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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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sollte etwa Herr v. Scheel-Plessen tun preußischen Staatsmann diese Wieder-
auswärmung seiner alten Lieblingsidee inspirirt haben?

Dänen und Holländer mögen sich beruhigen. Sollte das Gespenst, wel¬
ches sie ängstigt, jemals Fleisch und Blut annehmen, so werden sie in der li¬
beralen Nationalpartei Deutschlands einen kräftigen und resoluter Bundesge¬
nossen finden. Wir haben von dem Elend der Mischstaaten genug erlebt und
genug noch fortwährend vor Augen, um gegen jede derartige Versuchung un¬
seres nationalen Ehrgeizes gefeit zu sein. Wohl rechnen wir darauf, daß sich
eines Tags die Bande natürlicher Freundschaft mit stammverwandten Nachbar¬
nationen wiederanknüpfen werden; aber sie durch Gewalt und List an uns
heran, in unsern eigenen Bund hereinzuziehen, der mit der Zeit zu einem ge¬
schlossenen Einheitsstaat ausreifen soll, das kann uns nicht im Traume ein¬
fallen. Eine solche naturwidrige Ausdehnung der Euiheitsibee trauen wir
auch dem gesunden Verstände des leitenden Staatsmannes nicht zu, und hätte
er sie sich einreden lassen, so würde der Widerstand der Patrioten ihn voraus¬
sichtlich bald wieder davon abbringen.

Während die Dänen so noch immer fürchten in ein neues Abhängigkeits¬
verhältniß zu Deutschland zu gerathen, entwickelt umgekehrt Schweden ihrer
skandinavischen Ungeduld und Sehnsucht nicht genug Anziehungskraft. Die
Stimmführenden nationalen Organe der dänischen Hauptstadt, Fädrelandet und
Dagbladet, sind über den Sinn der letzten Frieden athmenden und jeden
kriegerischen Ehrgeiz läugnenden schwedischen Thronrede verschiedener Meinung.
Dagbladet nimmt an, in derselben habe König Karl der Fünfzehnte dem Skan-
dinavismus förmlich abgesagt. Fädrelandet bezieht die etwas dunkeln Phrasen
der Rede vielleicht richtiger auf die Theilnahme an der Schlichtung der großen
europäischen Tagesfragen, der deutschen, der orientalischen u. s. f., aber auch
ihm kommt es doch sehr verdächtig vor, daß der König den Satz seines Gro߬
vaters von den "natürlichen Grenzen" Skandinaviens aufgewärmt hat. Inner¬
halb der "natürlichen Grenzen" würden kaum Seeland und Fühnen liegen,
gewiß nicht Jütland oder gar das Gebiet südlich der Königsau. Die dänischen
Skandinavisten sehen es denn auch gar nicht gern, daß Schweden so viel natio¬
nalen Verkehr mit Finnland pflegt. Sie besorgen ernstlich, daß der schwedische
Ehrgeiz, wenn er einmal wieder erwacht, eher nach der. Wiedererwerbung des
der schwedischen Cultur so zugänglichen Finnland als nach derjenigen des von
Kopenhagen aus civilisirten dänischen Schleswig trachten, sich lieber mit Preußen
und Frankreich gegen Nußland oder mit Frankreich allein gegen Preußen und
Nußland verbünden möchte, wobei dann natürlich eine Zurückschiebung der
preußischen Grenzen außer aller Frage stände. Diese schwere und begründete
Torge, welcher Orla Lehmann noch vor kurzem öffentlich Ausdruck gegeben hat,


sollte etwa Herr v. Scheel-Plessen tun preußischen Staatsmann diese Wieder-
auswärmung seiner alten Lieblingsidee inspirirt haben?

Dänen und Holländer mögen sich beruhigen. Sollte das Gespenst, wel¬
ches sie ängstigt, jemals Fleisch und Blut annehmen, so werden sie in der li¬
beralen Nationalpartei Deutschlands einen kräftigen und resoluter Bundesge¬
nossen finden. Wir haben von dem Elend der Mischstaaten genug erlebt und
genug noch fortwährend vor Augen, um gegen jede derartige Versuchung un¬
seres nationalen Ehrgeizes gefeit zu sein. Wohl rechnen wir darauf, daß sich
eines Tags die Bande natürlicher Freundschaft mit stammverwandten Nachbar¬
nationen wiederanknüpfen werden; aber sie durch Gewalt und List an uns
heran, in unsern eigenen Bund hereinzuziehen, der mit der Zeit zu einem ge¬
schlossenen Einheitsstaat ausreifen soll, das kann uns nicht im Traume ein¬
fallen. Eine solche naturwidrige Ausdehnung der Euiheitsibee trauen wir
auch dem gesunden Verstände des leitenden Staatsmannes nicht zu, und hätte
er sie sich einreden lassen, so würde der Widerstand der Patrioten ihn voraus¬
sichtlich bald wieder davon abbringen.

Während die Dänen so noch immer fürchten in ein neues Abhängigkeits¬
verhältniß zu Deutschland zu gerathen, entwickelt umgekehrt Schweden ihrer
skandinavischen Ungeduld und Sehnsucht nicht genug Anziehungskraft. Die
Stimmführenden nationalen Organe der dänischen Hauptstadt, Fädrelandet und
Dagbladet, sind über den Sinn der letzten Frieden athmenden und jeden
kriegerischen Ehrgeiz läugnenden schwedischen Thronrede verschiedener Meinung.
Dagbladet nimmt an, in derselben habe König Karl der Fünfzehnte dem Skan-
dinavismus förmlich abgesagt. Fädrelandet bezieht die etwas dunkeln Phrasen
der Rede vielleicht richtiger auf die Theilnahme an der Schlichtung der großen
europäischen Tagesfragen, der deutschen, der orientalischen u. s. f., aber auch
ihm kommt es doch sehr verdächtig vor, daß der König den Satz seines Gro߬
vaters von den „natürlichen Grenzen" Skandinaviens aufgewärmt hat. Inner¬
halb der „natürlichen Grenzen" würden kaum Seeland und Fühnen liegen,
gewiß nicht Jütland oder gar das Gebiet südlich der Königsau. Die dänischen
Skandinavisten sehen es denn auch gar nicht gern, daß Schweden so viel natio¬
nalen Verkehr mit Finnland pflegt. Sie besorgen ernstlich, daß der schwedische
Ehrgeiz, wenn er einmal wieder erwacht, eher nach der. Wiedererwerbung des
der schwedischen Cultur so zugänglichen Finnland als nach derjenigen des von
Kopenhagen aus civilisirten dänischen Schleswig trachten, sich lieber mit Preußen
und Frankreich gegen Nußland oder mit Frankreich allein gegen Preußen und
Nußland verbünden möchte, wobei dann natürlich eine Zurückschiebung der
preußischen Grenzen außer aller Frage stände. Diese schwere und begründete
Torge, welcher Orla Lehmann noch vor kurzem öffentlich Ausdruck gegeben hat,


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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/408>, abgerufen am 22.12.2024.