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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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noch zollpflichtiger Artikel bezieht. Und da ihre Vertreter nun ja Sitz und
Stimme bei den Berathungen erlangen, welche über die deutsche Zollgesetzgebung
entscheiden, so wäre zu wünschen, daß sie statt bloßer passiver Abwehr von An¬
griffen auf die Freihafcnstellung ihrer Plätze, die auf die Dauer mißluigcn
möchte, vielmehr alle ihre Energie und Einsicht auf das Ziel einer duvcbgrei-
fenden Tarisrcduction richteten, weil dies auch die Hansestädte bestimmen könnte,
ihren altererbter und sicher bisher nicht mißbrauchten Vorrechten vor anderen
deutschen Scehandelöplätzen bereitwillig zu entsagen. --

Seitdem Vorstehendes geschrieben wurde, haben die Parlamentswahlen
stattgefunden. Sie sind in Hamburg zu einem Masseuprvtcst gegen den Ein¬
tritt in die Zollliine ausgeschlagen. Die Anschlußpartei hatte zwei untadlige
Namen aufgestellt, den Kaufmann Woermann und den Professor Aegidi. aber
keiner der beiden hat es auf viel mehr als ein halbes Tausend Stimmen ge¬
bracht. Wir möchten daher auch durchaus nicht annehmen, Preußenfreundlichkeit
oder entschieden nationale Gesinnung sei bei diesem Wahlact gleichbedeutend
gewesen mit Parteinahme für den Eintritt in den Zvllverband. In Bremen
findet der letztere reichlich ebensowenig Anklang als in Hamburg, und doch wäre
es lächerlich, der Stadt Bremen und ihrem Reichstagsvertreter Preußenfreund-
lichkeit oder entschieden nationale Gesinnung abzusprechen, sowohl im Allgemeinen
als im Gegensatz zu dem dort unterlegenen Gegencandidaten. Wir wollen da¬
her die Herren Sloman. de Chapeaurouge und N6e (trotz ihrer merkwürdiger¬
weise durchgehende ausländischen Namen) so wenig wie Consul H. H. Meier
aus Bremen von vornherein als Particularisten, als Gegner des vom Grafen
Bismarck unternommenen nationalen Einheitswerks betrachten, sondern hoffen,
daß sie mit dem bremer und mit dem lübccker Abgeordneren ihren Platz inner¬
halb der Bänke der patriotischen Liberalen suchen werde". Es ist den
Hamburgern dieser Tage von Berlin her mit Recht zu Gemüthe geführt worden,
daß ihr Gemeinwesen fortan auf den guten Willen der preußischen Regierung
noch etwas mehr angewiesen sei als die übrigen Kleinstaaten, daß es bevorzugt
und bevorrechtet, aber schwach, folglich zu einer besonders rücksichtsvollen und
umsichtigen Haltung verbunden sei. Mögen sie sich durch das Schicksal Frank¬
furts warnen lassen, damit eine nächste Katastrophe sie nicht mit ähnlichem
Blitzstrahl treffe! Gegenwärtig ist man in Berlin für die Hansestädte überhaupt
noch eines aufrichtigen und einsichtigen Wohlwollens augenscheinlich voll. Von
Hamburg hauptsächlich wird es abhängen, ob dieses Wohlwollen in Bezug auf
alle drei Städte, oder in Bezug auf Hamburg allein wenigstens kalter und rück¬
sichtsloser Gleichgiltigkeit Platz machen soll, -- und Hamburg verkörpert sich
letzt zunächst in seinen drei Abgeordneten zum Parlament.




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noch zollpflichtiger Artikel bezieht. Und da ihre Vertreter nun ja Sitz und
Stimme bei den Berathungen erlangen, welche über die deutsche Zollgesetzgebung
entscheiden, so wäre zu wünschen, daß sie statt bloßer passiver Abwehr von An¬
griffen auf die Freihafcnstellung ihrer Plätze, die auf die Dauer mißluigcn
möchte, vielmehr alle ihre Energie und Einsicht auf das Ziel einer duvcbgrei-
fenden Tarisrcduction richteten, weil dies auch die Hansestädte bestimmen könnte,
ihren altererbter und sicher bisher nicht mißbrauchten Vorrechten vor anderen
deutschen Scehandelöplätzen bereitwillig zu entsagen. —

