Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.Daß es mit der Berufung auf das historische Recht der Russen seine großen Sehen wir uns nach den Resultaten dieser ethnographischen Untersuchungen ') Als zwei demokratische Journale Se. Petersburgs, die Wochenschriften .Wjek" und
"Wrcmjä" diese "heikcle Frage" im Frühjahr 1863 auswarfen, wurden sie "wegen eines un¬ erlaubten Gegensatzes gegen die in der russischen Nation herrschenden Anschauungen" auf kaiserlichen Befehl unterdrückt! Daß es mit der Berufung auf das historische Recht der Russen seine großen Sehen wir uns nach den Resultaten dieser ethnographischen Untersuchungen ') Als zwei demokratische Journale Se. Petersburgs, die Wochenschriften .Wjek" und
„Wrcmjä" diese „heikcle Frage" im Frühjahr 1863 auswarfen, wurden sie „wegen eines un¬ erlaubten Gegensatzes gegen die in der russischen Nation herrschenden Anschauungen" auf kaiserlichen Befehl unterdrückt! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190543"/> <p xml:id="ID_1276"> Daß es mit der Berufung auf das historische Recht der Russen seine großen<lb/> Schwierigkeiten habe, daß die Theorie von der Unvcrjährbarkeit durch Jahr¬<lb/> hunderte inexigibel verblichener Ansprüche wenig geeignet sei, in der gelehrten<lb/> Welt Eroberungen zu machen, mußten die Männer der wissenschaftlichen Be¬<lb/> gründung murawjewscher Politik sich freilich selbst sagen. Ihre Deductionen<lb/> reichten höchstens für das russische Publikum aus, um aber das westliche Europa<lb/> von dem guten Recht des gegen die Polen gepredigten Kreuzzugs zu überzeugen,<lb/> bedürfte es schärferer Waffen. Was sich auf dein Gebiet der historischen Unter¬<lb/> suchung nicht fertig bringen ließ, sollte unter Anrufung des Nationalitätsprincips<lb/> mit statistisch-ethnographischen Hilfsmitteln erreicht werden. Ohne große Mühe<lb/> ließ sich nachweisen, daß die Polen außerhalb Congreßpolens und der westlichen<lb/> Hälfte Galiziens allenthalben gegen die Russen in der Minderzahl seien und<lb/> damit glaubte man zugleich dargethan zu haben, die Russen und nicht die Polen<lb/> seien zur Herrschaft in diesen Ländern berufen. Auf eine Lösung des Räthsels,<lb/> daß allenthalben die polnische Minorität und nicht die russische Majorität dem<lb/> Lande seinen specifischen Culturstempel aufgedrückt hatte, ließ man sich ebenso<lb/> wenig ein, wie auf Untersuchungen darüber, ob die numerische Schwäche des<lb/> polnischen Elements angesichts der entschiedenen Überlegenheit desselben nicht<lb/> eher als Argument für, denn wider das Herrscherrecht desselben anzuführen sei/)</p><lb/> <p xml:id="ID_1277" next="#ID_1278"> Sehen wir uns nach den Resultaten dieser ethnographischen Untersuchungen<lb/> zuvörderst in Galizien um. Nach ziemlich übereinstimmenden Angaben des<lb/> Annuaire der Revue ach cloux momlW und des Erkertschen ^durs etlrrwZrÄ-<lb/> Mque nes xroviuees Irabit^os pg,r 6es ?otoirais (Se. Petersburg, 1863)<lb/> leben in diesem Lande (immer die halb russische, halb rumänische Bukowina<lb/> ausgenommen) 1.980,000 Polen. 2.100,000 Russe». 114,000 Deutsche und<lb/> 449,000 Jubeln Alles Land westlich vom San, einem Nebenfluß der Weichsel,<lb/> ist ausschließlich von Polen bewohnt; die kleinen russischen Streustücke, welche<lb/> Erkert auf dem westlichen User dieses Flusses als vorwiegend von Russen be¬<lb/> wohnt bezeichnet, kommen — auch abgesehen von der Parteilichkeit dieses rus¬<lb/> sischen Geographen — nicht in Betracht. Wie wir wissen (vgl. den Artikel in<lb/> Heft Ur. 7) gehörte dieser Theil des Königreichs zu Kleinpolen, einer Stamm¬<lb/> provinz der Ader Republik und waren ihr die.deutsch-schlesischen Herzogthümer<lb/> Auschwitz (Oswiezim) und Zator einverleibt. Von russisch-nationalen Ansprüchen<lb/> auf