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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Nicasoli hob das Unpassende solcher Demonstrationen gegen das Kirchen¬
gesetz hervor, so lange Unterhandlungen mit dem römischen Hof im Gang seien,
die im Zusammenhang mit jenem Gesetze stehen. Er führte die Aufregung an,
die ohnedies schon im Venetianischen wegen anderer Ursachen, wegen der Steuern,
der Theurung u. a. vorhanden sei und da und dort in jüngster Zeit zu unruhigen
Auftritten geführt habe. Der Präfect von Padua, Zini, gab überdies bei der
Bekanntmachung des Verbots zu verstehen, daß die Venetianer, des Gebrauchs
der constitutionellen Freiheiten ungewohnt, leicht einem Mißbrauch desselben aus¬
gesetzt seien, daß sie die Opposition gegen einen von der Regierung eingebrachten
Gesetzentwurf leicht mit der Opposition gegen die Regierung selbst verwechseln
könnten und so das Ansehen der Regierung Noth litte.

Dagegen konnte nun gesagt werden, daß Nicasoli die Gefahr übertreibe
und überhaupt diese Volksversammlungen zu ernsthaft nehme. Von Venedig
selbst wurde geschrieben, daß die Geister daselbst zur Zeit weit angelegentlicher
mit dem Karneval beschäftigt seien als mit der Freiheit der Kirche. Wollte
Nicasoli der Aufregung des Landes nicht neue Nahrung zuführen, so schien
grade zu diesem Zweck das Mittel zweifelhaft' gewählt. Denn anstatt der
ungefährlichen Agitation einiger Volksversammlungen, hieß es, beschwöre er nun
eine Agitation des ganzen Landes herauf, einen Wahlkampf, der möglicherweise
eine noch viel feindseligere Kammer liefern werde.

Ueber die Opportunist also ließ sich streiten. Aber grade darüber schnitt
nun Nicasoli den Streit ab, indem er die Vertrauensfrage stellte und damit den
Gegenstand auf einen ganz andern Boden hob. Das Entscheidende lag nun
nicht mehr in den Gründen, die sich für und wider anführen ließen, sondern in
der Thatsache, daß nun einmal Nicasoli im Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit
glaubte, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit jene Meetings verbieten zu
müssen und diese Thatsache der Kammer zur Billigung oder Verwerfung vor¬
legte, zugleich mit der ganzen Perspective der Folgen, die der Ausspruch der
Kammer haben mußte. In dieser Lage hatte die Kammer, um ihren Spruch zu
fällen, die ganze politische Situation zu erwägen, ob diese eine Ministerver¬
änderung wünschensrvcrth machte, sie mußte sich vor allem den ganzen politi¬
schen Charakier Ricasolis vergegenwärtigen, in dem sie Erklärung und Verständ¬
niß für seinen jetzigen Schritt zu suchen hatte.

Nun war noch in Aller Gedächtniß die Haltung, welche Nicasoli im Februar
1862 dem Treiben des garibaldischen Vorsvrgccvmitö gegenüber eingenommen
hatte. Die Kammer verfehlte auch nickt ganz besonders diese Erinnerung her¬
vorzuziehen. Aber anstatt darin ein Zeugniß zu Gunsten des politischen Cha¬
rakters Nicasolis zu sehen, machte sie daraus umgekehrt eine Waffe gegen ihn-
indem sie ihn der Inconsequenz zieh.

Ganz derselbe Fall war es nun nicht; -es hatte sich damals nicht um das


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Nicasoli hob das Unpassende solcher Demonstrationen gegen das Kirchen¬
gesetz hervor, so lange Unterhandlungen mit dem römischen Hof im Gang seien,
die im Zusammenhang mit jenem Gesetze stehen. Er führte die Aufregung an,
die ohnedies schon im Venetianischen wegen anderer Ursachen, wegen der Steuern,
der Theurung u. a. vorhanden sei und da und dort in jüngster Zeit zu unruhigen
Auftritten geführt habe. Der Präfect von Padua, Zini, gab überdies bei der
Bekanntmachung des Verbots zu verstehen, daß die Venetianer, des Gebrauchs
der constitutionellen Freiheiten ungewohnt, leicht einem Mißbrauch desselben aus¬
gesetzt seien, daß sie die Opposition gegen einen von der Regierung eingebrachten
Gesetzentwurf leicht mit der Opposition gegen die Regierung selbst verwechseln
könnten und so das Ansehen der Regierung Noth litte.

Dagegen konnte nun gesagt werden, daß Nicasoli die Gefahr übertreibe
und überhaupt diese Volksversammlungen zu ernsthaft nehme. Von Venedig
selbst wurde geschrieben, daß die Geister daselbst zur Zeit weit angelegentlicher
mit dem Karneval beschäftigt seien als mit der Freiheit der Kirche. Wollte
Nicasoli der Aufregung des Landes nicht neue Nahrung zuführen, so schien
grade zu diesem Zweck das Mittel zweifelhaft' gewählt. Denn anstatt der
ungefährlichen Agitation einiger Volksversammlungen, hieß es, beschwöre er nun
eine Agitation des ganzen Landes herauf, einen Wahlkampf, der möglicherweise
eine noch viel feindseligere Kammer liefern werde.