Seitdem Vorstehendes geschrieben wurde, haben die Parlamentswahlen
stattgefunden. Sie sind in Hamburg zu einem Masseuprvtcst gegen den Ein¬
tritt in die Zollliine ausgeschlagen. Die Anschlußpartei hatte zwei untadlige
Namen aufgestellt, den Kaufmann Woermann und den Professor Aegidi. aber
keiner der beiden hat es auf viel mehr als ein halbes Tausend Stimmen ge¬
bracht. Wir möchten daher auch durchaus nicht annehmen, Preußenfreundlichkeit
oder entschieden nationale Gesinnung sei bei diesem Wahlact gleichbedeutend
gewesen mit Parteinahme für den Eintritt in den Zvllverband. In Bremen
findet der letztere reichlich ebensowenig Anklang als in Hamburg, und doch wäre
es lächerlich, der Stadt Bremen und ihrem Reichstagsvertreter Preußenfreund-
lichkeit oder entschieden nationale Gesinnung abzusprechen, sowohl im Allgemeinen
als im Gegensatz zu dem dort unterlegenen Gegencandidaten. Wir wollen da¬
her die Herren Sloman. de Chapeaurouge und N6e (trotz ihrer merkwürdiger¬
weise durchgehende ausländischen Namen) so wenig wie Consul H. H. Meier
aus Bremen von vornherein als Particularisten, als Gegner des vom Grafen
Bismarck unternommenen nationalen Einheitswerks betrachten, sondern hoffen,
daß sie mit dem bremer und mit dem lübccker Abgeordneren ihren Platz inner¬
halb der Bänke der patriotischen Liberalen suchen werde». Es ist den
Hamburgern dieser Tage von Berlin her mit Recht zu Gemüthe geführt worden,
daß ihr Gemeinwesen fortan auf den guten Willen der preußischen Regierung
noch etwas mehr angewiesen sei als die übrigen Kleinstaaten, daß es bevorzugt
und bevorrechtet, aber schwach, folglich zu einer besonders rücksichtsvollen und
umsichtigen Haltung verbunden sei. Mögen sie sich durch das Schicksal Frank¬
furts warnen lassen, damit eine nächste Katastrophe sie nicht mit ähnlichem
Blitzstrahl treffe! Gegenwärtig ist man in Berlin für die Hansestädte überhaupt
noch eines aufrichtigen und einsichtigen Wohlwollens augenscheinlich voll. Von
Hamburg hauptsächlich wird es abhängen, ob dieses Wohlwollen in Bezug auf
alle drei Städte, oder in Bezug auf Hamburg allein wenigstens kalter und rück¬
sichtsloser Gleichgiltigkeit Platz machen soll, — und Hamburg verkörpert sich
letzt zunächst in seinen drei Abgeordneten zum Parlament.




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[0373] noch zollpflichtiger Artikel bezieht. Und da ihre Vertreter nun ja Sitz und Stimme bei den Berathungen erlangen, welche über die deutsche Zollgesetzgebung entscheiden, so wäre zu wünschen, daß sie statt bloßer passiver Abwehr von An¬ griffen auf die Freihafcnstellung ihrer Plätze, die auf die Dauer mißluigcn möchte, vielmehr alle ihre Energie und Einsicht auf das Ziel einer duvcbgrei- fenden Tarisrcduction richteten, weil dies auch die Hansestädte bestimmen könnte, ihren altererbter und sicher bisher nicht mißbrauchten Vorrechten vor anderen deutschen Scehandelöplätzen bereitwillig zu entsagen. — Seitdem Vorstehendes geschrieben wurde, haben die Parlamentswahlen stattgefunden. Sie sind in Hamburg zu einem Masseuprvtcst gegen den Ein¬ tritt in die Zollliine ausgeschlagen. Die Anschlußpartei hatte zwei untadlige Namen aufgestellt, den Kaufmann Woermann und den Professor Aegidi. aber keiner der beiden hat es auf viel mehr als ein halbes Tausend Stimmen ge¬ bracht. Wir möchten daher auch durchaus nicht annehmen, Preußenfreundlichkeit oder entschieden nationale Gesinnung sei bei diesem Wahlact gleichbedeutend gewesen mit Parteinahme für den Eintritt in den Zvllverband. In Bremen findet der letztere reichlich ebensowenig Anklang als in Hamburg, und doch wäre es lächerlich, der Stadt Bremen und ihrem Reichstagsvertreter Preußenfreund- lichkeit oder entschieden nationale Gesinnung abzusprechen, sowohl im Allgemeinen als im Gegensatz zu dem dort unterlegenen Gegencandidaten. Wir wollen da¬ her die Herren Sloman. de Chapeaurouge und N6e (trotz ihrer merkwürdiger¬ weise durchgehende ausländischen Namen) so wenig wie Consul H. H. Meier aus Bremen von vornherein als Particularisten, als Gegner des vom Grafen Bismarck unternommenen nationalen Einheitswerks betrachten, sondern hoffen, daß sie mit dem bremer und mit dem lübccker Abgeordneren ihren Platz inner¬ halb der Bänke der patriotischen Liberalen suchen werde». Es ist den Hamburgern dieser Tage von Berlin her mit Recht zu Gemüthe geführt worden, daß ihr Gemeinwesen fortan auf den guten Willen der preußischen Regierung noch etwas mehr angewiesen sei als die übrigen Kleinstaaten, daß es bevorzugt und bevorrechtet, aber schwach, folglich zu einer besonders rücksichtsvollen und umsichtigen Haltung verbunden sei. Mögen sie sich durch das Schicksal Frank¬ furts warnen lassen, damit eine nächste Katastrophe sie nicht mit ähnlichem Blitzstrahl treffe! Gegenwärtig ist man in Berlin für die Hansestädte überhaupt noch eines aufrichtigen und einsichtigen Wohlwollens augenscheinlich voll. Von Hamburg hauptsächlich wird es abhängen, ob dieses Wohlwollen in Bezug auf alle drei Städte, oder in Bezug auf Hamburg allein wenigstens kalter und rück¬ sichtsloser Gleichgiltigkeit Platz machen soll, — und Hamburg verkörpert sich letzt zunächst in seinen drei Abgeordneten zum Parlament. 46'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/373>, abgerufen am 30.06.2024.