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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Aus den sandigsten Strecken der Mark Brandenburg erwuchs der Mann,
den zuerst die glühende Sehnsucht, nicht blos zu lesen in den Werken der Alten
und aus der Ferne das Alterthum zu erkennen, sondern zum lebendigen Er¬
schauen desselben zu gelangen gen Süden führte und neue Bahnen der Wissen¬
schaft einschlagen ließ. Schon als Student war Winckelmann, da Cäsars Schil¬
derung des gallischen Krieges ihn lebhaft ergriff, trotz gänzlicher Mittellosigkeit
aufgebrochen, um an Ort und Stelle dieselbe unmittelbarer auf sich wirken zu
lassen und gründlicher zu verstehen. Homer und Sophokles nebst den übrigen
griechischen Dichtern waren seine nächsten Vertrauten, die griechische Poesie in
ihrer lautern Schönheit war in ihm völlig lebendig geworden. Da "erweckten
die Kunstcabinete Potsdams und Dresdens in ihm den unbezwinglichen Wunsch,
die Lande der Römer und der Griechen, die er längst in der Seele suchte, nun
auch leibhaftig anzuschauen. Auch der theuerste Preis war ihm nicht zu hoch,
um dies zu erreichen. Kaum aber war er in Rom, so stürzte er sich mit ganzer
Seele in die Fülle der Eindrücke. Jedoch versank er nicht wie so Viele vor
ihm in den Strudel kleinlicher antiquarischen Detailuntersuchungen -- so wenig
er dieselben auch, wo sie nöthig waren, verschmähte -- sondern strebte unver¬
rückt dem einen Ziele zu, den Geist der Alten, insbesondere ihre Poesie in ihrer
Gesammtheit zu erfassen und in sich wieder lebendig werden zu lassen, die Poesie,
welche nicht blos in dem gesungenen und geschriebenen Dichterworte wirkt, son¬
dern ebenso die Werke der bildenden Künste geschaffen hat und durchweht.
Daher ist, wie erst vor Jahresfrist in diesen Blättern ausgeführt ward, Winckel-
manns Geschichte der alten Kunst ein Werk von' so unermeßlicher Bedeutung,
weit über die nächsten Grenzen des Stoffes hinaus, weil hier zuerst der Ver¬
such gemacht worden ist, ein Gebiet des poetischen Schaffens nicht vereinzelt,
sondern im Zusammenhange des Ganzen darzustellen, die Kunstentwickelung als
einen Theil der gesammten Geistes- und Culturentwickelung aufzufassen. Die
reine Sprachphiiologie hat es auch heute noch nicht aufgegeben, von der Höhe
ihrer doch auch erst allmälig erworbenen sichren Methode herab der Archäologie,
der Wissenschaft von der alten Kunst, ihren Mangel an Methode vorzuwerfen. Es
ist hier nicht der Ort zu untersuchen, ob dieser Vorwurf noch immer ein ge¬
rechter sei, wohl aber darf daran erinnert werden, daß von der Archäologie aus
der erste Versuch gemacht worden ist, in dem bezeichneten großartigen Sinn
einen Theil des Alterthums wahrhaft historisch zu erforschen und künstlerisch
darzustellen. Und auch das muß dankbar anerkannt bleiben, daß bei niemandem
zuvor die unvergängliche Schönheit der antiken Poesie und Kunst eine so helle
Flamme nachempfindender Begeisterung entzündet hatte, daß von keinem Andern
das Alterthum so lebendig angeschaut und mit so überzeugungskräftiger Wärme
geschildert worden war, wie von Winckelmann.

