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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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sehr schwer, uns in diese schwankenden und verschwimmenden Geburten einer
zügellosen Phantasie hineinzufinden, die nur zu oft an die durch Raum und
Zeit nicht beengten Bilder des Traumes erinnern.

Doch wir wollten ja. um endlich zu einer befriedigenden Erklärung unsrer
Sage zu gelangen, uns nicht blos an die Mäuse halten, sondern auch an den
unbarmherzigen Tyrannen, der die armen Menschen verbrennen und verderben
läßt, da wir ihn als ebenso wesentlichen Bestandtheil des Ganzen erkannten.
Der Name Popiels aber, des sengenden, er leitet uns hinüber zu einer Ge¬
stalt, die am klarsten in der indischen Mythologie hervortritt, zu dem bösen
Dämon ^ushna oder Kujava, dem großen Schädiger, dem Geist der Dürre
und Mißernte. Wenn die Sonne, die im Lenze mit ihren Strahlen den Winter
besiegt, das Grü" aus der Erde lock! und alle Geschöpfe zu fröhlichem Leben
erweckt, mit denselben Strahlen im Hochsommer das von ihr erschaffene Leben
wieder erstickt, die Frucht verbrennt und böse Seuchen hervorruft, so glaubte
man nicht mehr die Wirkungen des nämlichen vorher so milden, gütigen und
segensreichen Wesens wahrzunehmen, sondern eine finstere feindliche Gewalt
hatte sich des Leben spendenden Sonnenrades bemächtigt und im Kampfe durch
einen größern Gott, durch Indra, der auf den Dämon seinen Donnerkeil schleu¬
derte, mußte es ihm wieder entrissen werden. Die gleiche Anschauung, etwas
anders gefaßt, begegnet uns bei den Griechen wieder. Hier ist es Phaethon,
der Sohn des Helios, der in unbesonnenen Jugendmuthe sich die Lenkung deS
Sonnenwagens anmaßt -- denn ein Wagen war bei weiterer Entwickelung an
die Stelle des einfacheren Rades getreten -- aber die Zügel entgleiten seiner
ungeübten Hand, die Rosse gehen mit ihm durch, zu nahe der Erde reißen sie
das glühende Gestirn mit sich hinab. Da verbrennen die Wälder, vertrocknen
die Ströme, ganze Städte sinken in Asche. Libyen verwandelt sich in eine un¬
geheure Wüste und die Mohren werden versengt, so daß sie noch heute schwarz
erscheinen. Endlich, da vor der unerträglichen Gluth die Erde keine Rettung
mehr findet und der Himmel selbst Feuer zu fangen droht, schleudert der rächende
Blitzstrahl des Barer Zeus den thörichten Knaben von dem Sonnenwagen in
den Strom Eridanos hinab.

Fassen wir noch einmal zusammen, was aus den verwandten indischen und
griechischen Mythen auf die deutschen und slavischen geschlossen werden darf, so
finden wir uns in die heiße Sommerzeit versetzt, da von wolkenlosem Himmel
eine glühende Sonne ihre Strahlen unbarmherzig herabsendet. Einem schaden¬
frohen Dämon gleich verbrennt sie Getreide und Futter, die Hoffnung des
Armen, sie läßt die lechzender Menschen und Thiere verschmachten und die
Quellen alles Lebens, vertrocknen, indem sie de" Schatz des Regens zurückhält
und verschließt. Doch ihrem tyrannischen Wüthen ist endlich ein Ziel gesetzt.
Ein fernes Wetterleuchten an der schwülen Atmosphäre verkündet den nahende"


sehr schwer, uns in diese schwankenden und verschwimmenden Geburten einer
zügellosen Phantasie hineinzufinden, die nur zu oft an die durch Raum und
Zeit nicht beengten Bilder des Traumes erinnern.

Doch wir wollten ja. um endlich zu einer befriedigenden Erklärung unsrer
Sage zu gelangen, uns nicht blos an die Mäuse halten, sondern auch an den
unbarmherzigen Tyrannen, der die armen Menschen verbrennen und verderben
läßt, da wir ihn als ebenso wesentlichen Bestandtheil des Ganzen erkannten.
Der Name Popiels aber, des sengenden, er leitet uns hinüber zu einer Ge¬
stalt, die am klarsten in der indischen Mythologie hervortritt, zu dem bösen
Dämon ^ushna oder Kujava, dem großen Schädiger, dem Geist der Dürre
und Mißernte. Wenn die Sonne, die im Lenze mit ihren Strahlen den Winter
besiegt, das Grü» aus der Erde lock! und alle Geschöpfe zu fröhlichem Leben
erweckt, mit denselben Strahlen im Hochsommer das von ihr erschaffene Leben
wieder erstickt, die Frucht verbrennt und böse Seuchen hervorruft, so glaubte
man nicht mehr die Wirkungen des nämlichen vorher so milden, gütigen und
segensreichen Wesens wahrzunehmen, sondern eine finstere feindliche Gewalt
hatte sich des Leben spendenden Sonnenrades bemächtigt und im Kampfe durch
einen größern Gott, durch Indra, der auf den Dämon seinen Donnerkeil schleu¬
derte, mußte es ihm wieder entrissen werden. Die gleiche Anschauung, etwas
anders gefaßt, begegnet uns bei den Griechen wieder. Hier ist es Phaethon,
der Sohn des Helios, der in unbesonnenen Jugendmuthe sich die Lenkung deS
Sonnenwagens anmaßt — denn ein Wagen war bei weiterer Entwickelung an
die Stelle des einfacheren Rades getreten — aber die Zügel entgleiten seiner
ungeübten Hand, die Rosse gehen mit ihm durch, zu nahe der Erde reißen sie
das glühende Gestirn mit sich hinab. Da verbrennen die Wälder, vertrocknen
die Ströme, ganze Städte sinken in Asche. Libyen verwandelt sich in eine un¬
geheure Wüste und die Mohren werden versengt, so daß sie noch heute schwarz
erscheinen. Endlich, da vor der unerträglichen Gluth die Erde keine Rettung
mehr findet und der Himmel selbst Feuer zu fangen droht, schleudert der rächende
Blitzstrahl des Barer Zeus den thörichten Knaben von dem Sonnenwagen in
den Strom Eridanos hinab.

