auf¬
zulösen. In ihm stellte sich der preußischen Annexionspolitik augenscheinlich die
sprödeste Schwierigkeit entgegen. Es war die größte geschlossene Masse natür¬
licher Gegner in den neuen Provinzen; es hatte glorreiche Traditionen, der¬
gleichen ja immer erst aus einem Haufen uniformirter Wasserträger eine wirk¬
liche Armee machen. Die Wucht dieser aufrechterhaltenden geschichtlichen Ueber¬
lieferungen wurde noch unendlich verstärkt durch den Umstand, daß die Politik
des preußischen Ministeriums einen Zusammenstoß der Preußen mit den Han¬
noveranern zu einer Zeit erfordert hatte, wo letztere eine sehr erhebliche nume¬
rische Ueberlegenheit besaßen, und daß infolge dessen das hannoversche Heer
einen kantischen Triumph noch in dem Augenblick davontrug, ehe es strategisch
und politisch für immer unterging. Demzufolge zerstreuten sich die Bataillone
und Schwadronen nach der Capitulation nicht beschämt und gedemüthigt, sondern
erbittert. Die zurückkehrenden „Sieger von Langensalza" Sälen den Preußen¬
haß in jedem Dorfe des Königreichs aus. Eine besondere Wuth und Zähig¬
keit der Feindschaft entwickelten die Unteroffiziere oder die es werden wollten,
denn ihnen nahm die Einverleibung in der That mehr als nur die Bequem¬
lichkeit gewohnter Zustände. Sie wußten, daß mit den preußischen Farben die
allgemeine Wehrpflicht ins Land komme, das Ende aller Stellvertretung, von
der sie ein so hübsches vieljähriges Einkommen gezogen hatten. Im preußischen
Heere winkte ihnen nichts als der Sold, und nach dem Ablauf der Dienstzeit
die auch in Hannover nicht fehlende, ja in Hannover durchschnittlich noch höhere
Besoldungen darbietende Anwartschaft auf Civilversorgung. Daher die leiden¬
schaftliche Erbitterung dieser Leute, die sich stellenweise in der widerwärtigsten
Mißhandlung preußisch gesinnter Nachbarn und Landsleute Luft gemacht hat. Man
kann fragen: ob die Regierung dies nicht hätte voraussehen und deshalb einer
Zerstreuung der feindlichen militärischen Propaganda über das Land hin hätte
vorbeugen müssen? Allein auf der einen Seite scheint es denn doch von end¬
lichen Menschenkrciftcn zu viel verlangt, wenn man meint, Graf Bismarck oder
Herr v. Roon hätte am Vorabend der ungeheuern Entscheidungskampfe in
Böhmen der Behandlung einer eben gewonnenen Provinz, die dort erst wahr¬
haft erobert werden konnte, eine gründlich eindringende Aufmerksamkeit zuwenden
sollen; und für Beamte zweiten oder dritten Ranges war die Angelegenheit zu
schwieriger politischer Natur. Auf der andern Seite läßt sich wohl auch zwei-
feln, ob irgendeine der denkbaren Vorbeugungsmaßregeln nicht schlimmer ge¬
wesen wäre als das wirklich eingetretene Uebel. Eine Abführung der gefangenen
Armee nach preußischen Festungen hätte nicht blos bedeutende Kosten verursacht,
nicht blos über eine gewisse kurze Zeit hinaus billigerweise doch nicht festgehalten
werden können, sondern sie würde wahrscheinlich auch die Bevölkerung noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/80>, abgerufen am 30.06.2024.