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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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verrücken sollten. Auch im Laufe der vorigen Woche verweigerten die Minister
jede weitere Auskunft und erst am Sonntag ward soviel bekannt, daß Resolu¬
tionen vorgeschlagen werden sollten.

Das Haus war überfüllt, schon um 1 Uhr wartete die Menge in der
großen Halle, bald nach 4 Uhr, nachdem der Sprecher das Gebet gesprochen,
wurden die Thüren der Gallerien geöffnet, welche im Umsehen bis auf den letzten
Platz besetzt warm, der Prinz von Wales, die Herzoge von Edingburgh und
Cambridge saßen unten so gedrängt wie oben. Die Gesandten und Peers,
unter denen wir Lords Russell, Derby und Granville bemerkten, selbst die Mit¬
glieder des Hauses hatten kaum Platz. 4'/- Uhr erhob sich Disraeli unter den
Chcers seiner Partei, denen allgemeine Heiterkeit folgte, als der Secretair den
Resormpassus der Thronrede, welchen er zur Einleitung vorlesen sollte, nicht
finden konnte. Nach der Rede Lord Derbys in der Ädreßdebatte war das Haus
auf die Erklärung vorbereitet, daß die Zeit gekommen, wo Reform nicht länger
als Parteifrage behandelt werde" dürfe und mußte in seiner Mehrheit den
Grund zugeben, welchen der Schatzkanzler hierfür geltend machte, daß nämlich
seit 1852 jede Partei die Lösung dieser Frage versucht habe und daran geschei¬
tert sei. Disraeli versuchte seine Zuhörer davon zu überzeugen, daß nur die
Mängel der Reformacte von 1832 eine neue und verbessernde Maßregel noth¬
wendig machten und daß ihr Fehler nicht, wie Lord Russell neulich behauptet, in
dem Wahlrecht liege, welches sie den Pächtern gegeben, sondern in der Ent¬
ziehung des Wahlrechtes der arbeitenden Classen. Er scheint uns mit dieser
Behauptung so Unrecht zu haben wie der frühere Premier mit der seinigen.
Allerdings Halle" vor 1832 viele Arbeiter das Stimmrecht, aber dies waren
grade die Proletarier der verrotteten Burgflccken, die rein auf Befehl der Grund¬
herrn stimmten, sie hat die Entziehung des Wahlrechtes sehr verdienter Weise
getroffen und die jetzige Bewegung in den arbeitenden Classen um Vertretung
im Parlament zu erhalten, hat damit nicht das Geringste gemein.

Der Redner suchte dann geschichtlich zu beweisen, daß die Wiedereröffnung
der Frage, welche grade Lord Russell als durch die Acte von 1832 endgiltig
entschieden erklärt habe, wesentlich den Bestrebungen einzelner unabhängiger
Mitglieder des Hauses und nicht den sich folgenden Ministerien zuzuschreiben
sei und zog daraus den einigermaßen gesuchten Schluß, daß das Haus deshalb
mit der gegenwärtigen Regierung die Verantwortlichkeit für die Erledigung dieser
Frage theile. Aus diesem Grunde habe Lord Derbys Verwaltung sich entschieden,
auf dem Weg der Resolutionen vorzugehen, um sich zu vergewissern, ob eine
Uebereinstimmung in den allgemeinen Zielen zu erreichen sei und damit ein
fester Grund für die einzubringende Bill gewonnen werden könnte. -- Für diese
Methode war viel zu sagen; aber Disraeli überzeugte die Versammlung wenig
Von ihren Vorzügen. Statt die Vorschläge der Negierung, die doch schon druck-


verrücken sollten. Auch im Laufe der vorigen Woche verweigerten die Minister
jede weitere Auskunft und erst am Sonntag ward soviel bekannt, daß Resolu¬
tionen vorgeschlagen werden sollten.

Das Haus war überfüllt, schon um 1 Uhr wartete die Menge in der
großen Halle, bald nach 4 Uhr, nachdem der Sprecher das Gebet gesprochen,
wurden die Thüren der Gallerien geöffnet, welche im Umsehen bis auf den letzten
Platz besetzt warm, der Prinz von Wales, die Herzoge von Edingburgh und
Cambridge saßen unten so gedrängt wie oben. Die Gesandten und Peers,
unter denen wir Lords Russell, Derby und Granville bemerkten, selbst die Mit¬
glieder des Hauses hatten kaum Platz. 4'/- Uhr erhob sich Disraeli unter den
Chcers seiner Partei, denen allgemeine Heiterkeit folgte, als der Secretair den
Resormpassus der Thronrede, welchen er zur Einleitung vorlesen sollte, nicht
finden konnte. Nach der Rede Lord Derbys in der Ädreßdebatte war das Haus
auf die Erklärung vorbereitet, daß die Zeit gekommen, wo Reform nicht länger
als Parteifrage behandelt werde» dürfe und mußte in seiner Mehrheit den
Grund zugeben, welchen der Schatzkanzler hierfür geltend machte, daß nämlich
seit 1852 jede Partei die Lösung dieser Frage versucht habe und daran geschei¬
tert sei. Disraeli versuchte seine Zuhörer davon zu überzeugen, daß nur die
Mängel der Reformacte von 1832 eine neue und verbessernde Maßregel noth¬
wendig machten und daß ihr Fehler nicht, wie Lord Russell neulich behauptet, in
dem Wahlrecht liege, welches sie den Pächtern gegeben, sondern in der Ent¬
ziehung des Wahlrechtes der arbeitenden Classen. Er scheint uns mit dieser
Behauptung so Unrecht zu haben wie der frühere Premier mit der seinigen.
Allerdings Halle» vor 1832 viele Arbeiter das Stimmrecht, aber dies waren
grade die Proletarier der verrotteten Burgflccken, die rein auf Befehl der Grund¬
herrn stimmten, sie hat die Entziehung des Wahlrechtes sehr verdienter Weise
getroffen und die jetzige Bewegung in den arbeitenden Classen um Vertretung
im Parlament zu erhalten, hat damit nicht das Geringste gemein.

