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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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jüngste Entwicklungsgang zur deutschen Einheit hat nicht allen Idealen des Ge¬
müths entsprochen, die in Deutschland gang und gebe waren; es hat sich ge¬
zeigt, daß nicht mit den gewöhnlichen Mitteln der Ueberzeugung, sondern nur
durch machtvolle Anstrengung der Kräfte des preußischen Staates, durch Ge¬
walt und Krieg der Boden für ihre Verwirklichung geschaffen werde" konnte.
Viele Ideale sind verletzt, viele Hoffnungen zu Schanden geworden und von
dem Vcrfassungscntwurfe gilt ein Gleiches. Aber er entspricht der politischen
Basis, auf der er entstanden ist. Er tritt uns rauh und eckig entgegen, befrie¬
digt weder ein praktisches noch ein theoretisches Ideal, er ist nicht zu vergleichen
mit den Verfassungen von Amerika und der Schweiz, noch mit der Reichsver-
fassung von 1849, er stell! keinen Einheitsstaat, keinen Vundesstaat und keinen
Staatenbund hin: er ist originell wie die ganze Lage, die er formuliren soll.
Keine Copie. Große Völker copircn nicht, in großen Verhältnissen sind sie neu
und original.

Referent will den Entwurf beurtheilen nicht nach historischen Reminiscenzen
und theoretischen Idealen, sondern vom Standpunkt praktischer Brauchbarkeit,
und praktisch brauchbar und praktisch nothwendig findet er insbesondere grade
diejenigen Bürgschaften der Einheit, durch welche der Entwurf über die Reichs-
Verfassung und die wissenschaftlichen Begriffe des Bundesstaates hinausgeht.

Hierauf betrachtet er die Bunbesvorleige einmal nach der räumlichen Be¬
grenzung, die ihr zu Grunde liegt und sodann nach ihrem sachlichen Inhalt
und Charakter.

In ersterer Beziehung spricht er sich mit den schon oben angeführten
Worten über die Mainlinie aus und sagt sodann: "Locken werden wir die
Süddeutschen nicht durch einzelne Freihcitsbcstimmuugen; nur die starke Feste
eines großen Staatswesens, die im Staride ist, nicht blos die drinnen sind
sondern auch die Außenstehenden machtvoll zu schützen, wie sie dieselben denn
auch schon jetzt schützt, und die bereit ist, die weiten Pforten aufzuthun, sv-
balo es Zeit ist, nur eine solche starke Feste kann uns Süddeutschland erobern.
Und wie Italien über den Frieden von Villafranca, so werden auch wir über
den von Nikolsburg zur Tagesordnung übergehe"." -- In letzterer Beziehung
warnt er vor der Anschanung. die sich in dem geringschätzigen Ausdruck "Zoll-
Parlament" kundgebe. Wenn wir ein gemeinsames Bürgerrecht, Einheit >n Ge-
werbe- und Vcrsichernngöwescn. Civilproceß, Handels- und Wechselrecht, Zoll-
und Steuerwesen, wenn wir einen einheitlichen großen Markt für Deutschlands
Producenten und Consumenten erhalten, so sollen wir nicht herabsetzend von
"Zvllparlamenl und weiter Nichts" reden. Unsere Kinder werden nicht begreisen,
wie wir uns einem solchen Fortschritt gegenüber so kühl Verhalten konnten.
Sehen wir nur einmal rückwärts in die Vergangenheit und wir finden, welch
kolossaler Fortschritt damit gemacht ist (Beifall). R. möchte auch das bürge"


jüngste Entwicklungsgang zur deutschen Einheit hat nicht allen Idealen des Ge¬
müths entsprochen, die in Deutschland gang und gebe waren; es hat sich ge¬
zeigt, daß nicht mit den gewöhnlichen Mitteln der Ueberzeugung, sondern nur
durch machtvolle Anstrengung der Kräfte des preußischen Staates, durch Ge¬
walt und Krieg der Boden für ihre Verwirklichung geschaffen werde» konnte.
Viele Ideale sind verletzt, viele Hoffnungen zu Schanden geworden und von
dem Vcrfassungscntwurfe gilt ein Gleiches. Aber er entspricht der politischen
Basis, auf der er entstanden ist. Er tritt uns rauh und eckig entgegen, befrie¬
digt weder ein praktisches noch ein theoretisches Ideal, er ist nicht zu vergleichen
mit den Verfassungen von Amerika und der Schweiz, noch mit der Reichsver-
fassung von 1849, er stell! keinen Einheitsstaat, keinen Vundesstaat und keinen
Staatenbund hin: er ist originell wie die ganze Lage, die er formuliren soll.
Keine Copie. Große Völker copircn nicht, in großen Verhältnissen sind sie neu
und original.

Referent will den Entwurf beurtheilen nicht nach historischen Reminiscenzen
und theoretischen Idealen, sondern vom Standpunkt praktischer Brauchbarkeit,
und praktisch brauchbar und praktisch nothwendig findet er insbesondere grade
diejenigen Bürgschaften der Einheit, durch welche der Entwurf über die Reichs-
Verfassung und die wissenschaftlichen Begriffe des Bundesstaates hinausgeht.

