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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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alles ist so eminent constitutionell, daß man es als neuen Beweis ansehen
könnte, wie tiefe Wurzeln das constitutionelle System in dem jungen National¬
staat geschlagen. In Wahrheit ist das constitutionelle Princip in Italien noch
nie auf eine so ernste Probe gestellt worden.

Den Fall selbst betreffend, so kann über den Nechtspunkt nicht wohl ein
Zweifel sein. Die Verfassung garantirt das Versammlungsrecht, aber unterstellt
es zugleich den Bestimmungen des Gesetzes, und da nun kein besonderes Gesetz
existirt, so ist der discretionären Gewalt der Negierung ein weiter Spielraum
gelassen, so zwar, daß sie für jeden einzelnen Fall der Volksvertretung verant¬
wortlich ist. Wäre auch ein Specialgesetz vorhanden, so könnte dieses doch
keineswegs auf alle Fälle das Recht der Negierung zu Präventivmaßregeln aus¬
schließen. Nicasoli bestritt nicht das Versammlungsrecht, aber er wahrte zugleich
der Regierung das Recht, einem voraussichtlichen Mißbrauch desselben nöthigen-
falls vorzubeugen.

Ricasoli sagte in seiner Vertheidigungsrede u. a.: "Art. 32 der Verfassung,
der den Bürgern das Recht zuerkennt, sich friedlich und ohne Waffen zu ver¬
sammeln, unterwirft dasselbe gleichzeitig den Bestimmungen des Gesetzes. Und
da nun kein besonderes Gesetz besteht, das die Art und Weise und die Grenzen
der Ausübung dieses Rechts, feststellt. so fallen diese Grenzen unter diejenigen
Dispositionen, welche im Allgemeinen die Materie der öffentlichen Sicherheit
betreffen. ... In der That, wenn einerseits die Verfassung den Bürgern das
Versammlungsrecht zugesteht, vorbehaltlich jedoch der Einhaltung des Gesetzes,
so schreiben viele andere Gesetze der Negierung und insbesondere dem Minister
des Innern vor, allem dem vorzubeugen, was die öffentliche Ordnung, die
Sicherheit des Staats sowohl im Innern als nach außen gefährden könnte.
Seitdem ich die Ehre hatte zum ersten Mal über diesen Gegenstand meine Mei¬
nung in der Kammer auszudrücken, hat sich bereits eine Art juristischer Brauch
gebildet, welcher die Grundlagen für die Behandlung der Versammlungen und
Vereine genau stxirt. Sowohl die Negierung als die Kammer und ebenso die
Gerichte haben festgehalten und ausgesprochen, daß. so lange nicht durch ein
besonderes Gesetz die Art und Weise der Ausübung dieses Rechts festgestellt sei,
es der Regierung zukomme, welche dem Parlament und dem Land gegenüber
sür die Erhaltung der Ordnung verantwortlich ist, zu entscheiden, ob in einem
gegebenen Augenblick diese durch die Einberufung von Volksversammlungen
ernstlich gefährdet sei. ... Ja ich wiederhole, dies steht der Regierung zu, die
in Sachen der öffentlichen Sicherheit der einzige Richter und allein verant¬
wortlich ist."

Dies alles ist einleuchtend. Von Versassungsverletzung konnte nicht die
Rede sein, so laut auch die Linke darüber schrie. Eher ließ sich über die Op¬
portunist der Maßregel streiten, welche den Bruch herbeiführte.


alles ist so eminent constitutionell, daß man es als neuen Beweis ansehen
könnte, wie tiefe Wurzeln das constitutionelle System in dem jungen National¬
staat geschlagen. In Wahrheit ist das constitutionelle Princip in Italien noch
nie auf eine so ernste Probe gestellt worden.

Den Fall selbst betreffend, so kann über den Nechtspunkt nicht wohl ein
Zweifel sein. Die Verfassung garantirt das Versammlungsrecht, aber unterstellt
es zugleich den Bestimmungen des Gesetzes, und da nun kein besonderes Gesetz
existirt, so ist der discretionären Gewalt der Negierung ein weiter Spielraum
gelassen, so zwar, daß sie für jeden einzelnen Fall der Volksvertretung verant¬
wortlich ist. Wäre auch ein Specialgesetz vorhanden, so könnte dieses doch
keineswegs auf alle Fälle das Recht der Negierung zu Präventivmaßregeln aus¬
schließen. Nicasoli bestritt nicht das Versammlungsrecht, aber er wahrte zugleich
der Regierung das Recht, einem voraussichtlichen Mißbrauch desselben nöthigen-
falls vorzubeugen.