Fassen wir noch einmal zusammen, was aus den verwandten indischen und
griechischen Mythen auf die deutschen und slavischen geschlossen werden darf, so
finden wir uns in die heiße Sommerzeit versetzt, da von wolkenlosem Himmel
eine glühende Sonne ihre Strahlen unbarmherzig herabsendet. Einem schaden¬
frohen Dämon gleich verbrennt sie Getreide und Futter, die Hoffnung des
Armen, sie läßt die lechzender Menschen und Thiere verschmachten und die
Quellen alles Lebens, vertrocknen, indem sie de» Schatz des Regens zurückhält
und verschließt. Doch ihrem tyrannischen Wüthen ist endlich ein Ziel gesetzt.
Ein fernes Wetterleuchten an der schwülen Atmosphäre verkündet den nahende»


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[0364] sehr schwer, uns in diese schwankenden und verschwimmenden Geburten einer zügellosen Phantasie hineinzufinden, die nur zu oft an die durch Raum und Zeit nicht beengten Bilder des Traumes erinnern. Doch wir wollten ja. um endlich zu einer befriedigenden Erklärung unsrer Sage zu gelangen, uns nicht blos an die Mäuse halten, sondern auch an den unbarmherzigen Tyrannen, der die armen Menschen verbrennen und verderben läßt, da wir ihn als ebenso wesentlichen Bestandtheil des Ganzen erkannten. Der Name Popiels aber, des sengenden, er leitet uns hinüber zu einer Ge¬ stalt, die am klarsten in der indischen Mythologie hervortritt, zu dem bösen Dämon ^ushna oder Kujava, dem großen Schädiger, dem Geist der Dürre und Mißernte. Wenn die Sonne, die im Lenze mit ihren Strahlen den Winter besiegt, das Grü» aus der Erde lock! und alle Geschöpfe zu fröhlichem Leben erweckt, mit denselben Strahlen im Hochsommer das von ihr erschaffene Leben wieder erstickt, die Frucht verbrennt und böse Seuchen hervorruft, so glaubte man nicht mehr die Wirkungen des nämlichen vorher so milden, gütigen und segensreichen Wesens wahrzunehmen, sondern eine finstere feindliche Gewalt hatte sich des Leben spendenden Sonnenrades bemächtigt und im Kampfe durch einen größern Gott, durch Indra, der auf den Dämon seinen Donnerkeil schleu¬ derte, mußte es ihm wieder entrissen werden. Die gleiche Anschauung, etwas anders gefaßt, begegnet uns bei den Griechen wieder. Hier ist es Phaethon, der Sohn des Helios, der in unbesonnenen Jugendmuthe sich die Lenkung deS Sonnenwagens anmaßt — denn ein Wagen war bei weiterer Entwickelung an die Stelle des einfacheren Rades getreten — aber die Zügel entgleiten seiner ungeübten Hand, die Rosse gehen mit ihm durch, zu nahe der Erde reißen sie das glühende Gestirn mit sich hinab. Da verbrennen die Wälder, vertrocknen die Ströme, ganze Städte sinken in Asche. Libyen verwandelt sich in eine un¬ geheure Wüste und die Mohren werden versengt, so daß sie noch heute schwarz erscheinen. Endlich, da vor der unerträglichen Gluth die Erde keine Rettung mehr findet und der Himmel selbst Feuer zu fangen droht, schleudert der rächende Blitzstrahl des Barer Zeus den thörichten Knaben von dem Sonnenwagen in den Strom Eridanos hinab. Fassen wir noch einmal zusammen, was aus den verwandten indischen und griechischen Mythen auf die deutschen und slavischen geschlossen werden darf, so finden wir uns in die heiße Sommerzeit versetzt, da von wolkenlosem Himmel eine glühende Sonne ihre Strahlen unbarmherzig herabsendet. Einem schaden¬ frohen Dämon gleich verbrennt sie Getreide und Futter, die Hoffnung des Armen, sie läßt die lechzender Menschen und Thiere verschmachten und die Quellen alles Lebens, vertrocknen, indem sie de» Schatz des Regens zurückhält und verschließt. Doch ihrem tyrannischen Wüthen ist endlich ein Ziel gesetzt. Ein fernes Wetterleuchten an der schwülen Atmosphäre verkündet den nahende»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/364>, abgerufen am 30.06.2024.