Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Scribes eingefädelte persönliche Intrigue mit, so muß man sagen, daß ent¬
weder im Monat Januar oder im Monat Februar das wiener Ministerium den
Verstand verloren hatte. Alles kann man von der jüngsten östreichischen Politik
behaupten, nur nicht Folgerichtigkeit. Verblüfft sind auch alle Parteien und
unklar, wohin die Komödie führen soll. Zugegeben, daß die Ueberzeugung von
der Nothwendigkeit des Ausgleichs mit Ungarn die neueste Schwenkung in der
Verfassungspolitik hervorrief, war denn nicht eben dieselbe Ueberzeugung die
Wurzel des Januarpatentcs? Doch lasse" wir diese unnützen Grübeleien, viel-
leicht bringen schon die nächsten Wochen wieder neue Ereignisse ebenso über¬
raschender Natur wie es die plötzliche Rückkehr zum Februarsystem wenigstens
für die westliche Reichshälfte ist. > -

Das letzte Ziel der Negierung ist nicht zweifelhaft. Sie will und sie muß
in den deutsch-slawischen Erbländern ih>c Macht so fest gründen, daß sie auf
dieselbe gestützt den ungarischen Ansprüchen muthiger entgegentreten kann, sie
wird hier die Verfassung so regeln, daß ihr wenigstens die Hälfte der Delegation,
die über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten berathen soll, unbedingt ergeben
bleibt, sie wird die Deutsche" über den Verlust constitutioneller Freiheiten mit
dem Hinweise auf die Wiederherstellung des Primates in Deutschland trösten --
schon jetzt hoffen centralistische Blätter, daß Kaiser Napoleon das hohenlohesche
Programm als Kriegsfall betrachten wird --, sie wird um den Preis, in der
äußern Politik ungestört zu sein, den Ungar" große administrative Zugeständnisse
machen. Welche Etappenstraßen aber dieses Ziel noch durchlaufen wird, wie
viele Zwischcndecorationen noch werden verbraucht werden, kann zur Stunde
niemand, selbst Herr v. Beust und auch Deal nicht augeben. Auch das Andere
steht fest, daß vorläufig die Slawen, vor onager Tagen noch der Negierung
enge verbündet, die Oppositionspartei bilden werden. Wie oft haben sie schon
diese Rolle gespielt, wie oft sind sie durch einen plötzlichen Scenenwechsel um
den Siegespreis betrogen worden! Im Sommer und nach den Octobertagen
1848, dann wieder als das Octvberdlplvm 1860 publicirt wurde, glaubten sie
bereits das Ruder der Negierung in den Händen zu halten, um schon am
nächsten Tage sich wieder in den Winkel gestellt zu sehen. Das Schicksal trifft
sie nicht unverdient; sie haben alles gethan, um die Freunde der Bildung vor
ihrem Siege zittern zu machen. Doch darf man nicht vergessen, daß sie an
und für sich in der Oppositionsstellung gefährlicher sind, als wenn sie mit der
Regierung gehen und daß sie im gegenwärtigen Augenblicke durch ihre Ver¬
bindung mit der feudalen und klerikalen Partei eine größere Bedeutung im
Staatsleben besitzen, als in den frühern Zeiten. Sie werden freilich der Be¬
hauptung widersprechen, daß sie eine politische Wandlung erfahren haben, und
nach ihrer löblichen Gewohnheit den Schreiber dieser Zeilen mit Schimpfworten
überhäufen. Es ist ihr Stolz, daß sie angeblich einer Idee unverbrüchlich an-


Scribes eingefädelte persönliche Intrigue mit, so muß man sagen, daß ent¬
weder im Monat Januar oder im Monat Februar das wiener Ministerium den
Verstand verloren hatte. Alles kann man von der jüngsten östreichischen Politik
behaupten, nur nicht Folgerichtigkeit. Verblüfft sind auch alle Parteien und
unklar, wohin die Komödie führen soll. Zugegeben, daß die Ueberzeugung von
der Nothwendigkeit des Ausgleichs mit Ungarn die neueste Schwenkung in der
Verfassungspolitik hervorrief, war denn nicht eben dieselbe Ueberzeugung die
Wurzel des Januarpatentcs? Doch lasse» wir diese unnützen Grübeleien, viel-
leicht bringen schon die nächsten Wochen wieder neue Ereignisse ebenso über¬
raschender Natur wie es die plötzliche Rückkehr zum Februarsystem wenigstens
für die westliche Reichshälfte ist. > -

Das letzte Ziel der Negierung ist nicht zweifelhaft. Sie will und sie muß
in den deutsch-slawischen Erbländern ih>c Macht so fest gründen, daß sie auf
dieselbe gestützt den ungarischen Ansprüchen muthiger entgegentreten kann, sie
wird hier die Verfassung so regeln, daß ihr wenigstens die Hälfte der Delegation,