Ricasoli sagte in seiner Vertheidigungsrede u. a.: „Art. 32 der Verfassung,
der den Bürgern das Recht zuerkennt, sich friedlich und ohne Waffen zu ver¬
sammeln, unterwirft dasselbe gleichzeitig den Bestimmungen des Gesetzes. Und
da nun kein besonderes Gesetz besteht, das die Art und Weise und die Grenzen
der Ausübung dieses Rechts, feststellt. so fallen diese Grenzen unter diejenigen
Dispositionen, welche im Allgemeinen die Materie der öffentlichen Sicherheit
betreffen. ... In der That, wenn einerseits die Verfassung den Bürgern das
Versammlungsrecht zugesteht, vorbehaltlich jedoch der Einhaltung des Gesetzes,
so schreiben viele andere Gesetze der Negierung und insbesondere dem Minister
des Innern vor, allem dem vorzubeugen, was die öffentliche Ordnung, die
Sicherheit des Staats sowohl im Innern als nach außen gefährden könnte.
Seitdem ich die Ehre hatte zum ersten Mal über diesen Gegenstand meine Mei¬
nung in der Kammer auszudrücken, hat sich bereits eine Art juristischer Brauch
gebildet, welcher die Grundlagen für die Behandlung der Versammlungen und
Vereine genau stxirt. Sowohl die Negierung als die Kammer und ebenso die
Gerichte haben festgehalten und ausgesprochen, daß. so lange nicht durch ein
besonderes Gesetz die Art und Weise der Ausübung dieses Rechts festgestellt sei,
es der Regierung zukomme, welche dem Parlament und dem Land gegenüber
sür die Erhaltung der Ordnung verantwortlich ist, zu entscheiden, ob in einem
gegebenen Augenblick diese durch die Einberufung von Volksversammlungen
ernstlich gefährdet sei. ... Ja ich wiederhole, dies steht der Regierung zu, die
in Sachen der öffentlichen Sicherheit der einzige Richter und allein verant¬
wortlich ist."

Dies alles ist einleuchtend. Von Versassungsverletzung konnte nicht die
Rede sein, so laut auch die Linke darüber schrie. Eher ließ sich über die Op¬
portunist der Maßregel streiten, welche den Bruch herbeiführte.


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[0376] alles ist so eminent constitutionell, daß man es als neuen Beweis ansehen könnte, wie tiefe Wurzeln das constitutionelle System in dem jungen National¬ staat geschlagen. In Wahrheit ist das constitutionelle Princip in Italien noch nie auf eine so ernste Probe gestellt worden. Den Fall selbst betreffend, so kann über den Nechtspunkt nicht wohl ein Zweifel sein. Die Verfassung garantirt das Versammlungsrecht, aber unterstellt es zugleich den Bestimmungen des Gesetzes, und da nun kein besonderes Gesetz existirt, so ist der discretionären Gewalt der Negierung ein weiter Spielraum gelassen, so zwar, daß sie für jeden einzelnen Fall der Volksvertretung verant¬ wortlich ist. Wäre auch ein Specialgesetz vorhanden, so könnte dieses doch keineswegs auf alle Fälle das Recht der Negierung zu Präventivmaßregeln aus¬ schließen. Nicasoli bestritt nicht das Versammlungsrecht, aber er wahrte zugleich der Regierung das Recht, einem voraussichtlichen Mißbrauch desselben nöthigen- falls vorzubeugen. Ricasoli sagte in seiner Vertheidigungsrede u. a.: „Art. 32 der Verfassung, der den Bürgern das Recht zuerkennt, sich friedlich und ohne Waffen zu ver¬ sammeln, unterwirft dasselbe gleichzeitig den Bestimmungen des Gesetzes. Und da nun kein besonderes Gesetz besteht, das die Art und Weise und die Grenzen der Ausübung dieses Rechts, feststellt. so fallen diese Grenzen unter diejenigen Dispositionen, welche im Allgemeinen die Materie der öffentlichen Sicherheit betreffen. ... In der That, wenn einerseits die Verfassung den Bürgern das Versammlungsrecht zugesteht, vorbehaltlich jedoch der Einhaltung des Gesetzes, so schreiben viele andere Gesetze der Negierung und insbesondere dem Minister des Innern vor, allem dem vorzubeugen, was die öffentliche Ordnung, die Sicherheit des Staats sowohl im Innern als nach außen gefährden könnte. Seitdem ich die Ehre hatte zum ersten Mal über diesen Gegenstand meine Mei¬ nung in der Kammer auszudrücken, hat sich bereits eine Art juristischer Brauch gebildet, welcher die Grundlagen für die Behandlung der Versammlungen und Vereine genau stxirt. Sowohl die Negierung als die Kammer und ebenso die Gerichte haben festgehalten und ausgesprochen, daß. so lange nicht durch ein besonderes Gesetz die Art und Weise der Ausübung dieses Rechts festgestellt sei, es der Regierung zukomme, welche dem Parlament und dem Land gegenüber sür die Erhaltung der Ordnung verantwortlich ist, zu entscheiden, ob in einem gegebenen Augenblick diese durch die Einberufung von Volksversammlungen ernstlich gefährdet sei. ... Ja ich wiederhole, dies steht der Regierung zu, die in Sachen der öffentlichen Sicherheit der einzige Richter und allein verant¬ wortlich ist." Dies alles ist einleuchtend. Von Versassungsverletzung konnte nicht die Rede sein, so laut auch die Linke darüber schrie. Eher ließ sich über die Op¬ portunist der Maßregel streiten, welche den Bruch herbeiführte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/376>, abgerufen am 02.07.2024.