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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Landschaft sich in unzählige unbedeutende Landgemeinden zersplitterte. Athen,
in der Mitte einer steinigen, ziemlich unfruchtbaren, auf drei Seiten von hohen
Bergen eingeschlossenen Ebene gelegen, ward von der Natur selbst auf das Meer
gewiesen, gegen das sich die Ebene im Südwesten öffnet; die köstlichste Hafen¬
halbinsel, welche die Welt kennt, die des Peiräeus, war die natürliche Wiege
der attischen Seemacht. Wie anders dagegen Sparta! Abgeschnitten vom Meere,
ringsum von schützenden Bergen umgeben, liegt das hohle Lakedämon, wie eine
Mulde voll des reichsten Fruchtsegens; hier der auch im heißesten Sommer nie
versiegende Eurotas, dessen Bette mit röthlichem Oleander auegesetzt ist, --
dort, unmittelbar am Fuße des jähen schneebedeckten Taygetos, ein lang hin¬
gestreckter Wald von Oelbäumen und Orangen -- inmitten üppige Saatfelder.
Da hatten die Spartiaten alles beisammen, dessen sie bedurften, und doch sorgte
die rauhe Gebirgsmauer dafür, daß sie nicht verweichlichten, während in dem
benachbarten Messenien der dorische Bruderstamm verkam und unterging, weil
der noch weit reicheren Natur die Abgeschlossenheit und die rauhe, die Kräfte
Stadtende Gebirgsumgcbuug nicht in gleichem Maße zur Seite stand. Blicken
wir endlich noch nach Nvrdgricchenland, so finden wir, daß die einzige große
Landstraße von dem Nordrhore Griechenlands, den Thermopylen, nach dem
Peloponnes durch den weiten boiotischen Bergkessel führt, eingeengt zwischen
hohen Bergen und weiten Sumpfstrecken, bei Chäroneia, Orchomenos, Koroneia
vorbei bis in die südlichere Ebene von Leuktra und Platäa -- so viel Namen,
so viel Entscheidungskampfe, von der glorreichen Abwehr der Barbaren, durch
die blutigen Fehden der griechischen Staaten unter einander, bis zum Unter¬
gange griechischer Selbständigkeit. Die Natur selbst hatte den Kriegen diese
Stätte bezeichnet.

Die Beispiele werden genügen, um auf den Zusammenhang zwischen der
physischen Beschaffenheit des Landes und der Entwickelung der Bewohner hin¬
zuweisen. Als Nun auf Böckhs Anregung die Untersuchung der einzelnen
griechischen Stämme, Staaten und Städte nach ihren Besonderheiten begann,
da machte sich bald auch für die Philologie die Nothwendigkeit fühlbar, das
Land selbst in seiner Bielgeflaltigkcit kennen zu lernen. Dies Bedürfniß im
Interesse der Philologie hat zuerst K. O. Müller nar erkannt und schon in
seiner Erstlingsarbeit über Aegina ausgesprochen; er hat es weiter verfolgt in
allen seinen späteren Werken und hat die ebendahin gerichteten Bestrebungen
Andrer mit dem lebhaftesten Interesse begleitet und gefördert, bis es zuletzt ihm
selbst möglich ward Griechenland aufzusuchen -- um nicht wieder heimzukehren.
Sein eigener Lieblingsgott Helios-Apollon traf >du i" Delphi selbst, an den
Grundmauern des pythische" Tempels, mit den tödtlichen Pfeilen seiner Juli-
sonnc. Aber sein Reisebegleiter und späterer Nachfolger aus dem göttinger
Lehrstuhl, Ernst Curtius, zugleich ein Schüler Ritters und Böckhs. hat das


Landschaft sich in unzählige unbedeutende Landgemeinden zersplitterte. Athen,
in der Mitte einer steinigen, ziemlich unfruchtbaren, auf drei Seiten von hohen
Bergen eingeschlossenen Ebene gelegen, ward von der Natur selbst auf das Meer
gewiesen, gegen das sich die Ebene im Südwesten öffnet; die köstlichste Hafen¬
halbinsel, welche die Welt kennt, die des Peiräeus, war die natürliche Wiege
der attischen Seemacht. Wie anders dagegen Sparta! Abgeschnitten vom Meere,
ringsum von schützenden Bergen umgeben, liegt das hohle Lakedämon, wie eine
Mulde voll des reichsten Fruchtsegens; hier der auch im heißesten Sommer nie
versiegende Eurotas, dessen Bette mit röthlichem Oleander auegesetzt ist, —
dort, unmittelbar am Fuße des jähen schneebedeckten Taygetos, ein lang hin¬
gestreckter Wald von Oelbäumen und Orangen — inmitten üppige Saatfelder.
Da hatten die Spartiaten alles beisammen, dessen sie bedurften, und doch sorgte
die rauhe Gebirgsmauer dafür, daß sie nicht verweichlichten, während in dem
benachbarten Messenien der dorische Bruderstamm verkam und unterging, weil
der noch weit reicheren Natur die Abgeschlossenheit und die rauhe, die Kräfte
Stadtende Gebirgsumgcbuug nicht in gleichem Maße zur Seite stand. Blicken
wir endlich noch nach Nvrdgricchenland, so finden wir, daß die einzige große
Landstraße von dem Nordrhore Griechenlands, den Thermopylen, nach dem
Peloponnes durch den weiten boiotischen Bergkessel führt, eingeengt zwischen
hohen Bergen und weiten Sumpfstrecken, bei Chäroneia, Orchomenos, Koroneia
vorbei bis in die südlichere Ebene von Leuktra und Platäa — so viel Namen,
so viel Entscheidungskampfe, von der glorreichen Abwehr der Barbaren, durch
die blutigen Fehden der griechischen Staaten unter einander, bis zum Unter¬
gange griechischer Selbständigkeit. Die Natur selbst hatte den Kriegen diese
Stätte bezeichnet.

