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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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beziehentlich des deutschen Zollvereins, und folglich blos so lange, wie es den
gesetzgebenden Gewalten dieses Körpers nicht etwa anders beliebt.

Einer Verladung der Angelegenheit wird sich voraussichtlich auch der
Reichstag nicht entziehen können, mag er nun den Hansestädten zu Liebe auf
ein Slück seiner Kompetenz verzichten oder nicht. Wäre er in seiner Mehrheit
bereits entschlossen, Hamburg und Bremen Freihafen bleiben zu lassen, so hätte
die Mehrheit keinen praktischen Grund, überhaupt irgendeinen bestimmten Be¬
schluß in der Sache selbst zu fassen; er könnte es nur einfach lasse" wie es ist,
und abwarten. was die Zukunft bringt. Wäre die Mehrheit aber umgekehrt
der hanseatischen Sonderstellung entgegen, so würde sie doch wohl eine gründ¬
liche Untersuchung an Ort und Stelle, eine parlamentarische Enquete nach Art
der englischen dem Spruche vorausgehen lassen wollen; oder wenn selbst das
nicht, so müßten, bevor die Zolllinie die beiden Städte in sich aufnehmen könnte,
die Docks gebaut sein, ohne welche kein Mensch den Hansestädten den Ueber¬
gang zu gleichem Recht mit allen übrigen Seehandelsplätzen ansinnt.

E>ne Vertagung hat aber einen noch viel stärkeren Grund für sich: die be¬
gründete Hoffnung, daß binnen einer nicht zu langen Reihe von Jahren eine
alle Interessen versöhnende, alle Parteien befriedigende Lösung beinahe von selbst
sich herausstellen werde. Schon von dem ersten volkswirtschaftlichen Congresse
datirt >n Deutschland das Bestreben praktischer Fortschrittsmänncr, den Tarif
des Zollvereins den Positionen nach zu reduciren. Einige wenige Artikel, der
sechste oder achte Theil der überhaupt besteuerten, liefern die große Masse der
Zolleinnahmen. Ließe man außer Kaffee. Zucker, Tabak, Wein, Wollen-, Baum¬
wollenwaaren und ein paar andern Gegenständen massenhaften Verbrauchs, alle
übrigen Artikel frei von Zoll, so würde sich der Ertrag nur um ein paar Pro-
cent verringern, und auf der andern Seile würden voraussichtlich mehr oder
minder entsprechend die Erhebungslosten sinken. Der Handel aber erhält damit
eine Erleichterung, die nicht hoch genug anzuschlagen ist. Diese Art von Tanf-
reform muß fortan, da jetzt die Zollvereinsgesetzgebung eine stetige Beweglich¬
keit erlangt hat, anstatt nur aller zwölf Jahre einmal durch lebensgefährliche
Krisen fortzuschreiten, das Augenmerk nicht nur der Freihändler, sondern auch
der Finanzmänner Deutschlands sein. Der Handelsstand der preußischen See¬
häfen hat sie seinerseits bereits ins Auge gefaßt. Die Hansestädte aber würden
sich einer solchen Politik und Agitation nicht eifrig genug anschließen können,
denn der Erfolg derselben würde ihnen gestatten, auf ihre Sonderstellung zu
verzichten ohne gleichzeitige Gefahr für den vollen bisherigen Antheil am Welt¬
handel. Nicht allein, daß der daraus hervorgehende allgemeine Ausschwung des
Handels sie über die Unbequemlichkeiten durchgängiger Verzollung eher Hinweg-
Heben würde; auch die Verlegung ihres außerdeutschen Handels in die Docks
wird minder schwierig und bedenklich, wenn sie sich nur aus eine kleine Zahl


beziehentlich des deutschen Zollvereins, und folglich blos so lange, wie es den
gesetzgebenden Gewalten dieses Körpers nicht etwa anders beliebt.

Einer Verladung der Angelegenheit wird sich voraussichtlich auch der
Reichstag nicht entziehen können, mag er nun den Hansestädten zu Liebe auf
ein Slück seiner Kompetenz verzichten oder nicht. Wäre er in seiner Mehrheit
bereits entschlossen, Hamburg und Bremen Freihafen bleiben zu lassen, so hätte
die Mehrheit keinen praktischen Grund, überhaupt irgendeinen bestimmten Be¬
schluß in der Sache selbst zu fassen; er könnte es nur einfach lasse» wie es ist,
und abwarten. was die Zukunft bringt. Wäre die Mehrheit aber umgekehrt
der hanseatischen Sonderstellung entgegen, so würde sie doch wohl eine gründ¬
liche Untersuchung an Ort und Stelle, eine parlamentarische Enquete nach Art
der englischen dem Spruche vorausgehen lassen wollen; oder wenn selbst das
nicht, so müßten, bevor die Zolllinie die beiden Städte in sich aufnehmen könnte,
die Docks gebaut sein, ohne welche kein Mensch den Hansestädten den Ueber¬
gang zu gleichem Recht mit allen übrigen Seehandelsplätzen ansinnt.

E>ne Vertagung hat aber einen noch viel stärkeren Grund für sich: die be¬
gründete Hoffnung, daß binnen einer nicht zu langen Reihe von Jahren eine
alle Interessen versöhnende, alle Parteien befriedigende Lösung beinahe von selbst
sich herausstellen werde. Schon von dem ersten volkswirtschaftlichen Congresse
datirt >n Deutschland das Bestreben praktischer Fortschrittsmänncr, den Tarif
des Zollvereins den Positionen nach zu reduciren. Einige wenige Artikel, der
sechste oder achte Theil der überhaupt besteuerten, liefern die große Masse der
Zolleinnahmen. Ließe man außer Kaffee. Zucker, Tabak, Wein, Wollen-, Baum¬
wollenwaaren und ein paar andern Gegenständen massenhaften Verbrauchs, alle
übrigen Artikel frei von Zoll, so würde sich der Ertrag nur um ein paar Pro-
cent verringern, und auf der andern Seile würden voraussichtlich mehr oder
minder entsprechend die Erhebungslosten sinken. Der Handel aber erhält damit
eine Erleichterung, die nicht hoch genug anzuschlagen ist. Diese Art von Tanf-
reform muß fortan, da jetzt die Zollvereinsgesetzgebung eine stetige Beweglich¬
keit erlangt hat, anstatt nur aller zwölf Jahre einmal durch lebensgefährliche
Krisen fortzuschreiten, das Augenmerk nicht nur der Freihändler, sondern auch
der Finanzmänner Deutschlands sein. Der Handelsstand der preußischen See¬
häfen hat sie seinerseits bereits ins Auge gefaßt. Die Hansestädte aber würden
sich einer solchen Politik und Agitation nicht eifrig genug anschließen können,
denn der Erfolg derselben würde ihnen gestatten, auf ihre Sonderstellung zu
verzichten ohne gleichzeitige Gefahr für den vollen bisherigen Antheil am Welt¬
handel. Nicht allein, daß der daraus hervorgehende allgemeine Ausschwung des
Handels sie über die Unbequemlichkeiten durchgängiger Verzollung eher Hinweg-
Heben würde; auch die Verlegung ihres außerdeutschen Handels in die Docks
wird minder schwierig und bedenklich, wenn sie sich nur aus eine kleine Zahl


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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/372>, abgerufen am 02.07.2024.