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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Veranlaßt die dänischen Skandinavien neuerdings sich mit einer gewissen
Ostentation den schwedischen Bestrebungen nach einer zeitgemäßen Reform der
schwedisch-norwegischen Unionsacte zu widersetzen. Eine Schrift des Staats¬
anwalts Dunker in Christiania, welche die Unzulässigfeit stärkerer Polnischer Ver¬
schmelzung Norwegens mit Schweden, und namentlich einer gemeinschaftlichen
Volksvertretung nachzuweisen unternimmt, ist in Kopenhagen wie ein Evan¬
gelium aufgenommen, der Verfasser auf alle mögliche Art dafür gefeiert worden.

Die Schweden betreiben diese'innigere Verschmelzung der beiden Nachbar-
reiche, wie man weiß, hauptsächlich im Hinblick auf die Ermöglichung einer
verstärkten auswärtigen Action. Gegenwärtig hat der König nicht einmal un¬
bedingte Verfügung ü"'er die norwegischen Streitkräfte, deren Zahl, Uebung und
Bewaffnung überdies gänzlich von den Bewilligungen der Stortbings abhängt.
Wie kann Schweden sich unter solchen Umständen auf gefahrvolle politische
Wagnisse einlassen? Es scheint widersinnig, daß die dänischen Patrioten, welche
doch alles Heil von Schwedens diplomatisch-militärischer Initiative erwarten,
und daß norwegische Staatsmänner wie Dunker. der 1864 sowohl wie 1848
Dänemark gegen Deutschland unterstützt wissen wollte, sich diesem Reform-
bestrcben des Königs Karl und seines Ministerpräsidenten widersetzen. Aber die
Norweger schrecken vor dem materiellen und moralischen Uebergewicht Schwedens
zurück, das sich in einer engeren Vereinigung noch drückender als bisher schon
fühlbar machen könnte, und die Dänen geben sich dazu her, diesen Particula-
rismus skandinavistisch auszufärben, weil sie dadurch die Energie der schwedischen
^Staatsmänner in ihre Kanäle zu leiten hoffen. Gelänge eine durchgreifende
Verbesserung der schwedisch-norwegischen Unionsactc, so möchte Schweden, gegen
Dänemark gleichgiltiger, Nordschleswig seinem Schicksal überlassend, alle Sinne
auf Finnland lenken. Erkennt Schweden dagegen, daß Norwegens Opposition
unüberwindlich ist. so lange sich keine Aussicht zeigt, das straffere Verfassung?,
band um alle drei nordischen Reiche zu schlingen, so muß es sein Augenmerk
entschlossener als bisher auf die Hereinziehung Dänemarks in den Bund des
Nordens richten und mag dann° auch wohl mehr Appetit für die nordschleswig-
sche Frage bekommen, als es bis heute verrathen hat.

So der Calcul Orla Lehmanns. Plougs und der anderen dänischen Star-
^iancwisten. Er giebt dem Gedanken Recht, den wir in diesen Blättern schon
früher ausgesprochen haben: daß in einem Eingehen auf Schwedens politische
Hintergedanken das Mittel läge, die nordschlcswigschc Frage ohne die wider¬
wärtige Procedur einer Abstimmung und Zerreißung des Landes zu schlichten,
vorausgesetzt natürlich, daß man sich in Berlin nicht für ewige Zeiten an den
innerlich feindseligen und chicanöscn russischen Nachbar gefesselt glaubt.




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Veranlaßt die dänischen Skandinavien neuerdings sich mit einer gewissen
Ostentation den schwedischen Bestrebungen nach einer zeitgemäßen Reform der
schwedisch-norwegischen Unionsacte zu widersetzen. Eine Schrift des Staats¬
anwalts Dunker in Christiania, welche die Unzulässigfeit stärkerer Polnischer Ver¬
schmelzung Norwegens mit Schweden, und namentlich einer gemeinschaftlichen
Volksvertretung nachzuweisen unternimmt, ist in Kopenhagen wie ein Evan¬
gelium aufgenommen, der Verfasser auf alle mögliche Art dafür gefeiert worden.

