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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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früheren abstracten Auffassung befreite, wenn er sie sozusagen mit Fleisch und
Blut versah, so ward er freilich zunächst nur von den ihm angeborenen Eigen¬
schaften des echten Historikers, von lebendigstem Gefühl und feinstem Tact für
historische Erscheinungen, sowie von seinen staunenswerthen sonstigen Kenntnissen
geleitet; geschärft aber ward sein Blick nachträglich durch die langjährige leben¬
dige Anschauung des heutigen Bodens und Volkes von Rom. Dies Hinein¬
leben in den Charakter, in die Denkweise, in die Bräuche der heutigen Römer
und Italiener überhaupt, dann das klare Bild des Locals, i" dem die römische
Geschichte namentlich der ersten Jahrhunderte sich abspielt, das bewirkt ebenfalls
zu gutem Theile den wunderbaren Zauber der Frische und Lebendigkeit, welcher
sich über das Werk des größten Schülers Nievuhrs, die römische Geschichte
Theodor Mommsens breitet.

Grade hier greift die Thätigkeit eines anderen Mannes ein. dessen Wirk¬
samkeit für den schon mehrfach bezeichneten Gesichtspunkt nicht hoch genug an¬
geschlagen werden kann; ich meine den Schöpfer der modernen Geographie Karl
Ritter. Er hat zuerst scharf und consequent das Wechselverhältniß hervorgehoben,
welches zwischen der Natur eines Landes und dem darin wohnenden und sich
entwickelnden Volke besteht. Einseitig freilich würde es sein, wollte man die
Volksentwickelung lediglich als ein Product klimatischer und sonstiger äußeren
Einwirkungen der umgebenden Natur betrachten und alle anderen mitwirkenden
Bedingungen ignoriren, wie eng aber der Zusammenhang zwischen Natur und
Geschichte in der That ist, das zeigt sich wohl an keinem Lande so greifbar
wie an Griechenland. Italien mit seinem langen Rückgrat der Apenninenkette
ist weit einförmiger gestaltet und bietet einer einheitlichen Machtconcentration
weit weniger Hindernisse dar. Dort, in Griechenland, bilden zuvörderst die
fortlaufenden mehrfachen Reihen von Inseln, welche das äzäische Meer durch,
ziehen, die natürliche Brücke zwischen den reichen Flußebenen und weit vor¬
gestreckten Halbinseln des vorderen Kleinasiens. und der durch den gleichen
Formenreichthum ausgezeichneten Ostküste des griechischen Halbinsellandes. Das
ägäische Jnselmeer ist in der That der Mittelpunkt Griechenlands und der grie¬
chischen Geschichte, der Vermittler zwischen den asiatischen und europäischen
Hellenen. Während an der Ostküste Griechenlands ein schöner Hafen dem
andern, eine reichentwickelte Landschaft der andern folgt, ist die Italien zu-
gewandte Rückseite des Landes mit wenigen Ausnahmen durch flache sandige
Uferstrecken oder durch gefährliche zerrissene Steilküsten der Schiffahrt unzugäng¬
lich. Dem entsprechend tritt die Bedeutung dieser Landestheile in der Geschichte
zurück. Das östliche Arkadien, durch hohe mit einander Verbundene Bergzüge
in viele geschlossene Thäler getheilt, war der Sitz einer ganzen Reihe von selb¬
ständigen kleinen Herren oder Freistaaten, während der westliche nicht so klar
gegliederte, sondern von rauhen Gebirgen planlos durchzogene Theil derselben


früheren abstracten Auffassung befreite, wenn er sie sozusagen mit Fleisch und
Blut versah, so ward er freilich zunächst nur von den ihm angeborenen Eigen¬
schaften des echten Historikers, von lebendigstem Gefühl und feinstem Tact für
historische Erscheinungen, sowie von seinen staunenswerthen sonstigen Kenntnissen
geleitet; geschärft aber ward sein Blick nachträglich durch die langjährige leben¬
dige Anschauung des heutigen Bodens und Volkes von Rom. Dies Hinein¬
leben in den Charakter, in die Denkweise, in die Bräuche der heutigen Römer
und Italiener überhaupt, dann das klare Bild des Locals, i» dem die römische
Geschichte namentlich der ersten Jahrhunderte sich abspielt, das bewirkt ebenfalls
zu gutem Theile den wunderbaren Zauber der Frische und Lebendigkeit, welcher
sich über das Werk des größten Schülers Nievuhrs, die römische Geschichte
Theodor Mommsens breitet.

Grade hier greift die Thätigkeit eines anderen Mannes ein. dessen Wirk¬
samkeit für den schon mehrfach bezeichneten Gesichtspunkt nicht hoch genug an¬
geschlagen werden kann; ich meine den Schöpfer der modernen Geographie Karl
Ritter. Er hat zuerst scharf und consequent das Wechselverhältniß hervorgehoben,
welches zwischen der Natur eines Landes und dem darin wohnenden und sich
entwickelnden Volke besteht. Einseitig freilich würde es sein, wollte man die
Volksentwickelung lediglich als ein Product klimatischer und sonstiger äußeren
Einwirkungen der umgebenden Natur betrachten und alle anderen mitwirkenden
Bedingungen ignoriren, wie eng aber der Zusammenhang zwischen Natur und
Geschichte in der That ist, das zeigt sich wohl an keinem Lande so greifbar
wie an Griechenland. Italien mit seinem langen Rückgrat der Apenninenkette
ist weit einförmiger gestaltet und bietet einer einheitlichen Machtconcentration
weit weniger Hindernisse dar. Dort, in Griechenland, bilden zuvörderst die
fortlaufenden mehrfachen Reihen von Inseln, welche das äzäische Meer durch,
ziehen, die natürliche Brücke zwischen den reichen Flußebenen und weit vor¬
gestreckten Halbinseln des vorderen Kleinasiens. und der durch den gleichen
Formenreichthum ausgezeichneten Ostküste des griechischen Halbinsellandes. Das
ägäische Jnselmeer ist in der That der Mittelpunkt Griechenlands und der grie¬
chischen Geschichte, der Vermittler zwischen den asiatischen und europäischen
Hellenen. Während an der Ostküste Griechenlands ein schöner Hafen dem
andern, eine reichentwickelte Landschaft der andern folgt, ist die Italien zu-
gewandte Rückseite des Landes mit wenigen Ausnahmen durch flache sandige
Uferstrecken oder durch gefährliche zerrissene Steilküsten der Schiffahrt unzugäng¬
lich. Dem entsprechend tritt die Bedeutung dieser Landestheile in der Geschichte
zurück. Das östliche Arkadien, durch hohe mit einander Verbundene Bergzüge
in viele geschlossene Thäler getheilt, war der Sitz einer ganzen Reihe von selb¬
ständigen kleinen Herren oder Freistaaten, während der westliche nicht so klar
gegliederte, sondern von rauhen Gebirgen planlos durchzogene Theil derselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/65>, abgerufen am 25.07.2024.