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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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liebe Recht, das Strafrecht und das Hypothekenrecht in die Einheit der Gesetz¬
gebung mit hineingezogen wissen.

Gegen die Bestimmungen des Entwurfs hat R. dreierlei Bedenken. Das
erste knüpft sich an den Artikel, in welchem es beißt: der Bundesrath beschließt
über Aenderungen der Verfassung mit Vz Mehrheit. Auf die Frage, ob der
Bundesrath für sich allein, ohne Mitwirkung des Reichstags dieses Recht
haben solle, antwortet der Ministerpräsident Gras Bismarck, welcher rechts von
der Nednervühne sitzt, durch eine verneinende Kopfbewegung.

Ein zweites Bedenken hat er gegen das Bundcssteuermescn, welches auf
die mittelalterliche Kopfsteuer zurückgreift. Eine Steuer, welche 100,000 Bremer
ebenso trifft als 100,000 Bewohner des thüringer Waldes, ist unmöglich. Wir
brauchen eine Reicdsstcuer und je mehr wir einsehen, daß wir uns vorläufig
noch mit der Anlage behelfen müssen, desto ernstlicher haben wir uns nach ver¬
fassungsmäßigen Bürgschaften umzusehen, die uns die demnächstige Einführung
einer Reichssteuer sichern. Das führt den Redner zu seinem dritten und größten
Bedenken, der Bedrohung des ständischen Geldbewilligungsrechts.

"Man kann einen neuen Staat durch siegreiche Schlachten auf die Bühne
werfen, aber ihn zu befestigen ohne die Zufriedenheit des besonnenen Kerns
der Nation, das ist heute wie ehedem unmöglich." (Beifall.) Wir sind ent¬
schlossen, der Einheit jedes Opfer an Freiheit zu bringen, das wahrhaft nöthig
und wahrhaft nützlich ist. aber wir läugnen, daß das Opfer des Budgetrechts
nothwendig oder nützlich wäre. Ein Parlament wird nationalen Zwecken gegen¬
über niemals kargen, der Particularismus. der die Phrase der Freiheit auf den
Lippen, und Sondcrinteressen im Herzen trägt (Beifall und Zischen), wird nie¬
mals wieder daS Uebergewicht erlangen, ein Parlament aber ohne Budget¬
recht würde die Saat der Conflicte, des Haders, der Zwietracht über Deutsch¬
land hinstrcuen.

Er stehe dem Entwürfe nicht als nörgelnder, unzufriedener Kritiker, sondern
mit patriotischem Stolze gegenüber, aber dem unnatürlichen Opfer eines so we¬
sentlichen Rechtes könne er das Wort nicht reden, und er habe das Vertrauen
zu der Regierung, der alle Parteien lassen müßten, daß sie mit großer Weis¬
heit und Energie den Boden für ein neues Deutschland geschaffen, daß sie eben
diesen Boden nicht wieder werde preisgeben wollen in dem Gefühl: "Was du
jetzt dem Volke entziehst, wirst du ihm auf die Dauer doch nicht vorenthalten."

Abgeordneter Michelis (Kempen) erklärt, vor dem "Praktischen" (wie
es die Parteien, jede in ihrem Sinne verständen) habe er als denkender Men¬
schenfreund wenig Respect. Für einen preußischen Abgeordnete" gebe es nur
einen praktischen Punkt, die Gewissensfrage: darfst du der preußischen Ver¬
fassung, die du beschworen hast, etwas vergeben?

Nur die offenbarste Sophistik könne läugnen, daß der Entwurf das Grund-


liebe Recht, das Strafrecht und das Hypothekenrecht in die Einheit der Gesetz¬
gebung mit hineingezogen wissen.

Gegen die Bestimmungen des Entwurfs hat R. dreierlei Bedenken. Das
erste knüpft sich an den Artikel, in welchem es beißt: der Bundesrath beschließt
über Aenderungen der Verfassung mit Vz Mehrheit. Auf die Frage, ob der
Bundesrath für sich allein, ohne Mitwirkung des Reichstags dieses Recht
haben solle, antwortet der Ministerpräsident Gras Bismarck, welcher rechts von
der Nednervühne sitzt, durch eine verneinende Kopfbewegung.

Ein zweites Bedenken hat er gegen das Bundcssteuermescn, welches auf
die mittelalterliche Kopfsteuer zurückgreift. Eine Steuer, welche 100,000 Bremer
ebenso trifft als 100,000 Bewohner des thüringer Waldes, ist unmöglich. Wir
brauchen eine Reicdsstcuer und je mehr wir einsehen, daß wir uns vorläufig
noch mit der Anlage behelfen müssen, desto ernstlicher haben wir uns nach ver¬
fassungsmäßigen Bürgschaften umzusehen, die uns die demnächstige Einführung
einer Reichssteuer sichern. Das führt den Redner zu seinem dritten und größten
Bedenken, der Bedrohung des ständischen Geldbewilligungsrechts.

