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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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fertig dalagen, mitzutheilen und zu commentiren, gab er nur sehr unbestimmte
Andeutungen über ihren Inhalt und überging grade die Punkte, welche der
Discussion am meisten ausgesetzt sein werden. Aus seinen Worten lieh sich
nur das abnehmen, daß nach den Resolutionen das Wahlrecht nicht mehr auf
Miethe und Pacht, sondern auf Steuern gegründet werden soll, daß seine Aus¬
dehnung umfassend sein soll, aber doch keiner Classe das Uebergewicht im Pa"
lauert geben dürfe, daß die Reform im Geist der britischen Verfassung sein
müsse, deren glänzende Vorzüge der Redner durch Vergleiche mit ander" legis¬
lativen Versammlungen hervorzuheben suchte, so daß das Wahlrecht als natio¬
nales Privileg und nicht als demokratisches Recht gelte, daß kein Flecken seines
Wahlrechtes ganz beraubt werde" soll, ausgenommen im Falle bewiesener sy¬
stematischer Bestechung, daß die Sitze, welche durch theilweise Entziehung des
Wahlrechts gewonnen würden, zum Theil aber nicht ausschließlich unvertrc-
tenen Städten von Bedeutung' gegeben werden sollten und endlich daß eine
schärfere Sondirung der ländlichen Bevölkerung von derjenigen der Flecken durch¬
geführt werden müsse. Die erstere sei schon an sich ungenügend vertreten und
dürfe nicht mit letzterer zusammengeworfen werden.

Gegen alle diese Sätze wird in ihrer Allgemeinheit vielleicht nicht viel ein¬
zuwenden sein, wenden wir nun abe? den Blick auf die Resolutionen selbst,
wie sie uns jetzt gedruckt vorliegen, so zeigt sich, daß grade die wichtigsten
Punkte mit Stillschweigen übergangen wurden. Daß die Zahl der Wähler durch
Herabsetzung der Wahlqualification vermehrt werden soll, wird kaum noch vc-
stritten, aber alles hängt davon ab, wie weit diese Reduction gehen wird; darf
ihre Durchführung, wenn sie auf Stcuerumlagcn gegründet werden sollte, da¬
von abhängen, daß das System der Umlagen revidirt werde? So lange man
nicht weiß, was die Negierung in dieser Beziehung will, ist durch Aufstellung
des allgemeinen Princips so wenig gewonnen, als durch die Erklärung, daß
keiner Classe ein Uebergewicht gegeben werden dürfe; die Aufgabe des Staats¬
mannes ist eben, solche theoretische Wahrheiten praktisch zu realisiren und zu
versöhnen, und dazu geben die Resolutionen wenig Anhalt, während ihr fünf¬
ter Satz, wonach ein Wähler unter Umständen mehr als eine Stimme erhalten
könnte, sehr bedenklich klingt.

Mit Ausnahme der, entschiedenen Tvryvlättcr geht die allgemeine Stimme
dahin, baß Disraeli die Aufgabe der Regierung sehr falsch aufgefaßt und seiner
Partei schlechte Dienste geleistet; er zeigte sein rednerisches und epigrammatisches
Talent zwar wieder auf glänzende Weise, aber faßte nicht den eigentlichen Kern
der Frage scharf ins Auge, sondern umging ihn und vertiefte sich in Excurse,
welche, so anziehend sie an sich sein mochten/) doch nur sehr indirect zur Sache



") Wir möchten unsern Lesern in dieser Beziehung namentlich die Ausführungen em¬
pfehle", wie mit dem demokratische" allgemeine" Stimmrecht sich die Macht der Legislative
vermindert.

fertig dalagen, mitzutheilen und zu commentiren, gab er nur sehr unbestimmte
Andeutungen über ihren Inhalt und überging grade die Punkte, welche der
Discussion am meisten ausgesetzt sein werden. Aus seinen Worten lieh sich
nur das abnehmen, daß nach den Resolutionen das Wahlrecht nicht mehr auf
Miethe und Pacht, sondern auf Steuern gegründet werden soll, daß seine Aus¬
dehnung umfassend sein soll, aber doch keiner Classe das Uebergewicht im Pa»
lauert geben dürfe, daß die Reform im Geist der britischen Verfassung sein
müsse, deren glänzende Vorzüge der Redner durch Vergleiche mit ander» legis¬
lativen Versammlungen hervorzuheben suchte, so daß das Wahlrecht als natio¬
nales Privileg und nicht als demokratisches Recht gelte, daß kein Flecken seines
Wahlrechtes ganz beraubt werde» soll, ausgenommen im Falle bewiesener sy¬
stematischer Bestechung, daß die Sitze, welche durch theilweise Entziehung des
Wahlrechts gewonnen würden, zum Theil aber nicht ausschließlich unvertrc-
tenen Städten von Bedeutung' gegeben werden sollten und endlich daß eine
schärfere Sondirung der ländlichen Bevölkerung von derjenigen der Flecken durch¬
geführt werden müsse. Die erstere sei schon an sich ungenügend vertreten und
dürfe nicht mit letzterer zusammengeworfen werden.

Gegen alle diese Sätze wird in ihrer Allgemeinheit vielleicht nicht viel ein¬
zuwenden sein, wenden wir nun abe? den Blick auf die Resolutionen selbst,
wie sie uns jetzt gedruckt vorliegen, so zeigt sich, daß grade die wichtigsten
Punkte mit Stillschweigen übergangen wurden. Daß die Zahl der Wähler durch
Herabsetzung der Wahlqualification vermehrt werden soll, wird kaum noch vc-
stritten, aber alles hängt davon ab, wie weit diese Reduction gehen wird; darf
ihre Durchführung, wenn sie auf Stcuerumlagcn gegründet werden sollte, da¬
von abhängen, daß das System der Umlagen revidirt werde? So lange man
nicht weiß, was die Negierung in dieser Beziehung will, ist durch Aufstellung
des allgemeinen Princips so wenig gewonnen, als durch die Erklärung, daß
keiner Classe ein Uebergewicht gegeben werden dürfe; die Aufgabe des Staats¬
mannes ist eben, solche theoretische Wahrheiten praktisch zu realisiren und zu
versöhnen, und dazu geben die Resolutionen wenig Anhalt, während ihr fünf¬
ter Satz, wonach ein Wähler unter Umständen mehr als eine Stimme erhalten
könnte, sehr bedenklich klingt.

Mit Ausnahme der, entschiedenen Tvryvlättcr geht die allgemeine Stimme
dahin, baß Disraeli die Aufgabe der Regierung sehr falsch aufgefaßt und seiner
Partei schlechte Dienste geleistet; er zeigte sein rednerisches und epigrammatisches
Talent zwar wieder auf glänzende Weise, aber faßte nicht den eigentlichen Kern
der Frage scharf ins Auge, sondern umging ihn und vertiefte sich in Excurse,
welche, so anziehend sie an sich sein mochten/) doch nur sehr indirect zur Sache



") Wir möchten unsern Lesern in dieser Beziehung namentlich die Ausführungen em¬
pfehle», wie mit dem demokratische» allgemeine» Stimmrecht sich die Macht der Legislative
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/367>, abgerufen am 27.07.2024.