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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Werk des Meisters weitergeführt. Seine Schilderung des Peloponnesus kann
den Mangel eigner Anschauung, so weit das überhaupt möglich ist. weniger
fühlbar machen; seine Darstellung der griechischen Geschichte wird stets da am
schönsten, wo Naturschilderung und Erzählung der Thaten im Verein die Ver¬
gangenheit als Gegenwart lebhaft empfinden lassen.

Auch nach einer andern Seite ist zu gleicher Zeit in den griechischen Län¬
dern ebenso wie in dem Schwesterlande Italien gesucht und geforscht, auf dem
Gebiete der alten Kunst. Die von Winckelmcinn angebahnte, seitdem ins Leben
getretene Auffassung der Alterthumswissenschaft wies auch der Kunst ihre richtige
Stelle an. Die Schöpfungen derselben waren nicht mehr ausschließlich zu dem
Handlangerdienst verurtheilt, manche Dunkelheiten der Literatur durch Illustration
aufzuhellen. Gewiß gewähren sie auch diesen Nutzen, die Archäologie leistet
der Mythologie und Literaturgeschichte sogar noch erheblichere Dienste, indem
sie aus dem Schatze ihrer Denkmäler wichtige Ergänzungen der anderweitig uns
überlieferten Kunde darbietet. Aber die eigentliche Bedeutung der Kunstwerke
ist eine andre. selbständig und in gleicher Berechtigung stehen sie neben den
Erzeugnissen der Literatur, da sie nicht minder eine originale Schöpfung des
Geistes sind, als die Werke der Poesie. Ja die Alterthumswissenschaft kann
einer eingehenden Betrachtung der Kunst um so weniger entrathen, je ausnahms¬
loser sich zumal in dem hellenischen Volke das Bedürfniß zeigt, für den Inhalt,
den Kern, eine entsprechende Form zu finden, welche das Wesen und die Be¬
deutung desselben in veredelnder Weise zum Ausdruck bringt und erklärt, das
heißt eben eine künstlerische Form. Wo nur irgendein Gedanke eine Dar¬
stellung im Raume erheischte oder zuließ, die bildende Kunst der Griechen hat
sich dessen bemächtigt, von den zum täglichen Gebrauch bestimmten Gerüchen
bis zu den Schilderungen der Großthaten der Vorzeit, in glänzenden Werken
der Plastik und Malerei, bis zu dem unvergleichlichen Organismus des helleni¬
schen Tempels, wo alle Künste sich zum höchsten sichtbaren Ausdrucke der reli¬
giösen Gedanken und Gefühle vereinigt haben. Wer an all der Pracht vor¬
übergeht, ohne ihr mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken, der beraubt nicht
nur sich selber hohen Genusses, er lernt auch die Griechen nur halb kennen, er
gelangt nie zu einer vollen Anschauung hellenischen Geisteslebens, hellenischer
Schöpferkraft. Die Kunstgeschichte verlangt gebieterisch ihren Platz neben der
Geschichte der Literatur.

Die Entdeckungen auf diesem Felde gehen zum Theil Hand in Hand mit
der Ausbreitung der geographischen Kenntniß von den classischen Ländern. Es
ward oben bereits auf die Burgen und Tempelruinen Griechenlands hingewiesen,
welche zu Anfang unsres Jahrhunderts entdeckt oder durchsucht wurden; es ist
um so weniger nöthig diesen Punkt hier weiter zu verfolgen, als vor nicht gar
langer Zeit in diesem Blatte eine Betrachtung der Aufgaben, welche die Ge>


Grenzboten I. 18K7, 8

Werk des Meisters weitergeführt. Seine Schilderung des Peloponnesus kann
den Mangel eigner Anschauung, so weit das überhaupt möglich ist. weniger
fühlbar machen; seine Darstellung der griechischen Geschichte wird stets da am
schönsten, wo Naturschilderung und Erzählung der Thaten im Verein die Ver¬
gangenheit als Gegenwart lebhaft empfinden lassen.

Auch nach einer andern Seite ist zu gleicher Zeit in den griechischen Län¬
dern ebenso wie in dem Schwesterlande Italien gesucht und geforscht, auf dem
Gebiete der alten Kunst. Die von Winckelmcinn angebahnte, seitdem ins Leben
getretene Auffassung der Alterthumswissenschaft wies auch der Kunst ihre richtige
Stelle an. Die Schöpfungen derselben waren nicht mehr ausschließlich zu dem
Handlangerdienst verurtheilt, manche Dunkelheiten der Literatur durch Illustration
aufzuhellen. Gewiß gewähren sie auch diesen Nutzen, die Archäologie leistet
der Mythologie und Literaturgeschichte sogar noch erheblichere Dienste, indem
sie aus dem Schatze ihrer Denkmäler wichtige Ergänzungen der anderweitig uns
überlieferten Kunde darbietet. Aber die eigentliche Bedeutung der Kunstwerke
ist eine andre. selbständig und in gleicher Berechtigung stehen sie neben den
Erzeugnissen der Literatur, da sie nicht minder eine originale Schöpfung des
Geistes sind, als die Werke der Poesie. Ja die Alterthumswissenschaft kann
einer eingehenden Betrachtung der Kunst um so weniger entrathen, je ausnahms¬
loser sich zumal in dem hellenischen Volke das Bedürfniß zeigt, für den Inhalt,
den Kern, eine entsprechende Form zu finden, welche das Wesen und die Be¬
deutung desselben in veredelnder Weise zum Ausdruck bringt und erklärt, das
heißt eben eine künstlerische Form. Wo nur irgendein Gedanke eine Dar¬
stellung im Raume erheischte oder zuließ, die bildende Kunst der Griechen hat
sich dessen bemächtigt, von den zum täglichen Gebrauch bestimmten Gerüchen
bis zu den Schilderungen der Großthaten der Vorzeit, in glänzenden Werken
der Plastik und Malerei, bis zu dem unvergleichlichen Organismus des helleni¬
schen Tempels, wo alle Künste sich zum höchsten sichtbaren Ausdrucke der reli¬
giösen Gedanken und Gefühle vereinigt haben. Wer an all der Pracht vor¬
übergeht, ohne ihr mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken, der beraubt nicht
nur sich selber hohen Genusses, er lernt auch die Griechen nur halb kennen, er
gelangt nie zu einer vollen Anschauung hellenischen Geisteslebens, hellenischer
Schöpferkraft. Die Kunstgeschichte verlangt gebieterisch ihren Platz neben der
Geschichte der Literatur.

Die Entdeckungen auf diesem Felde gehen zum Theil Hand in Hand mit
der Ausbreitung der geographischen Kenntniß von den classischen Ländern. Es
ward oben bereits auf die Burgen und Tempelruinen Griechenlands hingewiesen,
welche zu Anfang unsres Jahrhunderts entdeckt oder durchsucht wurden; es ist
um so weniger nöthig diesen Punkt hier weiter zu verfolgen, als vor nicht gar
langer Zeit in diesem Blatte eine Betrachtung der Aufgaben, welche die Ge>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/67>, abgerufen am 25.07.2024.