Hierauf betrachtet er die Bunbesvorleige einmal nach der räumlichen Be¬
grenzung, die ihr zu Grunde liegt und sodann nach ihrem sachlichen Inhalt
und Charakter.

In ersterer Beziehung spricht er sich mit den schon oben angeführten
Worten über die Mainlinie aus und sagt sodann: „Locken werden wir die
Süddeutschen nicht durch einzelne Freihcitsbcstimmuugen; nur die starke Feste
eines großen Staatswesens, die im Staride ist, nicht blos die drinnen sind
sondern auch die Außenstehenden machtvoll zu schützen, wie sie dieselben denn
auch schon jetzt schützt, und die bereit ist, die weiten Pforten aufzuthun, sv-
balo es Zeit ist, nur eine solche starke Feste kann uns Süddeutschland erobern.
Und wie Italien über den Frieden von Villafranca, so werden auch wir über
den von Nikolsburg zur Tagesordnung übergehe»." — In letzterer Beziehung
warnt er vor der Anschanung. die sich in dem geringschätzigen Ausdruck „Zoll-
Parlament" kundgebe. Wenn wir ein gemeinsames Bürgerrecht, Einheit >n Ge-
werbe- und Vcrsichernngöwescn. Civilproceß, Handels- und Wechselrecht, Zoll-
und Steuerwesen, wenn wir einen einheitlichen großen Markt für Deutschlands
Producenten und Consumenten erhalten, so sollen wir nicht herabsetzend von
„Zvllparlamenl und weiter Nichts" reden. Unsere Kinder werden nicht begreisen,
wie wir uns einem solchen Fortschritt gegenüber so kühl Verhalten konnten.
Sehen wir nur einmal rückwärts in die Vergangenheit und wir finden, welch
kolossaler Fortschritt damit gemacht ist (Beifall). R. möchte auch das bürge»


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[0491] jüngste Entwicklungsgang zur deutschen Einheit hat nicht allen Idealen des Ge¬ müths entsprochen, die in Deutschland gang und gebe waren; es hat sich ge¬ zeigt, daß nicht mit den gewöhnlichen Mitteln der Ueberzeugung, sondern nur durch machtvolle Anstrengung der Kräfte des preußischen Staates, durch Ge¬ walt und Krieg der Boden für ihre Verwirklichung geschaffen werde» konnte. Viele Ideale sind verletzt, viele Hoffnungen zu Schanden geworden und von dem Vcrfassungscntwurfe gilt ein Gleiches. Aber er entspricht der politischen Basis, auf der er entstanden ist. Er tritt uns rauh und eckig entgegen, befrie¬ digt weder ein praktisches noch ein theoretisches Ideal, er ist nicht zu vergleichen mit den Verfassungen von Amerika und der Schweiz, noch mit der Reichsver- fassung von 1849, er stell! keinen Einheitsstaat, keinen Vundesstaat und keinen Staatenbund hin: er ist originell wie die ganze Lage, die er formuliren soll. Keine Copie. Große Völker copircn nicht, in großen Verhältnissen sind sie neu und original. Referent will den Entwurf beurtheilen nicht nach historischen Reminiscenzen und theoretischen Idealen, sondern vom Standpunkt praktischer Brauchbarkeit, und praktisch brauchbar und praktisch nothwendig findet er insbesondere grade diejenigen Bürgschaften der Einheit, durch welche der Entwurf über die Reichs- Verfassung und die wissenschaftlichen Begriffe des Bundesstaates hinausgeht. Hierauf betrachtet er die Bunbesvorleige einmal nach der räumlichen Be¬ grenzung, die ihr zu Grunde liegt und sodann nach ihrem sachlichen Inhalt und Charakter. In ersterer Beziehung spricht er sich mit den schon oben angeführten Worten über die Mainlinie aus und sagt sodann: „Locken werden wir die Süddeutschen nicht durch einzelne Freihcitsbcstimmuugen; nur die starke Feste eines großen Staatswesens, die im Staride ist, nicht blos die drinnen sind sondern auch die Außenstehenden machtvoll zu schützen, wie sie dieselben denn auch schon jetzt schützt, und die bereit ist, die weiten Pforten aufzuthun, sv- balo es Zeit ist, nur eine solche starke Feste kann uns Süddeutschland erobern. Und wie Italien über den Frieden von Villafranca, so werden auch wir über den von Nikolsburg zur Tagesordnung übergehe»." — In letzterer Beziehung warnt er vor der Anschanung. die sich in dem geringschätzigen Ausdruck „Zoll- Parlament" kundgebe. Wenn wir ein gemeinsames Bürgerrecht, Einheit >n Ge- werbe- und Vcrsichernngöwescn. Civilproceß, Handels- und Wechselrecht, Zoll- und Steuerwesen, wenn wir einen einheitlichen großen Markt für Deutschlands Producenten und Consumenten erhalten, so sollen wir nicht herabsetzend von „Zvllparlamenl und weiter Nichts" reden. Unsere Kinder werden nicht begreisen, wie wir uns einem solchen Fortschritt gegenüber so kühl Verhalten konnten. Sehen wir nur einmal rückwärts in die Vergangenheit und wir finden, welch kolossaler Fortschritt damit gemacht ist (Beifall). R. möchte auch das bürge»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/491>, abgerufen am 22.12.2024.