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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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schichte der alten Kunst heutzutage zu lösen hat, auch zu einem Ueberblick über
die wichtigsten neueren Entdeckungen auf diesem Gebiete führte. Hier gilt es
nur darauf aufmerksam zu machen, wie leicht es allmälig einem jeden gemacht
wird, sich einige eigne Anschauung antiker Kunstwerke zu verschaffen. Fast jede
Universitätsstadt besitzt, seit Welcker in Bonn den Anfang gemacht, ihr größeres
oder kleineres Gipsmuseum; meistens fehlt es auch nicht an einem Docenten,
der die Adepten die schwierige Kunst des Sehens lehrt. Und wen führte sein
Weg nicht einmal nach Berlin und in das neue Museum? Audebert von dem
mykenäischen Löwenthor, dessen Abguß die preußische Expedition vom Jahre
1862 heimgebracht hat, mag er dort die ganze Folge der griechischen und rö¬
mischen Kunstentwickelung rasch überfliegen oder in sinniger Einzelbetrachtung
sich zu eigen machen, je nachdem Zeit und Lust ihn treibt. Andern wird die
nächste Bibliothek dies oder jenes Prachtwerk zu Gebote stellen, aus dem sie
sich ihre Anschauung holen können. Die Bemühungen des Buchhandels um
Popularisirung der Kunstforschung und um zweckmäßige Illustration der zahl¬
reichen, jenem Zwecke dienenden Handbücher setzen weiterhin einen jeden in den
Stand, seiner Bibliothek, auch der bescheidensten, das eine oder das andere
Anschauungsmittel einzuverleiben. Endlich haben sich längst der Mode der
Bisttenkartenporträls auch die alten Statuen und Büsten anbequemen müssen;
der Apollon vom Belvedere oder die sinnende Polyhymnia, auch sogar die
melische Aphrodite, obgleich ohne Arme und in gar nicht salonmäßigem Kostüm,
erfahren nicht selten die Ehre, im Photographiealbum den Platz hinter den
Schönheiten der Familie einzunehmen.

Aber noch weiter! Lange schon hat der alte Spruch


nicht ist jeglichem Manne die Reise vergönnt nach Korinthos

seine Wahrheit verloren und verliert sie von Tage zu Tage mehr. Italien ist
längst das Ziel zahlreicher Ferienreisen geworden, und die Zahl der jungen und
alten Alterthumsforscher, welche ein oder auch wohl mehre Wanderjahre dort
zugebracht haben, ist nicht mehr gering. Der preußische Staat entsendet all¬
jährlich einige junge Philologen aus öffentliche Kosten dahin, in richtiger Er¬
kenntniß der Bedeutung, welche die selbsterworbene Anschauung für die späteren
Schulmänner oder Universitätslehrer haben muß. Es ist ein rühmenswerther
Anfang, bescheiden freilich, wenn wir erwägen, welch ungeheure Summen die
Nachbarn jenseits des Rheins seit langer Zeit auf ihre 6voies trantzaisös in
Rom und Athen und auf ihre zahllosen mi8sions seierrMcjULS verwenden.
Griechenland ist schwerer zu erreichen, sowohl wegen der größeren Entfernung
und der mangelhaften Transportmittel, wie wegen der bedeutenderen Kosten einer
griechischen Reise. Und doch wächst auch die Zahl philologischer Namen im
athenischen Fremdenbuche unaufhörlich; ja es ließe sich ein deutscher Schulmann


schichte der alten Kunst heutzutage zu lösen hat, auch zu einem Ueberblick über
die wichtigsten neueren Entdeckungen auf diesem Gebiete führte. Hier gilt es
nur darauf aufmerksam zu machen, wie leicht es allmälig einem jeden gemacht
wird, sich einige eigne Anschauung antiker Kunstwerke zu verschaffen. Fast jede
Universitätsstadt besitzt, seit Welcker in Bonn den Anfang gemacht, ihr größeres
oder kleineres Gipsmuseum; meistens fehlt es auch nicht an einem Docenten,
der die Adepten die schwierige Kunst des Sehens lehrt. Und wen führte sein
Weg nicht einmal nach Berlin und in das neue Museum? Audebert von dem
mykenäischen Löwenthor, dessen Abguß die preußische Expedition vom Jahre
1862 heimgebracht hat, mag er dort die ganze Folge der griechischen und rö¬
mischen Kunstentwickelung rasch überfliegen oder in sinniger Einzelbetrachtung
sich zu eigen machen, je nachdem Zeit und Lust ihn treibt. Andern wird die
nächste Bibliothek dies oder jenes Prachtwerk zu Gebote stellen, aus dem sie
sich ihre Anschauung holen können. Die Bemühungen des Buchhandels um
Popularisirung der Kunstforschung und um zweckmäßige Illustration der zahl¬
reichen, jenem Zwecke dienenden Handbücher setzen weiterhin einen jeden in den
Stand, seiner Bibliothek, auch der bescheidensten, das eine oder das andere
Anschauungsmittel einzuverleiben. Endlich haben sich längst der Mode der
Bisttenkartenporträls auch die alten Statuen und Büsten anbequemen müssen;
der Apollon vom Belvedere oder die sinnende Polyhymnia, auch sogar die
melische Aphrodite, obgleich ohne Arme und in gar nicht salonmäßigem Kostüm,
erfahren nicht selten die Ehre, im Photographiealbum den Platz hinter den
Schönheiten der Familie einzunehmen.

Aber noch weiter! Lange schon hat der alte Spruch


nicht ist jeglichem Manne die Reise vergönnt nach Korinthos

seine Wahrheit verloren und verliert sie von Tage zu Tage mehr. Italien ist
längst das Ziel zahlreicher Ferienreisen geworden, und die Zahl der jungen und
alten Alterthumsforscher, welche ein oder auch wohl mehre Wanderjahre dort
zugebracht haben, ist nicht mehr gering. Der preußische Staat entsendet all¬
jährlich einige junge Philologen aus öffentliche Kosten dahin, in richtiger Er¬
kenntniß der Bedeutung, welche die selbsterworbene Anschauung für die späteren
Schulmänner oder Universitätslehrer haben muß. Es ist ein rühmenswerther
Anfang, bescheiden freilich, wenn wir erwägen, welch ungeheure Summen die
Nachbarn jenseits des Rheins seit langer Zeit auf ihre 6voies trantzaisös in
Rom und Athen und auf ihre zahllosen mi8sions seierrMcjULS verwenden.
Griechenland ist schwerer zu erreichen, sowohl wegen der größeren Entfernung
und der mangelhaften Transportmittel, wie wegen der bedeutenderen Kosten einer
griechischen Reise. Und doch wächst auch die Zahl philologischer Namen im
athenischen Fremdenbuche unaufhörlich; ja es ließe sich ein deutscher Schulmann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/68>, abgerufen am 22.12.2024.