die über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten berathen soll, unbedingt ergeben
bleibt, sie wird die Deutsche» über den Verlust constitutioneller Freiheiten mit
dem Hinweise auf die Wiederherstellung des Primates in Deutschland trösten —
schon jetzt hoffen centralistische Blätter, daß Kaiser Napoleon das hohenlohesche
Programm als Kriegsfall betrachten wird —, sie wird um den Preis, in der
äußern Politik ungestört zu sein, den Ungar» große administrative Zugeständnisse
machen. Welche Etappenstraßen aber dieses Ziel noch durchlaufen wird, wie
viele Zwischcndecorationen noch werden verbraucht werden, kann zur Stunde
niemand, selbst Herr v. Beust und auch Deal nicht augeben. Auch das Andere
steht fest, daß vorläufig die Slawen, vor onager Tagen noch der Negierung
enge verbündet, die Oppositionspartei bilden werden. Wie oft haben sie schon
diese Rolle gespielt, wie oft sind sie durch einen plötzlichen Scenenwechsel um
den Siegespreis betrogen worden! Im Sommer und nach den Octobertagen
1848, dann wieder als das Octvberdlplvm 1860 publicirt wurde, glaubten sie
bereits das Ruder der Negierung in den Händen zu halten, um schon am
nächsten Tage sich wieder in den Winkel gestellt zu sehen. Das Schicksal trifft
sie nicht unverdient; sie haben alles gethan, um die Freunde der Bildung vor
ihrem Siege zittern zu machen. Doch darf man nicht vergessen, daß sie an
und für sich in der Oppositionsstellung gefährlicher sind, als wenn sie mit der
Regierung gehen und daß sie im gegenwärtigen Augenblicke durch ihre Ver¬
bindung mit der feudalen und klerikalen Partei eine größere Bedeutung im
Staatsleben besitzen, als in den frühern Zeiten. Sie werden freilich der Be¬
hauptung widersprechen, daß sie eine politische Wandlung erfahren haben, und
nach ihrer löblichen Gewohnheit den Schreiber dieser Zeilen mit Schimpfworten
überhäufen. Es ist ihr Stolz, daß sie angeblich einer Idee unverbrüchlich an-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190497"/>
            <p xml:id="ID_1151" prev="#ID_1150"> Scribes eingefädelte persönliche Intrigue mit, so muß man sagen, daß ent¬<lb/>
weder im Monat Januar oder im Monat Februar das wiener Ministerium den<lb/>
Verstand verloren hatte. Alles kann man von der jüngsten östreichischen Politik<lb/>
behaupten, nur nicht Folgerichtigkeit. Verblüfft sind auch alle Parteien und<lb/>
unklar, wohin die Komödie führen soll. Zugegeben, daß die Ueberzeugung von<lb/>
der Nothwendigkeit des Ausgleichs mit Ungarn die neueste Schwenkung in der<lb/>
Verfassungspolitik hervorrief, war denn nicht eben dieselbe Ueberzeugung die<lb/>
Wurzel des Januarpatentcs? Doch lasse» wir diese unnützen Grübeleien, viel-<lb/>
leicht bringen schon die nächsten Wochen wieder neue Ereignisse ebenso über¬<lb/>
raschender Natur wie es die plötzliche Rückkehr zum Februarsystem wenigstens<lb/>
für die westliche Reichshälfte ist. &gt; -</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1152" next="#ID_1153"> Das letzte Ziel der Negierung ist nicht zweifelhaft. Sie will und sie muß<lb/>
in den deutsch-slawischen Erbländern ih&gt;c Macht so fest gründen, daß sie auf<lb/>
dieselbe gestützt den ungarischen Ansprüchen muthiger entgegentreten kann, sie<lb/>
wird hier die Verfassung so regeln, daß ihr wenigstens die Hälfte der Delegation,<lb/>
die über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten berathen soll, unbedingt ergeben<lb/>
bleibt, sie wird die Deutsche» über den Verlust constitutioneller Freiheiten mit<lb/>
dem Hinweise auf die Wiederherstellung des Primates in Deutschland trösten &#x2014;<lb/>
schon jetzt hoffen centralistische Blätter, daß Kaiser Napoleon das hohenlohesche<lb/>
Programm als Kriegsfall betrachten wird &#x2014;, sie wird um den Preis, in der<lb/>
äußern Politik ungestört zu sein, den Ungar» große administrative Zugeständnisse<lb/>
machen. Welche Etappenstraßen aber dieses Ziel noch durchlaufen wird, wie<lb/>
viele Zwischcndecorationen noch werden verbraucht werden, kann zur Stunde<lb/>
niemand, selbst Herr v. Beust und auch Deal nicht augeben. Auch das Andere<lb/>
steht fest, daß vorläufig die Slawen, vor onager Tagen noch der Negierung<lb/>
enge verbündet, die Oppositionspartei bilden werden. Wie oft haben sie schon<lb/>
diese Rolle gespielt, wie oft sind sie durch einen plötzlichen Scenenwechsel um<lb/>
