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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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masius' Briefen meint gradezu, Rom besitze nichts Besondres, um dessen willen
es sich lohne oder gar erforderlich sei, dorthin zu wandern; "überdies," fährt er
fort "haben wir ja alles, was nur zur gelehrten Kenntniß des Alterthums bei¬
tragen kann, Inschriften oder anderweitige Denkmäler, durch die Fürsorge der
Augenzeugen im Druck und in artigen Abbildungen dargestellt, sogar weit zier¬
licher und dess er, als diese Dinge an Ort und Stelle zu sehen sind."

Freilich dachten nicht alle wie dieser Jesuit. Die Zahl derer, welche nach
Italien pilgerten und nicht unbedeutende Früchte von ihren Wallfahrten herein¬
brachten, ist beträchtlich genug. In Italien selbst fehlte es auch nicht ganz an
Männern, welche den heimischen Antiquitäten ein ernsthafteres Studium zu¬
wandten. Desgleichen entstanden allmälig auch außerhalb Italiens Museen für
Alterthümer, namentlich Münzsammlungen. Inschriften und Münzen waren
überhaupt lange Zeit diejenigen Monumente, welche in vorzüglicher Gunst bei
Sammlern und Gelehrten standen; leicht transportabel waren namentlich die
Münzen am bequemsten zugänglich (freilich auch oft gefälscht), sie dienten nicht
allein historischen Untersuchungen, sondern waren auch besonders geeignet, hier
und da als Belege anderweitig überlieferter Nachrichten zu dienen. Denn das
ist im Wesentlichen die Anschauungsweise jener Zeit der "Antiquitäten", der
Werth der "Monumente" -- um diesen allgemeinste" Ausdruck zu gebrauchen --
beruhe auf der Verwendbarkeit derselben zur Illustration unsrer literarischen
Quellen. Diese allein gelten für würdig, um ihrer selbst willen durchforscht,
verstanden, erklärt zuwerden, nur sie sind glaubwürdige Zeugen und beachtens-
werthe Productionen des Alterthums. ' Daß die Baudenkmäler und die Werke
der bildenden Kunst als directe Erzeugnisse des antiken Geistes ebenbürtig neben
den Werken der Literatur stehen und ihren selbständigen Werth in sich tragen,
daß ferner der Boden der classischen Länder in unmiilelbarster Beziehung zu
den einst darauf lebenden Völkern und deren Entwickelung steht, diese Betrach¬
tungsweise lag jener Zeit noch fast völlig fern. Wo einmal eine Richtung her¬
vortrat, welche jene Ketzereien mit einigem Erfolg durchzuführen suchte, da fand
sich auch alsbald ein Stockphilologe bereit "den anschwellenden Strom in seine
Kanäle abzuleiten", d. h. selber die verwerflichen Disciplinen zu lehren und sie
um so sichrer wieder in Vergessenheit zu begraben, je unwissender der Lehrer
darin war und je vollständiger ihm jede Liebe und Begeisterung für seinen
Stoff mangelte. Nicht zu übersehen ist dabei, daß grade dasjenige der clas¬
sischen Länder, welches die schönsten Kunstwerke barg und den Zusammenhang
zwischen Land und Leuten am klarsten vor Augen zu stellen vermochte, daß
Griechenland noch so gut wie unentdeckt war. Hatte doch gegen Ende des
sechzehnten Jahrhunderts ein deutscher Professor an seine theologischen Korrespon¬
denten in Konstantinopel alles Ernstes die Frage stellen müssen, ob es über¬
haupt noch ein Athen gebe! --


masius' Briefen meint gradezu, Rom besitze nichts Besondres, um dessen willen
es sich lohne oder gar erforderlich sei, dorthin zu wandern; „überdies," fährt er
fort „haben wir ja alles, was nur zur gelehrten Kenntniß des Alterthums bei¬
tragen kann, Inschriften oder anderweitige Denkmäler, durch die Fürsorge der
Augenzeugen im Druck und in artigen Abbildungen dargestellt, sogar weit zier¬
licher und dess er, als diese Dinge an Ort und Stelle zu sehen sind."

Freilich dachten nicht alle wie dieser Jesuit. Die Zahl derer, welche nach
Italien pilgerten und nicht unbedeutende Früchte von ihren Wallfahrten herein¬
brachten, ist beträchtlich genug. In Italien selbst fehlte es auch nicht ganz an
Männern, welche den heimischen Antiquitäten ein ernsthafteres Studium zu¬
wandten. Desgleichen entstanden allmälig auch außerhalb Italiens Museen für
Alterthümer, namentlich Münzsammlungen. Inschriften und Münzen waren
überhaupt lange Zeit diejenigen Monumente, welche in vorzüglicher Gunst bei
Sammlern und Gelehrten standen; leicht transportabel waren namentlich die
Münzen am bequemsten zugänglich (freilich auch oft gefälscht), sie dienten nicht
allein historischen Untersuchungen, sondern waren auch besonders geeignet, hier
und da als Belege anderweitig überlieferter Nachrichten zu dienen. Denn das
ist im Wesentlichen die Anschauungsweise jener Zeit der „Antiquitäten", der
Werth der „Monumente" — um diesen allgemeinste» Ausdruck zu gebrauchen —
beruhe auf der Verwendbarkeit derselben zur Illustration unsrer literarischen
Quellen. Diese allein gelten für würdig, um ihrer selbst willen durchforscht,
verstanden, erklärt zuwerden, nur sie sind glaubwürdige Zeugen und beachtens-
werthe Productionen des Alterthums. ' Daß die Baudenkmäler und die Werke
der bildenden Kunst als directe Erzeugnisse des antiken Geistes ebenbürtig neben
den Werken der Literatur stehen und ihren selbständigen Werth in sich tragen,
daß ferner der Boden der classischen Länder in unmiilelbarster Beziehung zu
den einst darauf lebenden Völkern und deren Entwickelung steht, diese Betrach¬
tungsweise lag jener Zeit noch fast völlig fern. Wo einmal eine Richtung her¬
vortrat, welche jene Ketzereien mit einigem Erfolg durchzuführen suchte, da fand
sich auch alsbald ein Stockphilologe bereit „den anschwellenden Strom in seine
Kanäle abzuleiten", d. h. selber die verwerflichen Disciplinen zu lehren und sie
um so sichrer wieder in Vergessenheit zu begraben, je unwissender der Lehrer
darin war und je vollständiger ihm jede Liebe und Begeisterung für seinen
Stoff mangelte. Nicht zu übersehen ist dabei, daß grade dasjenige der clas¬
sischen Länder, welches die schönsten Kunstwerke barg und den Zusammenhang
zwischen Land und Leuten am klarsten vor Augen zu stellen vermochte, daß
Griechenland noch so gut wie unentdeckt war. Hatte doch gegen Ende des
sechzehnten Jahrhunderts ein deutscher Professor an seine theologischen Korrespon¬
denten in Konstantinopel alles Ernstes die Frage stellen müssen, ob es über¬
haupt noch ein Athen gebe! —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/57>, abgerufen am 02.07.2024.