Die Schweden betreiben diese'innigere Verschmelzung der beiden Nachbar-
reiche, wie man weiß, hauptsächlich im Hinblick auf die Ermöglichung einer
verstärkten auswärtigen Action. Gegenwärtig hat der König nicht einmal un¬
bedingte Verfügung ü"'er die norwegischen Streitkräfte, deren Zahl, Uebung und
Bewaffnung überdies gänzlich von den Bewilligungen der Stortbings abhängt.
Wie kann Schweden sich unter solchen Umständen auf gefahrvolle politische
Wagnisse einlassen? Es scheint widersinnig, daß die dänischen Patrioten, welche
doch alles Heil von Schwedens diplomatisch-militärischer Initiative erwarten,
und daß norwegische Staatsmänner wie Dunker. der 1864 sowohl wie 1848
Dänemark gegen Deutschland unterstützt wissen wollte, sich diesem Reform-
bestrcben des Königs Karl und seines Ministerpräsidenten widersetzen. Aber die
Norweger schrecken vor dem materiellen und moralischen Uebergewicht Schwedens
zurück, das sich in einer engeren Vereinigung noch drückender als bisher schon
fühlbar machen könnte, und die Dänen geben sich dazu her, diesen Particula-
rismus skandinavistisch auszufärben, weil sie dadurch die Energie der schwedischen
^Staatsmänner in ihre Kanäle zu leiten hoffen. Gelänge eine durchgreifende
Verbesserung der schwedisch-norwegischen Unionsactc, so möchte Schweden, gegen
Dänemark gleichgiltiger, Nordschleswig seinem Schicksal überlassend, alle Sinne
auf Finnland lenken. Erkennt Schweden dagegen, daß Norwegens Opposition
unüberwindlich ist. so lange sich keine Aussicht zeigt, das straffere Verfassung?,
band um alle drei nordischen Reiche zu schlingen, so muß es sein Augenmerk
entschlossener als bisher auf die Hereinziehung Dänemarks in den Bund des
Nordens richten und mag dann° auch wohl mehr Appetit für die nordschleswig-
sche Frage bekommen, als es bis heute verrathen hat.

So der Calcul Orla Lehmanns. Plougs und der anderen dänischen Star-
^iancwisten. Er giebt dem Gedanken Recht, den wir in diesen Blättern schon
früher ausgesprochen haben: daß in einem Eingehen auf Schwedens politische
Hintergedanken das Mittel läge, die nordschlcswigschc Frage ohne die wider¬
wärtige Procedur einer Abstimmung und Zerreißung des Landes zu schlichten,
vorausgesetzt natürlich, daß man sich in Berlin nicht für ewige Zeiten an den
innerlich feindseligen und chicanöscn russischen Nachbar gefesselt glaubt.




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[0409] Veranlaßt die dänischen Skandinavien neuerdings sich mit einer gewissen Ostentation den schwedischen Bestrebungen nach einer zeitgemäßen Reform der schwedisch-norwegischen Unionsacte zu widersetzen. Eine Schrift des Staats¬ anwalts Dunker in Christiania, welche die Unzulässigfeit stärkerer Polnischer Ver¬ schmelzung Norwegens mit Schweden, und namentlich einer gemeinschaftlichen Volksvertretung nachzuweisen unternimmt, ist in Kopenhagen wie ein Evan¬ gelium aufgenommen, der Verfasser auf alle mögliche Art dafür gefeiert worden. Die Schweden betreiben diese'innigere Verschmelzung der beiden Nachbar- reiche, wie man weiß, hauptsächlich im Hinblick auf die Ermöglichung einer verstärkten auswärtigen Action. Gegenwärtig hat der König nicht einmal un¬ bedingte Verfügung ü"'er die norwegischen Streitkräfte, deren Zahl, Uebung und Bewaffnung überdies gänzlich von den Bewilligungen der Stortbings abhängt. Wie kann Schweden sich unter solchen Umständen auf gefahrvolle politische Wagnisse einlassen? Es scheint widersinnig, daß die dänischen Patrioten, welche doch alles Heil von Schwedens diplomatisch-militärischer Initiative erwarten, und daß norwegische Staatsmänner wie Dunker. der 1864 sowohl wie 1848 Dänemark gegen Deutschland unterstützt wissen wollte, sich diesem Reform- bestrcben des Königs Karl und seines Ministerpräsidenten widersetzen. Aber die Norweger schrecken vor dem materiellen und moralischen Uebergewicht Schwedens zurück, das sich in einer engeren Vereinigung noch drückender als bisher schon fühlbar machen könnte, und die Dänen geben sich dazu her, diesen Particula- rismus skandinavistisch auszufärben, weil sie dadurch die Energie der schwedischen ^Staatsmänner in ihre Kanäle zu leiten hoffen. Gelänge eine durchgreifende Verbesserung der schwedisch-norwegischen Unionsactc, so möchte Schweden, gegen Dänemark gleichgiltiger, Nordschleswig seinem Schicksal überlassend, alle Sinne auf Finnland lenken. Erkennt Schweden dagegen, daß Norwegens Opposition unüberwindlich ist. so lange sich keine Aussicht zeigt, das straffere Verfassung?, band um alle drei nordischen Reiche zu schlingen, so muß es sein Augenmerk entschlossener als bisher auf die Hereinziehung Dänemarks in den Bund des Nordens richten und mag dann° auch wohl mehr Appetit für die nordschleswig- sche Frage bekommen, als es bis heute verrathen hat. So der Calcul Orla Lehmanns. Plougs und der anderen dänischen Star- ^iancwisten. Er giebt dem Gedanken Recht, den wir in diesen Blättern schon früher ausgesprochen haben: daß in einem Eingehen auf Schwedens politische Hintergedanken das Mittel läge, die nordschlcswigschc Frage ohne die wider¬ wärtige Procedur einer Abstimmung und Zerreißung des Landes zu schlichten, vorausgesetzt natürlich, daß man sich in Berlin nicht für ewige Zeiten an den innerlich feindseligen und chicanöscn russischen Nachbar gefesselt glaubt. 6^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/409>, abgerufen am 04.07.2024.