Ueber die Opportunist also ließ sich streiten. Aber grade darüber schnitt
nun Nicasoli den Streit ab, indem er die Vertrauensfrage stellte und damit den
Gegenstand auf einen ganz andern Boden hob. Das Entscheidende lag nun
nicht mehr in den Gründen, die sich für und wider anführen ließen, sondern in
der Thatsache, daß nun einmal Nicasoli im Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit
glaubte, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit jene Meetings verbieten zu
müssen und diese Thatsache der Kammer zur Billigung oder Verwerfung vor¬
legte, zugleich mit der ganzen Perspective der Folgen, die der Ausspruch der
Kammer haben mußte. In dieser Lage hatte die Kammer, um ihren Spruch zu
fällen, die ganze politische Situation zu erwägen, ob diese eine Ministerver¬
änderung wünschensrvcrth machte, sie mußte sich vor allem den ganzen politi¬
schen Charakier Ricasolis vergegenwärtigen, in dem sie Erklärung und Verständ¬
niß für seinen jetzigen Schritt zu suchen hatte.

Nun war noch in Aller Gedächtniß die Haltung, welche Nicasoli im Februar
1862 dem Treiben des garibaldischen Vorsvrgccvmitö gegenüber eingenommen
hatte. Die Kammer verfehlte auch nickt ganz besonders diese Erinnerung her¬
vorzuziehen. Aber anstatt darin ein Zeugniß zu Gunsten des politischen Cha¬
rakters Nicasolis zu sehen, machte sie daraus umgekehrt eine Waffe gegen ihn-
indem sie ihn der Inconsequenz zieh.

Ganz derselbe Fall war es nun nicht; -es hatte sich damals nicht um das


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[0377] Nicasoli hob das Unpassende solcher Demonstrationen gegen das Kirchen¬ gesetz hervor, so lange Unterhandlungen mit dem römischen Hof im Gang seien, die im Zusammenhang mit jenem Gesetze stehen. Er führte die Aufregung an, die ohnedies schon im Venetianischen wegen anderer Ursachen, wegen der Steuern, der Theurung u. a. vorhanden sei und da und dort in jüngster Zeit zu unruhigen Auftritten geführt habe. Der Präfect von Padua, Zini, gab überdies bei der Bekanntmachung des Verbots zu verstehen, daß die Venetianer, des Gebrauchs der constitutionellen Freiheiten ungewohnt, leicht einem Mißbrauch desselben aus¬ gesetzt seien, daß sie die Opposition gegen einen von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurf leicht mit der Opposition gegen die Regierung selbst verwechseln könnten und so das Ansehen der Regierung Noth litte. Dagegen konnte nun gesagt werden, daß Nicasoli die Gefahr übertreibe und überhaupt diese Volksversammlungen zu ernsthaft nehme. Von Venedig selbst wurde geschrieben, daß die Geister daselbst zur Zeit weit angelegentlicher mit dem Karneval beschäftigt seien als mit der Freiheit der Kirche. Wollte Nicasoli der Aufregung des Landes nicht neue Nahrung zuführen, so schien grade zu diesem Zweck das Mittel zweifelhaft' gewählt. Denn anstatt der ungefährlichen Agitation einiger Volksversammlungen, hieß es, beschwöre er nun eine Agitation des ganzen Landes herauf, einen Wahlkampf, der möglicherweise eine noch viel feindseligere Kammer liefern werde. Ueber die Opportunist also ließ sich streiten. Aber grade darüber schnitt nun Nicasoli den Streit ab, indem er die Vertrauensfrage stellte und damit den Gegenstand auf einen ganz andern Boden hob. Das Entscheidende lag nun nicht mehr in den Gründen, die sich für und wider anführen ließen, sondern in der Thatsache, daß nun einmal Nicasoli im Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit glaubte, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit jene Meetings verbieten zu müssen und diese Thatsache der Kammer zur Billigung oder Verwerfung vor¬ legte, zugleich mit der ganzen Perspective der Folgen, die der Ausspruch der Kammer haben mußte. In dieser Lage hatte die Kammer, um ihren Spruch zu fällen, die ganze politische Situation zu erwägen, ob diese eine Ministerver¬ änderung wünschensrvcrth machte, sie mußte sich vor allem den ganzen politi¬ schen Charakier Ricasolis vergegenwärtigen, in dem sie Erklärung und Verständ¬ niß für seinen jetzigen Schritt zu suchen hatte. Nun war noch in Aller Gedächtniß die Haltung, welche Nicasoli im Februar 1862 dem Treiben des garibaldischen Vorsvrgccvmitö gegenüber eingenommen hatte. Die Kammer verfehlte auch nickt ganz besonders diese Erinnerung her¬ vorzuziehen. Aber anstatt darin ein Zeugniß zu Gunsten des politischen Cha¬ rakters Nicasolis zu sehen, machte sie daraus umgekehrt eine Waffe gegen ihn- indem sie ihn der Inconsequenz zieh. Ganz derselbe Fall war es nun nicht; -es hatte sich damals nicht um das 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/377>, abgerufen am 04.07.2024.