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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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hängen und seit neunzehn Jahren dem Föderalismus huldigen. Nichts desto
weniger ist das Gegentheil wahr und wenn auch sie durch die folgenden Zeilen
nicht bekehrt werden, so dürfen vielleicht andere Leute aus denselben Belehrung
schöpfen.

Wie kam der östreichische Föderalismus in die Welt?

Vor dem Jahre 1848 war die Idee einer östreichischen Föderativverfassung
absolut unbekannt. Erst während der Stürme jenes Jahres wurde sie ge¬
boren, ausgesprochen zuerst von den Radicalen ohne Unterschied der Nationali¬
tät, von Deutschen so gut wie von Slawen. Republikanische Staatsformen gal¬
ten damals nicht allein als wünschenswerte, sondern auch als erreichbare Ziele,
nach der Schweiz, nach Nordamerika spähte begehrlich der politische Sinn, von
dort glaubte man das Muster aller Verfassungen haben zu können. Die "Ver¬
einigten Staaten von Oestreich" war in radicalen Kreisen eine gangbare Bezeich¬
nung, bei welcher man sich das größte Maß von Freiheit verwirklicht dachte.
Außer den Radicalen fanden sich auch in den zweisprachigen Provinzen einzelne
gemäßigte Männer, welche der Föderativverfassung das Wort sprachen, weil sie
in der Zurückführung der Regierungsgewalt aus dem Centrum in die Peripherie
des staatlichen Kreises die Gewähr einer Neutralisirung der Nationalität, eine
Besänftigung des Stammhadcrs zu finden glaubten. Sie waren gutmüthige
Schwärmer, wer kann aber auf jene Tage zurückblicken, ohne von der Erinne¬
rung, mitgcschwärmt zu haben, getroffen zu werden. Humanisirte doch der ideale
Aufschwung der Gemüther 1848 sogar die verbitterten und wie alle zum Still¬
stande verurtheilten kleinen Volksstämme giftig neidischen, selbstsüchtigen
Czechen. Sie hatten auf dem Slawencongreß nichts gegen die allgemeine Völ¬
kerverbrüderung auszusehen. erglühten für einen großen slawischen Bund, neben
welchem noch eine engere östreichische Föderation bestehen könne, dessen Einzel¬
glieder ausschließlich einer Nationalität angehören dürfen.

Ein solcher Plan war abstract und unausführbar, jedenfalls enthielt er
nichts, was als Bedrückung des einen oder andern Volksstammes hätte gedeutet
werden können. Die Deutschöstreicher sprachen sich zwar in der Mehrheit nicht
für die Föderation aus, aber nicht, weil sie eine Beschränkung ihres Volks-
thums von derselbe!', fürchteten, als weil sie außerhalb Oestreichs, in Frank¬
furt suchten, -- Unter d,en Slawen huldigten die Czechen dem Föderalismus am
eifrigsten, nicht weil sie auf diese Weise eine Suprematie über die Deutschen zu
erringen hofften, sondern weil sie auf keine andere Art ihre Eigenthümlichkeit
zu bewahren im Stande waren. Dazu kam noch, daß ihr Führer, der soge¬
nannte "Vater" Palazky, eine unpraktische, dem Geschäftsleben vollständig ent¬
fremdete Natur, ein Fleisch und Blut gewordenes Pergamentblatt, eine ent¬
schiedene Vorliebe für Programme und politische Pläne, aus der Vogelperspek¬
tive aufgenommen, hegte, welcher das noch nebelhafte Föderativsystem Vortreff-


Grenzboten I. 1867. 42

hängen und seit neunzehn Jahren dem Föderalismus huldigen. Nichts desto
weniger ist das Gegentheil wahr und wenn auch sie durch die folgenden Zeilen
nicht bekehrt werden, so dürfen vielleicht andere Leute aus denselben Belehrung
schöpfen.

Wie kam der östreichische Föderalismus in die Welt?

Vor dem Jahre 1848 war die Idee einer östreichischen Föderativverfassung
absolut unbekannt. Erst während der Stürme jenes Jahres wurde sie ge¬
boren, ausgesprochen zuerst von den Radicalen ohne Unterschied der Nationali¬
tät, von Deutschen so gut wie von Slawen. Republikanische Staatsformen gal¬
ten damals nicht allein als wünschenswerte, sondern auch als erreichbare Ziele,
nach der Schweiz, nach Nordamerika spähte begehrlich der politische Sinn, von
dort glaubte man das Muster aller Verfassungen haben zu können. Die „Ver¬
einigten Staaten von Oestreich" war in radicalen Kreisen eine gangbare Bezeich¬
nung, bei welcher man sich das größte Maß von Freiheit verwirklicht dachte.
Außer den Radicalen fanden sich auch in den zweisprachigen Provinzen einzelne
gemäßigte Männer, welche der Föderativverfassung das Wort sprachen, weil sie
in der Zurückführung der Regierungsgewalt aus dem Centrum in die Peripherie
des staatlichen Kreises die Gewähr einer Neutralisirung der Nationalität, eine
Besänftigung des Stammhadcrs zu finden glaubten. Sie waren gutmüthige
Schwärmer, wer kann aber auf jene Tage zurückblicken, ohne von der Erinne¬
rung, mitgcschwärmt zu haben, getroffen zu werden. Humanisirte doch der ideale
Aufschwung der Gemüther 1848 sogar die verbitterten und wie alle zum Still¬
stande verurtheilten kleinen Volksstämme giftig neidischen, selbstsüchtigen
Czechen. Sie hatten auf dem Slawencongreß nichts gegen die allgemeine Völ¬
kerverbrüderung auszusehen. erglühten für einen großen slawischen Bund, neben
welchem noch eine engere östreichische Föderation bestehen könne, dessen Einzel¬
glieder ausschließlich einer Nationalität angehören dürfen.

Ein solcher Plan war abstract und unausführbar, jedenfalls enthielt er
nichts, was als Bedrückung des einen oder andern Volksstammes hätte gedeutet
werden können. Die Deutschöstreicher sprachen sich zwar in der Mehrheit nicht
für die Föderation aus, aber nicht, weil sie eine Beschränkung ihres Volks-
thums von derselbe!', fürchteten, als weil sie außerhalb Oestreichs, in Frank¬
furt suchten, — Unter d,en Slawen huldigten die Czechen dem Föderalismus am
eifrigsten, nicht weil sie auf diese Weise eine Suprematie über die Deutschen zu
erringen hofften, sondern weil sie auf keine andere Art ihre Eigenthümlichkeit
zu bewahren im Stande waren. Dazu kam noch, daß ihr Führer, der soge¬
nannte „Vater" Palazky, eine unpraktische, dem Geschäftsleben vollständig ent¬
fremdete Natur, ein Fleisch und Blut gewordenes Pergamentblatt, eine ent¬
schiedene Vorliebe für Programme und politische Pläne, aus der Vogelperspek¬
tive aufgenommen, hegte, welcher das noch nebelhafte Föderativsystem Vortreff-


Grenzboten I. 1867. 42
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/339>, abgerufen am 21.06.2024.