den Siegespreis betrogen worden! Im Sommer und nach den Octobertagen<lb/>
1848, dann wieder als das Octvberdlplvm 1860 publicirt wurde, glaubten sie<lb/>
bereits das Ruder der Negierung in den Händen zu halten, um schon am<lb/>
nächsten Tage sich wieder in den Winkel gestellt zu sehen. Das Schicksal trifft<lb/>
sie nicht unverdient; sie haben alles gethan, um die Freunde der Bildung vor<lb/>
ihrem Siege zittern zu machen. Doch darf man nicht vergessen, daß sie an<lb/>
und für sich in der Oppositionsstellung gefährlicher sind, als wenn sie mit der<lb/>
Regierung gehen und daß sie im gegenwärtigen Augenblicke durch ihre Ver¬<lb/>
bindung mit der feudalen und klerikalen Partei eine größere Bedeutung im<lb/>
Staatsleben besitzen, als in den frühern Zeiten. Sie werden freilich der Be¬<lb/>
hauptung widersprechen, daß sie eine politische Wandlung erfahren haben, und<lb/>
nach ihrer löblichen Gewohnheit den Schreiber dieser Zeilen mit Schimpfworten<lb/>
überhäufen.  Es ist ihr Stolz, daß sie angeblich einer Idee unverbrüchlich an-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] Scribes eingefädelte persönliche Intrigue mit, so muß man sagen, daß ent¬ weder im Monat Januar oder im Monat Februar das wiener Ministerium den Verstand verloren hatte. Alles kann man von der jüngsten östreichischen Politik behaupten, nur nicht Folgerichtigkeit. Verblüfft sind auch alle Parteien und unklar, wohin die Komödie führen soll. Zugegeben, daß die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit des Ausgleichs mit Ungarn die neueste Schwenkung in der Verfassungspolitik hervorrief, war denn nicht eben dieselbe Ueberzeugung die Wurzel des Januarpatentcs? Doch lasse» wir diese unnützen Grübeleien, viel- leicht bringen schon die nächsten Wochen wieder neue Ereignisse ebenso über¬ raschender Natur wie es die plötzliche Rückkehr zum Februarsystem wenigstens für die westliche Reichshälfte ist. > - Das letzte Ziel der Negierung ist nicht zweifelhaft. Sie will und sie muß in den deutsch-slawischen Erbländern ih>c Macht so fest gründen, daß sie auf dieselbe gestützt den ungarischen Ansprüchen muthiger entgegentreten kann, sie wird hier die Verfassung so regeln, daß ihr wenigstens die Hälfte der Delegation, die über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten berathen soll, unbedingt ergeben bleibt, sie wird die Deutsche» über den Verlust constitutioneller Freiheiten mit dem Hinweise auf die Wiederherstellung des Primates in Deutschland trösten — schon jetzt hoffen centralistische Blätter, daß Kaiser Napoleon das hohenlohesche Programm als Kriegsfall betrachten wird —, sie wird um den Preis, in der äußern Politik ungestört zu sein, den Ungar» große administrative Zugeständnisse machen. Welche Etappenstraßen aber dieses Ziel noch durchlaufen wird, wie viele Zwischcndecorationen noch werden verbraucht werden, kann zur Stunde niemand, selbst Herr v. Beust und auch Deal nicht augeben. Auch das Andere steht fest, daß vorläufig die Slawen, vor onager Tagen noch der Negierung enge verbündet, die Oppositionspartei bilden werden. Wie oft haben sie schon diese Rolle gespielt, wie oft sind sie durch einen plötzlichen Scenenwechsel um den Siegespreis betrogen worden! Im Sommer und nach den Octobertagen 1848, dann wieder als das Octvberdlplvm 1860 publicirt wurde, glaubten sie bereits das Ruder der Negierung in den Händen zu halten, um schon am nächsten Tage sich wieder in den Winkel gestellt zu sehen. Das Schicksal trifft sie nicht unverdient; sie haben alles gethan, um die Freunde der Bildung vor ihrem Siege zittern zu machen. Doch darf man nicht vergessen, daß sie an und für sich in der Oppositionsstellung gefährlicher sind, als wenn sie mit der Regierung gehen und daß sie im gegenwärtigen Augenblicke durch ihre Ver¬ bindung mit der feudalen und klerikalen Partei eine größere Bedeutung im Staatsleben besitzen, als in den frühern Zeiten. Sie werden freilich der Be¬ hauptung widersprechen, daß sie eine politische Wandlung erfahren haben, und nach ihrer löblichen Gewohnheit den Schreiber dieser Zeilen mit Schimpfworten überhäufen. Es ist ihr Stolz, daß sie angeblich einer Idee unverbrüchlich an-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/338>, abgerufen am 27.06.2024.