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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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zische Frage" hat es nur mit Ostgalizien zu thun, der Westen des Landes kann
nur por net-is in die Discussion siezten werden. DaS Verhältniß des aus¬
schließlich von Polen bewohnten galizischen Westens zum Osten jenes König¬
reichs entspricht dem Congrcßpolens zu den lithauischen und weißrussischen Pro¬
vinzen, nur daß Nußland den Zusammenhang zwischen diesen Provinzen zu
lösen versucht bat, während Oestreich Kleinpolen und Rothrußland in eine neue
politische Einheit verschmolz, die selbst zu polnischer Zeit niemals bestanden
hatte. Die ethnographischen Verhältnisse Ostgaliziens entsprechen denen der
wcißrusfischcn und lithauischen Provinzen Rußlands vollkommen.

I" der östlichen Hälfte des " Königreichs " geholt die Mehrzahl der Be¬
wohner dem kieinrusfiscben oder, wie man in Oestreich sagt, dem ruthenischen
Stamme an. Abgesehen von den Städten, in welchen Polen, Deutsche und
Juden den Russen die Wage Kalten, nimmt das polnische Element von Westen
nach Osten in ziemlich regelmäßig niedersteigenden Verhältniß ab; nach den
Angaben der Erkertschen Karte bilden zwischen dem 40. und-42. Grad östlicher
Länge v. L. (die südlichsten und die nördlichsten Theile ausgenommen) die Polen
noch fast ein Viertel der Bevölkerung, während zwischen dem 42. und 44. Grad
nur noch zwischen 1 und 5 Procent der polnischen Nationalität angehören.
Südlich von Dnjestr gehören auch zwischen dem 40. und 42. Grade dem Polen-
Volke nur 15 Procent aller Bewohner an, nördlich von Lemberg 3--10 Procent.
Nach der Anschauung jener blinden Anhänge, des Nationalitätsprincipes, welche
gleich den radicalen Demokraten der 48er Schule keine Schwierigkeiten kennen,
die sich nicht mit Hilfe einer aus dem Parleikatechismus geholten Zauber¬
formel lösen ließen, steht nun die Sache sehr einfach: da im östlichen Galizien
mehr Russen als Polen leben, so haben die letzteren sich den ersteren zu sub-
ordiniren, sind alle polnische" Ansprüche auf eine Herrschaft jenseit des San
unberechtigt.

Genau so haben die Machthaber in den vorwiegend von Lithauern und
Weißrussen bewohnten Gegenden des westlichen Rußland gesprochen: nichts-
destoweniger ist der polnische Einfluß trotz aller Verbote des Gebrauchs der
Polnischen Sprache, trotz aller Kosaken und Linientruppen, die man zur mate¬
riellen und moralischen Unterstützung des Nationalitätsprincips und der demo¬
kratischen Idee aufgeboten hat, allenthalben in Wolynien, Podolien, Minsk.
Grodno, Kvwno und W>ira noch heute der maßgebende und haben die Polen
Galiziens zu den Zeiten Stations in Galizien ebenso das Heft in Händen ge¬
habt, wie während der Verwaltung Agenor Golnchowskis. In Ländern, welche
vini mehren, auf verschiedener Culturstufe stehenden Nationalitäten bewohnt
werden, in denen es mehr oder weniger von dem Willen des Einzelnen ab-
hängt, zu welcher Nationalität er sich rechnen will, stehen der statistischen Er-
Mittelung der ethnographischen Verhältnisse Schwierigkeiten entgegen, von denen


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zische Frage" hat es nur mit Ostgalizien zu thun, der Westen des Landes kann
nur por net-is in die Discussion siezten werden. DaS Verhältniß des aus¬
schließlich von Polen bewohnten galizischen Westens zum Osten jenes König¬
reichs entspricht dem Congrcßpolens zu den lithauischen und weißrussischen Pro¬
vinzen, nur daß Nußland den Zusammenhang zwischen diesen Provinzen zu
lösen versucht bat, während Oestreich Kleinpolen und Rothrußland in eine neue
politische Einheit verschmolz, die selbst zu polnischer Zeit niemals bestanden
hatte. Die ethnographischen Verhältnisse Ostgaliziens entsprechen denen der
wcißrusfischcn und lithauischen Provinzen Rußlands vollkommen.

I» der östlichen Hälfte des „ Königreichs " geholt die Mehrzahl der Be¬
wohner dem kieinrusfiscben oder, wie man in Oestreich sagt, dem ruthenischen
Stamme an. Abgesehen von den Städten, in welchen Polen, Deutsche und
Juden den Russen die Wage Kalten, nimmt das polnische Element von Westen
nach Osten in ziemlich regelmäßig niedersteigenden Verhältniß ab; nach den
Angaben der Erkertschen Karte bilden zwischen dem 40. und-42. Grad östlicher
Länge v. L. (die südlichsten und die nördlichsten Theile ausgenommen) die Polen
noch fast ein Viertel der Bevölkerung, während zwischen dem 42. und 44. Grad
nur noch zwischen 1 und 5 Procent der polnischen Nationalität angehören.
Südlich von Dnjestr gehören auch zwischen dem 40. und 42. Grade dem Polen-
Volke nur 15 Procent aller Bewohner an, nördlich von Lemberg 3—10 Procent.
Nach der Anschauung jener blinden Anhänge, des Nationalitätsprincipes, welche
gleich den radicalen Demokraten der 48er Schule keine Schwierigkeiten kennen,
die sich nicht mit Hilfe einer aus dem Parleikatechismus geholten Zauber¬
formel lösen ließen, steht nun die Sache sehr einfach: da im östlichen Galizien
mehr Russen als Polen leben, so haben die letzteren sich den ersteren zu sub-
ordiniren, sind alle polnische» Ansprüche auf eine Herrschaft jenseit des San
unberechtigt.