dieses Ländergebiet, in welchem nach Erkerts eigener Angabe die Polen<lb/> dominiren und nur an der äußersten Grenze fünfzehn Procent der Bevölkerung<lb/> russischer Herkunft sind — darf nicht die Rede sein; die vielbesprochene „gall-</p><lb/> <note xml:id="FID_31" place="foot"> ') Als zwei demokratische Journale Se. Petersburgs, die Wochenschriften .Wjek" und<lb/> „Wrcmjä" diese „heikcle Frage" im Frühjahr 1863 auswarfen, wurden sie „wegen eines un¬<lb/> erlaubten Gegensatzes gegen die in der russischen Nation herrschenden Anschauungen" auf<lb/> kaiserlichen Befehl unterdrückt!</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0384]
Daß es mit der Berufung auf das historische Recht der Russen seine großen
Schwierigkeiten habe, daß die Theorie von der Unvcrjährbarkeit durch Jahr¬
hunderte inexigibel verblichener Ansprüche wenig geeignet sei, in der gelehrten
Welt Eroberungen zu machen, mußten die Männer der wissenschaftlichen Be¬
gründung murawjewscher Politik sich freilich selbst sagen. Ihre Deductionen
reichten höchstens für das russische Publikum aus, um aber das westliche Europa
von dem guten Recht des gegen die Polen gepredigten Kreuzzugs zu überzeugen,
bedürfte es schärferer Waffen. Was sich auf dein Gebiet der historischen Unter¬
suchung nicht fertig bringen ließ, sollte unter Anrufung des Nationalitätsprincips
mit statistisch-ethnographischen Hilfsmitteln erreicht werden. Ohne große Mühe
ließ sich nachweisen, daß die Polen außerhalb Congreßpolens und der westlichen
Hälfte Galiziens allenthalben gegen die Russen in der Minderzahl seien und
damit glaubte man zugleich dargethan zu haben, die Russen und nicht die Polen
seien zur Herrschaft in diesen Ländern berufen. Auf eine Lösung des Räthsels,
daß allenthalben die polnische Minorität und nicht die russische Majorität dem
Lande seinen specifischen Culturstempel aufgedrückt hatte, ließ man sich ebenso
wenig ein, wie auf Untersuchungen darüber, ob die numerische Schwäche des
polnischen Elements angesichts der entschiedenen Überlegenheit desselben nicht
eher als Argument für, denn wider das Herrscherrecht desselben anzuführen sei/)
Sehen wir uns nach den Resultaten dieser ethnographischen Untersuchungen
zuvörderst in Galizien um. Nach ziemlich übereinstimmenden Angaben des
Annuaire der Revue ach cloux momlW und des Erkertschen ^durs etlrrwZrÄ-
Mque nes xroviuees Irabit^os pg,r 6es ?otoirais (Se. Petersburg, 1863)
leben in diesem Lande (immer die halb russische, halb rumänische Bukowina
ausgenommen) 1.980,000 Polen. 2.100,000 Russe». 114,000 Deutsche und
449,000 Jubeln Alles Land westlich vom San, einem Nebenfluß der Weichsel,
ist ausschließlich von Polen bewohnt; die kleinen russischen Streustücke, welche
Erkert auf dem westlichen User dieses Flusses als vorwiegend von Russen be¬
wohnt bezeichnet, kommen — auch abgesehen von der Parteilichkeit dieses rus¬
sischen Geographen — nicht in Betracht. Wie wir wissen (vgl. den Artikel in
Heft Ur. 7) gehörte dieser Theil des Königreichs zu Kleinpolen, einer Stamm¬
provinz der Ader Republik und waren ihr die.deutsch-schlesischen Herzogthümer
Auschwitz (Oswiezim) und Zator einverleibt. Von russisch-nationalen Ansprüchen
auf dieses Ländergebiet, in welchem nach Erkerts eigener Angabe die Polen
dominiren und nur an der äußersten Grenze fünfzehn Procent der Bevölkerung
russischer Herkunft sind — darf nicht die Rede sein; die vielbesprochene „gall-
') Als zwei demokratische Journale Se. Petersburgs, die Wochenschriften .Wjek" und
„Wrcmjä" diese „heikcle Frage" im Frühjahr 1863 auswarfen, wurden sie „wegen eines un¬
erlaubten Gegensatzes gegen die in der russischen Nation herrschenden Anschauungen" auf
kaiserlichen Befehl unterdrückt!
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