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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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tiefer gegen den Lauf der Ereignisse und die neuen Zustände verstimmt haben.
In den Kasematten von Stettin und Köln wären die hannoverschen Truppen
vielleicht mehr zu fürchten gewesen, als da sie Groll und Siegerhochmuth frei
daheim unter den Ihrigen auslassen durften.

Inzwischen wurde Oestreich niedergeschlagen und die Einverleibung der be¬
setzten Gebiete nördlich vom Main von den andern Großmächten allerseits zu¬
gestanden. Daß die Bevölkerung Hannovers fortan ihren Beitrag zum preu¬
ßischen Heere ganz in derselben Weise stellen werde, wie die alten preußischen
Landestheile, war niemand im entferntesten zweifelhaft. Es fragte sich im
wesentlichen nur noch, was die Berufssoldaten, der Hauptsache nach also die
Offiziere, thun würden; ob sie preußische Dienste nehmen, oder wie ihre Vor¬
fahren in früheren Zeiten fremder Ueberziehung dem einmal geleisteten Treu¬
schwur ritterlich anhangen sollten? Die allgemeinen Umstände des Falles und
der Zeit waren gegen die letztere Alternative. Der unter ihnen herrschende
Geist war eher dafür, und wurde von der Denkungsweise dessen, der sie formell
allein vom Fahneneide entbinden konnte, kräftig unterstützt. Nichtsdestoweniger
ist die Frage nach drei oder vier Monaten wesentlich im Sinne der ersteren
Alternative entschieden worden. -- ein neues Zeichen für die innere Gesundheit
und Vernunft des über Deutschland gekommenen großen Umschwungs.

Die nationale Ausfassung, welche seit 1848 und zumal seit 1859 wieder
im deutschen Bürgerstande mehr und mehr die tonangebende wurde, hat im
hannoverschen Offiziercorps gewiß nur w.nige Proselyten gemacht. Wer sie
nicht schon in die Kaserne oder auf die "Messe" mitbrachte, unterlag sicherlich
keiner Ansteckungsgefahr. Aber die Begebenheiten sorgten für einige aufklärende
Ersahrungen. Die theoretische Erkenntniß, daß eine kleine Armee heutzutage
im Grunde gar keine Armee mehr sei, d.h. kein zu selbständiger Action und
Politik befähigter militärischer Körper, ging von den einzelnen nachdenkenden
Köpfen, deren ursprüngliches Eigenthum sie war, rasch auf weitere Kreise über,
als die Theilnahme an der Bundesexecution in Holstein dazu ihre praktischen
Commentare lieferte. Mochte nach der erzwungenen Räumung 'Rendsburgs und
später ganz Holsteins im Sommer 1864 die Wunde des gekränkten Selbst¬
gefühls anfänglich noch so schmerzhaft brennen, und mochte sich der Groll der
gedankenlosen Mehrzahl immerhin ausschließlich gegen Preußen kehren als den
mächtigen Beleidiger, den zu hassen obendrein die stillschweigende Vorschrift von
oben her war: eine nicht unbeträchtliche Anzahl tüchtiger Offiziere gerieth seit¬
dem doch in die Stimmung, das Aufgehen in irgendeiner größern Armee selbst
für den höchsten Preis nicht zu theuer erkauft zu achten. In der Artillerie
und einigen Jnfanteriebataillonen beobachtete man schon im Herbste 1864
diese Stimmung als die herrschende. Von ihr aus wurde es dem hannoverschen
Offizier auch leichter, die patriotischen Bestrebungen der liberalen Partei zu


tiefer gegen den Lauf der Ereignisse und die neuen Zustände verstimmt haben.
In den Kasematten von Stettin und Köln wären die hannoverschen Truppen
vielleicht mehr zu fürchten gewesen, als da sie Groll und Siegerhochmuth frei
daheim unter den Ihrigen auslassen durften.

Inzwischen wurde Oestreich niedergeschlagen und die Einverleibung der be¬
setzten Gebiete nördlich vom Main von den andern Großmächten allerseits zu¬
gestanden. Daß die Bevölkerung Hannovers fortan ihren Beitrag zum preu¬
ßischen Heere ganz in derselben Weise stellen werde, wie die alten preußischen
Landestheile, war niemand im entferntesten zweifelhaft. Es fragte sich im
wesentlichen nur noch, was die Berufssoldaten, der Hauptsache nach also die
Offiziere, thun würden; ob sie preußische Dienste nehmen, oder wie ihre Vor¬
fahren in früheren Zeiten fremder Ueberziehung dem einmal geleisteten Treu¬
schwur ritterlich anhangen sollten? Die allgemeinen Umstände des Falles und
der Zeit waren gegen die letztere Alternative. Der unter ihnen herrschende
Geist war eher dafür, und wurde von der Denkungsweise dessen, der sie formell
allein vom Fahneneide entbinden konnte, kräftig unterstützt. Nichtsdestoweniger
ist die Frage nach drei oder vier Monaten wesentlich im Sinne der ersteren
Alternative entschieden worden. — ein neues Zeichen für die innere Gesundheit
und Vernunft des über Deutschland gekommenen großen Umschwungs.

Die nationale Ausfassung, welche seit 1848 und zumal seit 1859 wieder
im deutschen Bürgerstande mehr und mehr die tonangebende wurde, hat im
hannoverschen Offiziercorps gewiß nur w.nige Proselyten gemacht. Wer sie
nicht schon in die Kaserne oder auf die „Messe" mitbrachte, unterlag sicherlich
keiner Ansteckungsgefahr. Aber die Begebenheiten sorgten für einige aufklärende
Ersahrungen. Die theoretische Erkenntniß, daß eine kleine Armee heutzutage
im Grunde gar keine Armee mehr sei, d.h. kein zu selbständiger Action und
Politik befähigter militärischer Körper, ging von den einzelnen nachdenkenden
Köpfen, deren ursprüngliches Eigenthum sie war, rasch auf weitere Kreise über,
als die Theilnahme an der Bundesexecution in Holstein dazu ihre praktischen
Commentare lieferte. Mochte nach der erzwungenen Räumung 'Rendsburgs und
später ganz Holsteins im Sommer 1864 die Wunde des gekränkten Selbst¬
gefühls anfänglich noch so schmerzhaft brennen, und mochte sich der Groll der
gedankenlosen Mehrzahl immerhin ausschließlich gegen Preußen kehren als den
mächtigen Beleidiger, den zu hassen obendrein die stillschweigende Vorschrift von
oben her war: eine nicht unbeträchtliche Anzahl tüchtiger Offiziere gerieth seit¬
dem doch in die Stimmung, das Aufgehen in irgendeiner größern Armee selbst
für den höchsten Preis nicht zu theuer erkauft zu achten. In der Artillerie
und einigen Jnfanteriebataillonen beobachtete man schon im Herbste 1864
diese Stimmung als die herrschende. Von ihr aus wurde es dem hannoverschen
Offizier auch leichter, die patriotischen Bestrebungen der liberalen Partei zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/81>, abgerufen am 02.07.2024.