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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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der mit seinem Hauer Laub und Erde aufwühlt, der Regenbogen als strahlender
Gürtel oder Halsschmuck der Göttin, die strömende Regenwolke als eine himm¬
lische Kuh, die aus ihren Eutern ihr wohlthätiges Naß auf die Erde ergießt,
der Donner als das Rollen eines Götterwagens, von dessen Rädern die Blitz"
funkelt fliegen u, s. f. Nicht starre, unbewegte Gestalten wie die unwandelbaren
Gestirne sind es, die das Auge des Menschen hier wahrnimmt, sondern Leben
und Bewegung wie auf Erden. Liebe und Haß, Jagd und Kampf, Spiel und
Tanz, Tod und Vernichtung, sie walten auch unter den Himmlischen. Unter
allen Dramen aber, die sich dort abspielen, ist keines, das lebhafter die mensch¬
liche Phantasie beschäftigte, das zu mannigfaltigeren Bildern anregte, als das
Gewitter. Es stellt den Höhepunkt der Göttergeschichten dar und der unwider¬
stehlich niederfahrende Wetterstrahl des Blitzes ist daher stets Attribut des höchsten
Gottes.

Unter den zahlreichen Gestalten, welche das Luftgesilde beleben, begegnet
uns auch unsere Maus wieder, die wir fast ganz aus den Augen verloren
hatten. Sie ist ein heiliges Thier des alten indischen Sturmgottes Rudra, des
griechischen Apollon, des deutschen Wuotan und zwar deshalb, weil die dunkle
Gewitterwolke, die am Himmel dahinirieb. selbst als eine riesige graue Maus
erschien. Wie der leuchtende weiße Zahn des Thiers bricht aus der Wolke der
Blitz hervor, daher konnte die Maus auch gradezu als mythischer Ausdruck des
Blitzes gefaßt werden. Wiederum trifft sie hier mit der Schlange zusammen,
die eines der bekanntesten und verständlichsten Bilder des Blitzes ist. Mäuse
d. i. Sturm- und Blitzgeister, begleiten sowohl Wuotan als seine Gemahlin
Holda und ziehen mit ihnen im wilden oder wüthenden Heere am nächtliche"
Himmel. -- Wie aber, so könnte man einwenden, die Mäuse sollen nun¬
mehr Sturmgeister sein, während wir doch früher in ihnen menschliche Seelen
zu erkennen glaubten? Zwischen beiden Vorstellungen ist eine nähere Verwandt¬
schaft, als es auf den ersten Blick scheint, wie ja überhaupt von einer strengen
Scheidung der Körper- und Geisterwelt in jener Zeit noch keine Rede ist. Ziehen
doch im Gefolge der Himmlischen und grade auch in ihrer wilden Jagd sowohl
die Seelen der Abgeschiedenen, wie die der noch ungebornen Kinder einher und
die heilige Gertrud, die christliche Nachfolgerin der alten Göttinnen, ist deshalb
vielleicht'im Straßburger Münster von Mäusen umgeben, weil zu ihr die Kinder-
seelen nach dem Tode kommen. Der heilige Gewittervogel, der Klapperstorch,
der das Haus, auf welchem er nistet, gegen den Blitz schützt, hat zugleich die
Aufgabe, die Kindciscelen aus dem himmlischen Teiche oder Börne d. i. der
Wolke zur Erde herabzuholen. Ein naher Zusammenhang waltet demnach
zwischen diesen mythischen Bedeutungen der Maus, wenn sie auch nach zwei
Seiten hin sich selbständig weiter ausgebildet haben. Für uns, die wir an
scharfe verstandesmäßige Abgrenzung der Begriffe gewöhnt sind, ist es freilich


Grenzliotm I. 1867. 43

der mit seinem Hauer Laub und Erde aufwühlt, der Regenbogen als strahlender
Gürtel oder Halsschmuck der Göttin, die strömende Regenwolke als eine himm¬
lische Kuh, die aus ihren Eutern ihr wohlthätiges Naß auf die Erde ergießt,
der Donner als das Rollen eines Götterwagens, von dessen Rädern die Blitz«
funkelt fliegen u, s. f. Nicht starre, unbewegte Gestalten wie die unwandelbaren
Gestirne sind es, die das Auge des Menschen hier wahrnimmt, sondern Leben
und Bewegung wie auf Erden. Liebe und Haß, Jagd und Kampf, Spiel und
Tanz, Tod und Vernichtung, sie walten auch unter den Himmlischen. Unter
allen Dramen aber, die sich dort abspielen, ist keines, das lebhafter die mensch¬
liche Phantasie beschäftigte, das zu mannigfaltigeren Bildern anregte, als das
Gewitter. Es stellt den Höhepunkt der Göttergeschichten dar und der unwider¬
stehlich niederfahrende Wetterstrahl des Blitzes ist daher stets Attribut des höchsten
Gottes.