Die Beispiele werden genügen, um auf den Zusammenhang zwischen der
physischen Beschaffenheit des Landes und der Entwickelung der Bewohner hin¬
zuweisen. Als Nun auf Böckhs Anregung die Untersuchung der einzelnen
griechischen Stämme, Staaten und Städte nach ihren Besonderheiten begann,
da machte sich bald auch für die Philologie die Nothwendigkeit fühlbar, das
Land selbst in seiner Bielgeflaltigkcit kennen zu lernen. Dies Bedürfniß im
Interesse der Philologie hat zuerst K. O. Müller nar erkannt und schon in
seiner Erstlingsarbeit über Aegina ausgesprochen; er hat es weiter verfolgt in
allen seinen späteren Werken und hat die ebendahin gerichteten Bestrebungen
Andrer mit dem lebhaftesten Interesse begleitet und gefördert, bis es zuletzt ihm
selbst möglich ward Griechenland aufzusuchen — um nicht wieder heimzukehren.
Sein eigener Lieblingsgott Helios-Apollon traf >du i» Delphi selbst, an den
Grundmauern des pythische» Tempels, mit den tödtlichen Pfeilen seiner Juli-
sonnc. Aber sein Reisebegleiter und späterer Nachfolger aus dem göttinger
Lehrstuhl, Ernst Curtius, zugleich ein Schüler Ritters und Böckhs. hat das


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[0066] Landschaft sich in unzählige unbedeutende Landgemeinden zersplitterte. Athen, in der Mitte einer steinigen, ziemlich unfruchtbaren, auf drei Seiten von hohen Bergen eingeschlossenen Ebene gelegen, ward von der Natur selbst auf das Meer gewiesen, gegen das sich die Ebene im Südwesten öffnet; die köstlichste Hafen¬ halbinsel, welche die Welt kennt, die des Peiräeus, war die natürliche Wiege der attischen Seemacht. Wie anders dagegen Sparta! Abgeschnitten vom Meere, ringsum von schützenden Bergen umgeben, liegt das hohle Lakedämon, wie eine Mulde voll des reichsten Fruchtsegens; hier der auch im heißesten Sommer nie versiegende Eurotas, dessen Bette mit röthlichem Oleander auegesetzt ist, — dort, unmittelbar am Fuße des jähen schneebedeckten Taygetos, ein lang hin¬ gestreckter Wald von Oelbäumen und Orangen — inmitten üppige Saatfelder. Da hatten die Spartiaten alles beisammen, dessen sie bedurften, und doch sorgte die rauhe Gebirgsmauer dafür, daß sie nicht verweichlichten, während in dem benachbarten Messenien der dorische Bruderstamm verkam und unterging, weil der noch weit reicheren Natur die Abgeschlossenheit und die rauhe, die Kräfte Stadtende Gebirgsumgcbuug nicht in gleichem Maße zur Seite stand. Blicken wir endlich noch nach Nvrdgricchenland, so finden wir, daß die einzige große Landstraße von dem Nordrhore Griechenlands, den Thermopylen, nach dem Peloponnes durch den weiten boiotischen Bergkessel führt, eingeengt zwischen hohen Bergen und weiten Sumpfstrecken, bei Chäroneia, Orchomenos, Koroneia vorbei bis in die südlichere Ebene von Leuktra und Platäa — so viel Namen, so viel Entscheidungskampfe, von der glorreichen Abwehr der Barbaren, durch die blutigen Fehden der griechischen Staaten unter einander, bis zum Unter¬ gange griechischer Selbständigkeit. Die Natur selbst hatte den Kriegen diese Stätte bezeichnet. Die Beispiele werden genügen, um auf den Zusammenhang zwischen der physischen Beschaffenheit des Landes und der Entwickelung der Bewohner hin¬ zuweisen. Als Nun auf Böckhs Anregung die Untersuchung der einzelnen griechischen Stämme, Staaten und Städte nach ihren Besonderheiten begann, da machte sich bald auch für die Philologie die Nothwendigkeit fühlbar, das Land selbst in seiner Bielgeflaltigkcit kennen zu lernen. Dies Bedürfniß im Interesse der Philologie hat zuerst K. O. Müller nar erkannt und schon in seiner Erstlingsarbeit über Aegina ausgesprochen; er hat es weiter verfolgt in allen seinen späteren Werken und hat die ebendahin gerichteten Bestrebungen Andrer mit dem lebhaftesten Interesse begleitet und gefördert, bis es zuletzt ihm selbst möglich ward Griechenland aufzusuchen — um nicht wieder heimzukehren. Sein eigener Lieblingsgott Helios-Apollon traf >du i» Delphi selbst, an den Grundmauern des pythische» Tempels, mit den tödtlichen Pfeilen seiner Juli- sonnc. Aber sein Reisebegleiter und späterer Nachfolger aus dem göttinger Lehrstuhl, Ernst Curtius, zugleich ein Schüler Ritters und Böckhs. hat das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/66>, abgerufen am 25.07.2024.