Genau so haben die Machthaber in den vorwiegend von Lithauern und
Weißrussen bewohnten Gegenden des westlichen Rußland gesprochen: nichts-
destoweniger ist der polnische Einfluß trotz aller Verbote des Gebrauchs der
Polnischen Sprache, trotz aller Kosaken und Linientruppen, die man zur mate¬
riellen und moralischen Unterstützung des Nationalitätsprincips und der demo¬
kratischen Idee aufgeboten hat, allenthalben in Wolynien, Podolien, Minsk.
Grodno, Kvwno und W>ira noch heute der maßgebende und haben die Polen
Galiziens zu den Zeiten Stations in Galizien ebenso das Heft in Händen ge¬
habt, wie während der Verwaltung Agenor Golnchowskis. In Ländern, welche
vini mehren, auf verschiedener Culturstufe stehenden Nationalitäten bewohnt
werden, in denen es mehr oder weniger von dem Willen des Einzelnen ab-
hängt, zu welcher Nationalität er sich rechnen will, stehen der statistischen Er-
Mittelung der ethnographischen Verhältnisse Schwierigkeiten entgegen, von denen


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[0385] zische Frage" hat es nur mit Ostgalizien zu thun, der Westen des Landes kann nur por net-is in die Discussion siezten werden. DaS Verhältniß des aus¬ schließlich von Polen bewohnten galizischen Westens zum Osten jenes König¬ reichs entspricht dem Congrcßpolens zu den lithauischen und weißrussischen Pro¬ vinzen, nur daß Nußland den Zusammenhang zwischen diesen Provinzen zu lösen versucht bat, während Oestreich Kleinpolen und Rothrußland in eine neue politische Einheit verschmolz, die selbst zu polnischer Zeit niemals bestanden hatte. Die ethnographischen Verhältnisse Ostgaliziens entsprechen denen der wcißrusfischcn und lithauischen Provinzen Rußlands vollkommen. I» der östlichen Hälfte des „ Königreichs " geholt die Mehrzahl der Be¬ wohner dem kieinrusfiscben oder, wie man in Oestreich sagt, dem ruthenischen Stamme an. Abgesehen von den Städten, in welchen Polen, Deutsche und Juden den Russen die Wage Kalten, nimmt das polnische Element von Westen nach Osten in ziemlich regelmäßig niedersteigenden Verhältniß ab; nach den Angaben der Erkertschen Karte bilden zwischen dem 40. und-42. Grad östlicher Länge v. L. (die südlichsten und die nördlichsten Theile ausgenommen) die Polen noch fast ein Viertel der Bevölkerung, während zwischen dem 42. und 44. Grad nur noch zwischen 1 und 5 Procent der polnischen Nationalität angehören. Südlich von Dnjestr gehören auch zwischen dem 40. und 42. Grade dem Polen- Volke nur 15 Procent aller Bewohner an, nördlich von Lemberg 3—10 Procent. Nach der Anschauung jener blinden Anhänge, des Nationalitätsprincipes, welche gleich den radicalen Demokraten der 48er Schule keine Schwierigkeiten kennen, die sich nicht mit Hilfe einer aus dem Parleikatechismus geholten Zauber¬ formel lösen ließen, steht nun die Sache sehr einfach: da im östlichen Galizien mehr Russen als Polen leben, so haben die letzteren sich den ersteren zu sub- ordiniren, sind alle polnische» Ansprüche auf eine Herrschaft jenseit des San unberechtigt. Genau so haben die Machthaber in den vorwiegend von Lithauern und Weißrussen bewohnten Gegenden des westlichen Rußland gesprochen: nichts- destoweniger ist der polnische Einfluß trotz aller Verbote des Gebrauchs der Polnischen Sprache, trotz aller Kosaken und Linientruppen, die man zur mate¬ riellen und moralischen Unterstützung des Nationalitätsprincips und der demo¬ kratischen Idee aufgeboten hat, allenthalben in Wolynien, Podolien, Minsk. Grodno, Kvwno und W>ira noch heute der maßgebende und haben die Polen Galiziens zu den Zeiten Stations in Galizien ebenso das Heft in Händen ge¬ habt, wie während der Verwaltung Agenor Golnchowskis. In Ländern, welche vini mehren, auf verschiedener Culturstufe stehenden Nationalitäten bewohnt werden, in denen es mehr oder weniger von dem Willen des Einzelnen ab- hängt, zu welcher Nationalität er sich rechnen will, stehen der statistischen Er- Mittelung der ethnographischen Verhältnisse Schwierigkeiten entgegen, von denen 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/385>, abgerufen am 02.07.2024.