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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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pacitätcn,. von geschulten Politikern fehlte, dagegen füllten sich die Bänke im
Saal der Fünfhundert mit dunkeln Ehrenmännern, mit Mittelmähigkeilcn. die
einige Schlagworte von ihren Wählern mitbekommen hatten und im Uebrigen
die Entschlossenheit mitbrachten, im Zwcifelsfall, wie es dem Biedermann zieme,
links zu stimmen. Von einer entschiedenen Mehrheit, die mit bestimmten Grund¬
sätzen eine Regierung aufrecht halten oder selbst eine Negierung aus ihrer Mitte
bilden konnte, war keine Rede, die alten Parteien waren in Fractionen zer¬
fallen, die unberechenbar von zufälligen Eindrücken, von lokalen und persön¬
lichen Stimmungen sich leiten ließen,, und man erlebte das bedenkliche Schau¬
spiel, daß die conservativen Elemente des piemontesischen Staats, anstatt einen
Damm zu bilden gegen die überstürzende und principlose Hast der Demokratie,
vielmehr aus particularistischem Trotz die Reihe" derselben verstärkten. Was
von der alten Mehrheit noch Übrig war, war einflußlos oder zeigte sichtbak
kein höheres Bestreben, als sich in die Sitze der gegenwärtigen Machthaber
einzudrängen. Dasselbe Bestreben zeigten die Führer der Linken, aber ohne
durch Aufstellung eines positiven Regicruiigsprogramms oder auch nur einzelner
Gegenentwürfc gegen die Vorlagen der Regierung ihre Befähigung zu erweisen"
Durch ihr Manifest an die Nation, worin sie eine Reihe wohlfeiler Anklagen
gegen die Regierung Nicasolis schleuderte, hat die Linke nur eine strenge Kritik
gegen sich selbst herausgefordert. Sie hat einen Finanzminister nach dem andern
gestürzt, ohne selbst das Mindeste für die Lösung der Finanzfragen beizutragen.
Sie verlangte Rom und bekämpfte den Septcmbervcrtrcig. der das Mittel war,
die Franzosen aus Rom zu entfenlcn. Sie rief unablässig nach Venetien, als
jede Aussicht verschlossen w>'r. und sie verlangte Entwaffnung, als wirklich der
einzige Ausweg, die preußische Allianz, endlich sich darbot. Sie war im Stande,
heute Nicasoli ihr Bündniß anzutragen und morgen ihn durch ein Mißtrauens¬
votum zu stürze". Mit welchem Einst sie überhaupt die parlamentarischen Ge¬
schäfte behandelt, davon nur ein Beispiel. Im vorigen Jahr nahm die Linke einen
großen Anlauf und verlangte im Ton sittlicher Entrüstung die Niedcrsctzuug einer
Cvminissioi! zur Untersuchung der GeldvcrsehlenderuNgcn, die seit dem Jahr
1860 von den Männern der verschiedenen Regierungen begangen worden seien.
Die Mehrheit willfahrt dem Wunsch, die Commission wird sogar überwiegend
^us Mitgliedern der Linken znsanuncngcsctzt, und -- diese Commission ist
nicht ein einziges Mal zusammen getreten! So schleppten sich die Ver¬
handlungen uuter fortwährenden Unterbrechungen unerquicklich, langsam, mit
winzigen Resultaten hin. Das Verdienstvollste, was die Kammer that, War
die Vvtirung außerordentlicher Vollmachten. mit welchen die Regierung im
Frühjahr in die Kriegspolitik eintrat. Zuvor hatte sie nur noch das Gesetz
über den Verkauf des Kirchenguts in der Geschwindigkeit erledigt, aber in einer
Meise, gegen die sich später erhebliche Bedenken geltend machten. Und nun


pacitätcn,. von geschulten Politikern fehlte, dagegen füllten sich die Bänke im
Saal der Fünfhundert mit dunkeln Ehrenmännern, mit Mittelmähigkeilcn. die
einige Schlagworte von ihren Wählern mitbekommen hatten und im Uebrigen
die Entschlossenheit mitbrachten, im Zwcifelsfall, wie es dem Biedermann zieme,
links zu stimmen. Von einer entschiedenen Mehrheit, die mit bestimmten Grund¬
sätzen eine Regierung aufrecht halten oder selbst eine Negierung aus ihrer Mitte
bilden konnte, war keine Rede, die alten Parteien waren in Fractionen zer¬
fallen, die unberechenbar von zufälligen Eindrücken, von lokalen und persön¬
lichen Stimmungen sich leiten ließen,, und man erlebte das bedenkliche Schau¬
spiel, daß die conservativen Elemente des piemontesischen Staats, anstatt einen
Damm zu bilden gegen die überstürzende und principlose Hast der Demokratie,
vielmehr aus particularistischem Trotz die Reihe» derselben verstärkten. Was
von der alten Mehrheit noch Übrig war, war einflußlos oder zeigte sichtbak
kein höheres Bestreben, als sich in die Sitze der gegenwärtigen Machthaber
einzudrängen. Dasselbe Bestreben zeigten die Führer der Linken, aber ohne
durch Aufstellung eines positiven Regicruiigsprogramms oder auch nur einzelner
Gegenentwürfc gegen die Vorlagen der Regierung ihre Befähigung zu erweisen«
Durch ihr Manifest an die Nation, worin sie eine Reihe wohlfeiler Anklagen
gegen die Regierung Nicasolis schleuderte, hat die Linke nur eine strenge Kritik
gegen sich selbst herausgefordert. Sie hat einen Finanzminister nach dem andern
gestürzt, ohne selbst das Mindeste für die Lösung der Finanzfragen beizutragen.
Sie verlangte Rom und bekämpfte den Septcmbervcrtrcig. der das Mittel war,
die Franzosen aus Rom zu entfenlcn. Sie rief unablässig nach Venetien, als
jede Aussicht verschlossen w>'r. und sie verlangte Entwaffnung, als wirklich der
einzige Ausweg, die preußische Allianz, endlich sich darbot. Sie war im Stande,
heute Nicasoli ihr Bündniß anzutragen und morgen ihn durch ein Mißtrauens¬
votum zu stürze». Mit welchem Einst sie überhaupt die parlamentarischen Ge¬
schäfte behandelt, davon nur ein Beispiel. Im vorigen Jahr nahm die Linke einen
großen Anlauf und verlangte im Ton sittlicher Entrüstung die Niedcrsctzuug einer
Cvminissioi! zur Untersuchung der GeldvcrsehlenderuNgcn, die seit dem Jahr
1860 von den Männern der verschiedenen Regierungen begangen worden seien.
Die Mehrheit willfahrt dem Wunsch, die Commission wird sogar überwiegend
^us Mitgliedern der Linken znsanuncngcsctzt, und — diese Commission ist
nicht ein einziges Mal zusammen getreten! So schleppten sich die Ver¬
handlungen uuter fortwährenden Unterbrechungen unerquicklich, langsam, mit
winzigen Resultaten hin. Das Verdienstvollste, was die Kammer that, War
die Vvtirung außerordentlicher Vollmachten. mit welchen die Regierung im
Frühjahr in die Kriegspolitik eintrat. Zuvor hatte sie nur noch das Gesetz
über den Verkauf des Kirchenguts in der Geschwindigkeit erledigt, aber in einer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/379>, abgerufen am 04.07.2024.