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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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sichert. -- aber es wird eine glänzende Versammlung von Namen und Würden
sein, und nicht an einem Maugel großer Titel würde es liegen, wenn ihre
Thätigkeit hochgespannte Erwartungen nicht befriedigen sollte.

Noch ist kein sicheres Urtheil über das Verhältniß der Parteien möglich.
Der Particularisten sind weniger geworden, als man wohl annahm, sie werden,
wenn man alle Schattirungen derselben zusammenrechnet: Holsten, Saxonen,
Polen, Weisen, großdeutsche Demokraten, kaum mehr als 60 Stimmen umfassen
und schwerlich zu cinmüthigcm Handeln vereinigt werden. Die liberale Bundes-
staatspartei wird in ihren verschiedenen Schattirungen schwerlich 100 Stimmen
zählen; mehr als M Drittel der Versammlung, nicht vielmaliger als die Hälfte
gehört preußischen Konservativen an und denen, welche zu ihnen halten werden.
Es wird also eine große Majorität den besten Willen mitbringen, die Verfassung
des neuen Bundesstaates auf Grund der Regierungsvorlage zu vereinbare".

Selten ist ein politisches Actenstück Von Hunderttausenden so eifrig durch¬
forscht worden, als in diesen Tagen der Entwurf der Reichsverfassung. Vor¬
sichtig halten die großen Zeitungen ihr Urtheil zurück, sie sprechen hoffnungs¬
voll von der Thätigkeit des Reichstages, welche das etwa Mangelhafte wohl
noch bessern werde.

Es wird gut sein, wenn die Deutschen das Dargebotene unbefangen wür¬
digen und sich dabei des Weges erinnern, auf dem es gewonnen wurde. Der
Verfassungsentwurf ist eine großartige Concentration des deutschen Lebens bis
zum Main in allen Verkehrsverhältnissen und in allen Machtfragen. Ein all¬
gemeines Bürgerrecht, völlige Freiheit des Verkehrs im Innern und einheit¬
licher Schutz der realen Interessen im Auslande, ein Civilgesetzbuch, ein
Zollsystem und Gleichheit der großen indirecten Steuern, einheitliche Oberleitung
der Telegraphen, Posten, einheitliche Aussicht über Eisenbahnen. Wasserstraßen
und Häfen, eine Buudcsmarine und ein Bundesheer. Einheit der höchsten
politischen Geschäfte für dreißig Millionen Deutsche, dies alles, seit langen
Jahrzehnten ersehnt und erstrebt und immer wieder durch Sonderinteressen und
Eigensinn der Kleinen vereitelt, soll der deutschen Nation wie mit einem Schlage
zu Theil werden. Wer uns vor einem Jahre gesagt hätte, daß solch unerme߬
licher Fortschritt in kurzen zwölf Monaten ins Leben treten könne, dem hätte
wohl keiner von uns geglaubt.

, Ernster wird die Stimmung, wenn wir die Opfer betrachte", welche der
Entwurf der freiheitlichen Eutwickel""g unserer Nation zumuthet, "ud die Seiten¬
pfade, auf denen er von der" bisherigen Verfassungsleben ableitet. Die Ver¬
fassung des neuen Bundesstaats giebt dem Reichstag nur beschränkten Antheil an
dem Recht der Gesetzgebung. Zwar für das Privatrecht und die Verkchrs-
intcresscu ist diese Gabe dem Reichstage nicht beschränkt, wohl aber im Haus¬
halt des Bundesstaats. In diesem Punkte trägt der Entwurf den Stempel


sichert. — aber es wird eine glänzende Versammlung von Namen und Würden
sein, und nicht an einem Maugel großer Titel würde es liegen, wenn ihre
Thätigkeit hochgespannte Erwartungen nicht befriedigen sollte.

Noch ist kein sicheres Urtheil über das Verhältniß der Parteien möglich.
Der Particularisten sind weniger geworden, als man wohl annahm, sie werden,
wenn man alle Schattirungen derselben zusammenrechnet: Holsten, Saxonen,
Polen, Weisen, großdeutsche Demokraten, kaum mehr als 60 Stimmen umfassen
und schwerlich zu cinmüthigcm Handeln vereinigt werden. Die liberale Bundes-
staatspartei wird in ihren verschiedenen Schattirungen schwerlich 100 Stimmen
zählen; mehr als M Drittel der Versammlung, nicht vielmaliger als die Hälfte
gehört preußischen Konservativen an und denen, welche zu ihnen halten werden.
Es wird also eine große Majorität den besten Willen mitbringen, die Verfassung
des neuen Bundesstaates auf Grund der Regierungsvorlage zu vereinbare».

Selten ist ein politisches Actenstück Von Hunderttausenden so eifrig durch¬
forscht worden, als in diesen Tagen der Entwurf der Reichsverfassung. Vor¬
sichtig halten die großen Zeitungen ihr Urtheil zurück, sie sprechen hoffnungs¬
voll von der Thätigkeit des Reichstages, welche das etwa Mangelhafte wohl
noch bessern werde.

Es wird gut sein, wenn die Deutschen das Dargebotene unbefangen wür¬
digen und sich dabei des Weges erinnern, auf dem es gewonnen wurde. Der
Verfassungsentwurf ist eine großartige Concentration des deutschen Lebens bis
zum Main in allen Verkehrsverhältnissen und in allen Machtfragen. Ein all¬
gemeines Bürgerrecht, völlige Freiheit des Verkehrs im Innern und einheit¬
licher Schutz der realen Interessen im Auslande, ein Civilgesetzbuch, ein
Zollsystem und Gleichheit der großen indirecten Steuern, einheitliche Oberleitung
der Telegraphen, Posten, einheitliche Aussicht über Eisenbahnen. Wasserstraßen
und Häfen, eine Buudcsmarine und ein Bundesheer. Einheit der höchsten
politischen Geschäfte für dreißig Millionen Deutsche, dies alles, seit langen
Jahrzehnten ersehnt und erstrebt und immer wieder durch Sonderinteressen und
Eigensinn der Kleinen vereitelt, soll der deutschen Nation wie mit einem Schlage
zu Theil werden. Wer uns vor einem Jahre gesagt hätte, daß solch unerme߬
licher Fortschritt in kurzen zwölf Monaten ins Leben treten könne, dem hätte
wohl keiner von uns geglaubt.

, Ernster wird die Stimmung, wenn wir die Opfer betrachte», welche der
Entwurf der freiheitlichen Eutwickel»»g unserer Nation zumuthet, »ud die Seiten¬
pfade, auf denen er von der» bisherigen Verfassungsleben ableitet. Die Ver¬
fassung des neuen Bundesstaats giebt dem Reichstag nur beschränkten Antheil an
dem Recht der Gesetzgebung. Zwar für das Privatrecht und die Verkchrs-
intcresscu ist diese Gabe dem Reichstage nicht beschränkt, wohl aber im Haus¬
halt des Bundesstaats. In diesem Punkte trägt der Entwurf den Stempel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/332>, abgerufen am 24.07.2024.