Unter den zahlreichen Gestalten, welche das Luftgesilde beleben, begegnet
uns auch unsere Maus wieder, die wir fast ganz aus den Augen verloren
hatten. Sie ist ein heiliges Thier des alten indischen Sturmgottes Rudra, des
griechischen Apollon, des deutschen Wuotan und zwar deshalb, weil die dunkle
Gewitterwolke, die am Himmel dahinirieb. selbst als eine riesige graue Maus
erschien. Wie der leuchtende weiße Zahn des Thiers bricht aus der Wolke der
Blitz hervor, daher konnte die Maus auch gradezu als mythischer Ausdruck des
Blitzes gefaßt werden. Wiederum trifft sie hier mit der Schlange zusammen,
die eines der bekanntesten und verständlichsten Bilder des Blitzes ist. Mäuse
d. i. Sturm- und Blitzgeister, begleiten sowohl Wuotan als seine Gemahlin
Holda und ziehen mit ihnen im wilden oder wüthenden Heere am nächtliche»
Himmel. — Wie aber, so könnte man einwenden, die Mäuse sollen nun¬
mehr Sturmgeister sein, während wir doch früher in ihnen menschliche Seelen
zu erkennen glaubten? Zwischen beiden Vorstellungen ist eine nähere Verwandt¬
schaft, als es auf den ersten Blick scheint, wie ja überhaupt von einer strengen
Scheidung der Körper- und Geisterwelt in jener Zeit noch keine Rede ist. Ziehen
doch im Gefolge der Himmlischen und grade auch in ihrer wilden Jagd sowohl
die Seelen der Abgeschiedenen, wie die der noch ungebornen Kinder einher und
die heilige Gertrud, die christliche Nachfolgerin der alten Göttinnen, ist deshalb
vielleicht'im Straßburger Münster von Mäusen umgeben, weil zu ihr die Kinder-
seelen nach dem Tode kommen. Der heilige Gewittervogel, der Klapperstorch,
der das Haus, auf welchem er nistet, gegen den Blitz schützt, hat zugleich die
Aufgabe, die Kindciscelen aus dem himmlischen Teiche oder Börne d. i. der
Wolke zur Erde herabzuholen. Ein naher Zusammenhang waltet demnach
zwischen diesen mythischen Bedeutungen der Maus, wenn sie auch nach zwei
Seiten hin sich selbständig weiter ausgebildet haben. Für uns, die wir an
scharfe verstandesmäßige Abgrenzung der Begriffe gewöhnt sind, ist es freilich


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[0363] der mit seinem Hauer Laub und Erde aufwühlt, der Regenbogen als strahlender Gürtel oder Halsschmuck der Göttin, die strömende Regenwolke als eine himm¬ lische Kuh, die aus ihren Eutern ihr wohlthätiges Naß auf die Erde ergießt, der Donner als das Rollen eines Götterwagens, von dessen Rädern die Blitz« funkelt fliegen u, s. f. Nicht starre, unbewegte Gestalten wie die unwandelbaren Gestirne sind es, die das Auge des Menschen hier wahrnimmt, sondern Leben und Bewegung wie auf Erden. Liebe und Haß, Jagd und Kampf, Spiel und Tanz, Tod und Vernichtung, sie walten auch unter den Himmlischen. Unter allen Dramen aber, die sich dort abspielen, ist keines, das lebhafter die mensch¬ liche Phantasie beschäftigte, das zu mannigfaltigeren Bildern anregte, als das Gewitter. Es stellt den Höhepunkt der Göttergeschichten dar und der unwider¬ stehlich niederfahrende Wetterstrahl des Blitzes ist daher stets Attribut des höchsten Gottes. Unter den zahlreichen Gestalten, welche das Luftgesilde beleben, begegnet uns auch unsere Maus wieder, die wir fast ganz aus den Augen verloren hatten. Sie ist ein heiliges Thier des alten indischen Sturmgottes Rudra, des griechischen Apollon, des deutschen Wuotan und zwar deshalb, weil die dunkle Gewitterwolke, die am Himmel dahinirieb. selbst als eine riesige graue Maus erschien. Wie der leuchtende weiße Zahn des Thiers bricht aus der Wolke der Blitz hervor, daher konnte die Maus auch gradezu als mythischer Ausdruck des Blitzes gefaßt werden. Wiederum trifft sie hier mit der Schlange zusammen, die eines der bekanntesten und verständlichsten Bilder des Blitzes ist. Mäuse d. i. Sturm- und Blitzgeister, begleiten sowohl Wuotan als seine Gemahlin Holda und ziehen mit ihnen im wilden oder wüthenden Heere am nächtliche» Himmel. — Wie aber, so könnte man einwenden, die Mäuse sollen nun¬ mehr Sturmgeister sein, während wir doch früher in ihnen menschliche Seelen zu erkennen glaubten? Zwischen beiden Vorstellungen ist eine nähere Verwandt¬ schaft, als es auf den ersten Blick scheint, wie ja überhaupt von einer strengen Scheidung der Körper- und Geisterwelt in jener Zeit noch keine Rede ist. Ziehen doch im Gefolge der Himmlischen und grade auch in ihrer wilden Jagd sowohl die Seelen der Abgeschiedenen, wie die der noch ungebornen Kinder einher und die heilige Gertrud, die christliche Nachfolgerin der alten Göttinnen, ist deshalb vielleicht'im Straßburger Münster von Mäusen umgeben, weil zu ihr die Kinder- seelen nach dem Tode kommen. Der heilige Gewittervogel, der Klapperstorch, der das Haus, auf welchem er nistet, gegen den Blitz schützt, hat zugleich die Aufgabe, die Kindciscelen aus dem himmlischen Teiche oder Börne d. i. der Wolke zur Erde herabzuholen. Ein naher Zusammenhang waltet demnach zwischen diesen mythischen Bedeutungen der Maus, wenn sie auch nach zwei Seiten hin sich selbständig weiter ausgebildet haben. Für uns, die wir an scharfe verstandesmäßige Abgrenzung der Begriffe gewöhnt sind, ist es freilich Grenzliotm I. 1867. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/363>, abgerufen am 02.07.2024.