„Man kann einen neuen Staat durch siegreiche Schlachten auf die Bühne
werfen, aber ihn zu befestigen ohne die Zufriedenheit des besonnenen Kerns
der Nation, das ist heute wie ehedem unmöglich." (Beifall.) Wir sind ent¬
schlossen, der Einheit jedes Opfer an Freiheit zu bringen, das wahrhaft nöthig
und wahrhaft nützlich ist. aber wir läugnen, daß das Opfer des Budgetrechts
nothwendig oder nützlich wäre. Ein Parlament wird nationalen Zwecken gegen¬
über niemals kargen, der Particularismus. der die Phrase der Freiheit auf den
Lippen, und Sondcrinteressen im Herzen trägt (Beifall und Zischen), wird nie¬
mals wieder daS Uebergewicht erlangen, ein Parlament aber ohne Budget¬
recht würde die Saat der Conflicte, des Haders, der Zwietracht über Deutsch¬
land hinstrcuen.

Er stehe dem Entwürfe nicht als nörgelnder, unzufriedener Kritiker, sondern
mit patriotischem Stolze gegenüber, aber dem unnatürlichen Opfer eines so we¬
sentlichen Rechtes könne er das Wort nicht reden, und er habe das Vertrauen
zu der Regierung, der alle Parteien lassen müßten, daß sie mit großer Weis¬
heit und Energie den Boden für ein neues Deutschland geschaffen, daß sie eben
diesen Boden nicht wieder werde preisgeben wollen in dem Gefühl: „Was du
jetzt dem Volke entziehst, wirst du ihm auf die Dauer doch nicht vorenthalten."

Abgeordneter Michelis (Kempen) erklärt, vor dem „Praktischen" (wie
es die Parteien, jede in ihrem Sinne verständen) habe er als denkender Men¬
schenfreund wenig Respect. Für einen preußischen Abgeordnete» gebe es nur
einen praktischen Punkt, die Gewissensfrage: darfst du der preußischen Ver¬
fassung, die du beschworen hast, etwas vergeben?

Nur die offenbarste Sophistik könne läugnen, daß der Entwurf das Grund-


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[0492] liebe Recht, das Strafrecht und das Hypothekenrecht in die Einheit der Gesetz¬ gebung mit hineingezogen wissen. Gegen die Bestimmungen des Entwurfs hat R. dreierlei Bedenken. Das erste knüpft sich an den Artikel, in welchem es beißt: der Bundesrath beschließt über Aenderungen der Verfassung mit Vz Mehrheit. Auf die Frage, ob der Bundesrath für sich allein, ohne Mitwirkung des Reichstags dieses Recht haben solle, antwortet der Ministerpräsident Gras Bismarck, welcher rechts von der Nednervühne sitzt, durch eine verneinende Kopfbewegung. Ein zweites Bedenken hat er gegen das Bundcssteuermescn, welches auf die mittelalterliche Kopfsteuer zurückgreift. Eine Steuer, welche 100,000 Bremer ebenso trifft als 100,000 Bewohner des thüringer Waldes, ist unmöglich. Wir brauchen eine Reicdsstcuer und je mehr wir einsehen, daß wir uns vorläufig noch mit der Anlage behelfen müssen, desto ernstlicher haben wir uns nach ver¬ fassungsmäßigen Bürgschaften umzusehen, die uns die demnächstige Einführung einer Reichssteuer sichern. Das führt den Redner zu seinem dritten und größten Bedenken, der Bedrohung des ständischen Geldbewilligungsrechts. „Man kann einen neuen Staat durch siegreiche Schlachten auf die Bühne werfen, aber ihn zu befestigen ohne die Zufriedenheit des besonnenen Kerns der Nation, das ist heute wie ehedem unmöglich." (Beifall.) Wir sind ent¬ schlossen, der Einheit jedes Opfer an Freiheit zu bringen, das wahrhaft nöthig und wahrhaft nützlich ist. aber wir läugnen, daß das Opfer des Budgetrechts nothwendig oder nützlich wäre. Ein Parlament wird nationalen Zwecken gegen¬ über niemals kargen, der Particularismus. der die Phrase der Freiheit auf den Lippen, und Sondcrinteressen im Herzen trägt (Beifall und Zischen), wird nie¬ mals wieder daS Uebergewicht erlangen, ein Parlament aber ohne Budget¬ recht würde die Saat der Conflicte, des Haders, der Zwietracht über Deutsch¬ land hinstrcuen. Er stehe dem Entwürfe nicht als nörgelnder, unzufriedener Kritiker, sondern mit patriotischem Stolze gegenüber, aber dem unnatürlichen Opfer eines so we¬ sentlichen Rechtes könne er das Wort nicht reden, und er habe das Vertrauen zu der Regierung, der alle Parteien lassen müßten, daß sie mit großer Weis¬ heit und Energie den Boden für ein neues Deutschland geschaffen, daß sie eben diesen Boden nicht wieder werde preisgeben wollen in dem Gefühl: „Was du jetzt dem Volke entziehst, wirst du ihm auf die Dauer doch nicht vorenthalten." Abgeordneter Michelis (Kempen) erklärt, vor dem „Praktischen" (wie es die Parteien, jede in ihrem Sinne verständen) habe er als denkender Men¬ schenfreund wenig Respect. Für einen preußischen Abgeordnete» gebe es nur einen praktischen Punkt, die Gewissensfrage: darfst du der preußischen Ver¬ fassung, die du beschworen hast, etwas vergeben? Nur die offenbarste Sophistik könne läugnen, daß der Entwurf das Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/492>, abgerufen am 24.07.2024.