So lebhaft die Bewunderung war, welche diesem von künstlerischer und


Aus den sandigsten Strecken der Mark Brandenburg erwuchs der Mann,
den zuerst die glühende Sehnsucht, nicht blos zu lesen in den Werken der Alten
und aus der Ferne das Alterthum zu erkennen, sondern zum lebendigen Er¬
schauen desselben zu gelangen gen Süden führte und neue Bahnen der Wissen¬
schaft einschlagen ließ. Schon als Student war Winckelmann, da Cäsars Schil¬
derung des gallischen Krieges ihn lebhaft ergriff, trotz gänzlicher Mittellosigkeit
aufgebrochen, um an Ort und Stelle dieselbe unmittelbarer auf sich wirken zu
lassen und gründlicher zu verstehen. Homer und Sophokles nebst den übrigen
griechischen Dichtern waren seine nächsten Vertrauten, die griechische Poesie in
ihrer lautern Schönheit war in ihm völlig lebendig geworden. Da „erweckten
die Kunstcabinete Potsdams und Dresdens in ihm den unbezwinglichen Wunsch,
die Lande der Römer und der Griechen, die er längst in der Seele suchte, nun
auch leibhaftig anzuschauen. Auch der theuerste Preis war ihm nicht zu hoch,
um dies zu erreichen. Kaum aber war er in Rom, so stürzte er sich mit ganzer
Seele in die Fülle der Eindrücke. Jedoch versank er nicht wie so Viele vor
ihm in den Strudel kleinlicher antiquarischen Detailuntersuchungen — so wenig
er dieselben auch, wo sie nöthig waren, verschmähte — sondern strebte unver¬
rückt dem einen Ziele zu, den Geist der Alten, insbesondere ihre Poesie in ihrer
Gesammtheit zu erfassen und in sich wieder lebendig werden zu lassen, die Poesie,
welche nicht blos in dem gesungenen und geschriebenen Dichterworte wirkt, son¬
dern ebenso die Werke der bildenden Künste geschaffen hat und durchweht.
Daher ist, wie erst vor Jahresfrist in diesen Blättern ausgeführt ward, Winckel-
manns Geschichte der alten Kunst ein Werk von' so unermeßlicher Bedeutung,
weit über die nächsten Grenzen des Stoffes hinaus, weil hier zuerst der Ver¬
such gemacht worden ist, ein Gebiet des poetischen Schaffens nicht vereinzelt,
sondern im Zusammenhange des Ganzen darzustellen, die Kunstentwickelung als
einen Theil der gesammten Geistes- und Culturentwickelung aufzufassen. Die
reine Sprachphiiologie hat es auch heute noch nicht aufgegeben, von der Höhe
ihrer doch auch erst allmälig erworbenen sichren Methode herab der Archäologie,
der Wissenschaft von der alten Kunst, ihren Mangel an Methode vorzuwerfen. Es
ist hier nicht der Ort zu untersuchen, ob dieser Vorwurf noch immer ein ge¬
rechter sei, wohl aber darf daran erinnert werden, daß von der Archäologie aus
der erste Versuch gemacht worden ist, in dem bezeichneten großartigen Sinn
einen Theil des Alterthums wahrhaft historisch zu erforschen und künstlerisch
darzustellen. Und auch das muß dankbar anerkannt bleiben, daß bei niemandem
zuvor die unvergängliche Schönheit der antiken Poesie und Kunst eine so helle
Flamme nachempfindender Begeisterung entzündet hatte, daß von keinem Andern
das Alterthum so lebendig angeschaut und mit so überzeugungskräftiger Wärme
geschildert worden war, wie von Winckelmann.

So lebhaft die Bewunderung war, welche diesem von künstlerischer und


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[0058] Aus den sandigsten Strecken der Mark Brandenburg erwuchs der Mann, den zuerst die glühende Sehnsucht, nicht blos zu lesen in den Werken der Alten und aus der Ferne das Alterthum zu erkennen, sondern zum lebendigen Er¬ schauen desselben zu gelangen gen Süden führte und neue Bahnen der Wissen¬ schaft einschlagen ließ. Schon als Student war Winckelmann, da Cäsars Schil¬ derung des gallischen Krieges ihn lebhaft ergriff, trotz gänzlicher Mittellosigkeit aufgebrochen, um an Ort und Stelle dieselbe unmittelbarer auf sich wirken zu lassen und gründlicher zu verstehen. Homer und Sophokles nebst den übrigen griechischen Dichtern waren seine nächsten Vertrauten, die griechische Poesie in ihrer lautern Schönheit war in ihm völlig lebendig geworden. Da „erweckten die Kunstcabinete Potsdams und Dresdens in ihm den unbezwinglichen Wunsch, die Lande der Römer und der Griechen, die er längst in der Seele suchte, nun auch leibhaftig anzuschauen. Auch der theuerste Preis war ihm nicht zu hoch, um dies zu erreichen. Kaum aber war er in Rom, so stürzte er sich mit ganzer Seele in die Fülle der Eindrücke. Jedoch versank er nicht wie so Viele vor ihm in den Strudel kleinlicher antiquarischen Detailuntersuchungen — so wenig er dieselben auch, wo sie nöthig waren, verschmähte — sondern strebte unver¬ rückt dem einen Ziele zu, den Geist der Alten, insbesondere ihre Poesie in ihrer Gesammtheit zu erfassen und in sich wieder lebendig werden zu lassen, die Poesie, welche nicht blos in dem gesungenen und geschriebenen Dichterworte wirkt, son¬ dern ebenso die Werke der bildenden Künste geschaffen hat und durchweht. Daher ist, wie erst vor Jahresfrist in diesen Blättern ausgeführt ward, Winckel- manns Geschichte der alten Kunst ein Werk von' so unermeßlicher Bedeutung, weit über die nächsten Grenzen des Stoffes hinaus, weil hier zuerst der Ver¬ such gemacht worden ist, ein Gebiet des poetischen Schaffens nicht vereinzelt, sondern im Zusammenhange des Ganzen darzustellen, die Kunstentwickelung als einen Theil der gesammten Geistes- und Culturentwickelung aufzufassen. Die reine Sprachphiiologie hat es auch heute noch nicht aufgegeben, von der Höhe ihrer doch auch erst allmälig erworbenen sichren Methode herab der Archäologie, der Wissenschaft von der alten Kunst, ihren Mangel an Methode vorzuwerfen. Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, ob dieser Vorwurf noch immer ein ge¬ rechter sei, wohl aber darf daran erinnert werden, daß von der Archäologie aus der erste Versuch gemacht worden ist, in dem bezeichneten großartigen Sinn einen Theil des Alterthums wahrhaft historisch zu erforschen und künstlerisch darzustellen. Und auch das muß dankbar anerkannt bleiben, daß bei niemandem zuvor die unvergängliche Schönheit der antiken Poesie und Kunst eine so helle Flamme nachempfindender Begeisterung entzündet hatte, daß von keinem Andern das Alterthum so lebendig angeschaut und mit so überzeugungskräftiger Wärme geschildert worden war, wie von Winckelmann. So lebhaft die Bewunderung war, welche diesem von künstlerischer und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/58>, abgerufen am 22.12.2024.