Der Redner suchte dann geschichtlich zu beweisen, daß die Wiedereröffnung
der Frage, welche grade Lord Russell als durch die Acte von 1832 endgiltig
entschieden erklärt habe, wesentlich den Bestrebungen einzelner unabhängiger
Mitglieder des Hauses und nicht den sich folgenden Ministerien zuzuschreiben
sei und zog daraus den einigermaßen gesuchten Schluß, daß das Haus deshalb
mit der gegenwärtigen Regierung die Verantwortlichkeit für die Erledigung dieser
Frage theile. Aus diesem Grunde habe Lord Derbys Verwaltung sich entschieden,
auf dem Weg der Resolutionen vorzugehen, um sich zu vergewissern, ob eine
Uebereinstimmung in den allgemeinen Zielen zu erreichen sei und damit ein
fester Grund für die einzubringende Bill gewonnen werden könnte. — Für diese
Methode war viel zu sagen; aber Disraeli überzeugte die Versammlung wenig
Von ihren Vorzügen. Statt die Vorschläge der Negierung, die doch schon druck-


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[0366] verrücken sollten. Auch im Laufe der vorigen Woche verweigerten die Minister jede weitere Auskunft und erst am Sonntag ward soviel bekannt, daß Resolu¬ tionen vorgeschlagen werden sollten. Das Haus war überfüllt, schon um 1 Uhr wartete die Menge in der großen Halle, bald nach 4 Uhr, nachdem der Sprecher das Gebet gesprochen, wurden die Thüren der Gallerien geöffnet, welche im Umsehen bis auf den letzten Platz besetzt warm, der Prinz von Wales, die Herzoge von Edingburgh und Cambridge saßen unten so gedrängt wie oben. Die Gesandten und Peers, unter denen wir Lords Russell, Derby und Granville bemerkten, selbst die Mit¬ glieder des Hauses hatten kaum Platz. 4'/- Uhr erhob sich Disraeli unter den Chcers seiner Partei, denen allgemeine Heiterkeit folgte, als der Secretair den Resormpassus der Thronrede, welchen er zur Einleitung vorlesen sollte, nicht finden konnte. Nach der Rede Lord Derbys in der Ädreßdebatte war das Haus auf die Erklärung vorbereitet, daß die Zeit gekommen, wo Reform nicht länger als Parteifrage behandelt werde» dürfe und mußte in seiner Mehrheit den Grund zugeben, welchen der Schatzkanzler hierfür geltend machte, daß nämlich seit 1852 jede Partei die Lösung dieser Frage versucht habe und daran geschei¬ tert sei. Disraeli versuchte seine Zuhörer davon zu überzeugen, daß nur die Mängel der Reformacte von 1832 eine neue und verbessernde Maßregel noth¬ wendig machten und daß ihr Fehler nicht, wie Lord Russell neulich behauptet, in dem Wahlrecht liege, welches sie den Pächtern gegeben, sondern in der Ent¬ ziehung des Wahlrechtes der arbeitenden Classen. Er scheint uns mit dieser Behauptung so Unrecht zu haben wie der frühere Premier mit der seinigen. Allerdings Halle» vor 1832 viele Arbeiter das Stimmrecht, aber dies waren grade die Proletarier der verrotteten Burgflccken, die rein auf Befehl der Grund¬ herrn stimmten, sie hat die Entziehung des Wahlrechtes sehr verdienter Weise getroffen und die jetzige Bewegung in den arbeitenden Classen um Vertretung im Parlament zu erhalten, hat damit nicht das Geringste gemein. Der Redner suchte dann geschichtlich zu beweisen, daß die Wiedereröffnung der Frage, welche grade Lord Russell als durch die Acte von 1832 endgiltig entschieden erklärt habe, wesentlich den Bestrebungen einzelner unabhängiger Mitglieder des Hauses und nicht den sich folgenden Ministerien zuzuschreiben sei und zog daraus den einigermaßen gesuchten Schluß, daß das Haus deshalb mit der gegenwärtigen Regierung die Verantwortlichkeit für die Erledigung dieser Frage theile. Aus diesem Grunde habe Lord Derbys Verwaltung sich entschieden, auf dem Weg der Resolutionen vorzugehen, um sich zu vergewissern, ob eine Uebereinstimmung in den allgemeinen Zielen zu erreichen sei und damit ein fester Grund für die einzubringende Bill gewonnen werden könnte. — Für diese Methode war viel zu sagen; aber Disraeli überzeugte die Versammlung wenig Von ihren Vorzügen. Statt die Vorschläge der Negierung, die doch schon druck-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/366>, abgerufen am 30.06.2024.