Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.Jsraeliten sollten einen czechischen und einen deutschen Abgeordneten wählen, Alles in Allem genommen ist die deutsche Partei nun im böhmischen Land¬ Den Deutschen dagegen fehlt es sehr an Klarheit darüber, wie sie sich Mit begreiflicher Spannung sieht man sonach den Erklärungen der Re¬ Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag. Verloa von F. L. Hcrliig. -- Druck von Hiithcl Legler in Leipzig. Jsraeliten sollten einen czechischen und einen deutschen Abgeordneten wählen, Alles in Allem genommen ist die deutsche Partei nun im böhmischen Land¬ Den Deutschen dagegen fehlt es sehr an Klarheit darüber, wie sie sich Mit begreiflicher Spannung sieht man sonach den Erklärungen der Re¬ Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag. Verloa von F. L. Hcrliig. — Druck von Hiithcl Legler in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190489"/> <p xml:id="ID_1121" prev="#ID_1120"> Jsraeliten sollten einen czechischen und einen deutschen Abgeordneten wählen,<lb/> allein jene litten Einsicht und Muth genug. zum großen Theil für die deut¬<lb/> schen Abgeordneten zu stimme», welche auch uni ziemlich bedeutender Majorität<lb/> durchdränge».</p><lb/> <p xml:id="ID_1122"> Alles in Allem genommen ist die deutsche Partei nun im böhmischen Land¬<lb/> tage in eminenter Minorität, welche sich fast wie ein Dritttheil verhält, vor¬<lb/> ausgesetzt, daß das Bündniß des Adels mit der nationalen Partei fernerhin<lb/> von Dauer ist. Wie die Dinge jene stehen, besonders seit dem große» Um¬<lb/> schwung in Wien, bietet diese Koalition sehr wenig Hoffnung auf baldige Lö¬<lb/> sung. Vielmehr ist zu erwarten, daß in der nächsten Session Czechen und Feu¬<lb/> dale um so compacter zusammenstellen, um de» Dualismus in Oestreich nicht<lb/> ins L«den Irelen zu lassen. Die Czecden erklären de» Dualismus gradezu für<lb/> „das Todesurtheil der Nation", die Feudalen wieder müssen el» Ministerium,<lb/> das die altständischen Vorrechte zu vernichten droht, aufs äußerste »»kämpfen.<lb/> Man spricht sogar neuerdings davon, Graf Bclcredi ^w.erde selbst hierher kom¬<lb/> men und die Opposition gegen seinen Nachfolger im Staat5mi»isterium leiten.<lb/> Unsere Hocdtories sind übrigens der festen Ueberzeugung und sprechen dieselbe<lb/> gegen jedermann, der es hören will, aus, daß die neue Ministerconstellation<lb/> kein halbes Jahr überlebt und daß dann wieder Belcreoi ober — Clam-Mar-<lb/> tinitz ans Ruder kommen müsse. Daß an die Beschickung des engeren Reichs-<lb/> ralhes unter feinen Umstände» gedacht werden dürfe, darüber sind die Alliirten<lb/> bereits vollständig einig.</p><lb/> <p xml:id="ID_1123"> Den Deutschen dagegen fehlt es sehr an Klarheit darüber, wie sie sich<lb/> zu dem neuen Ministerium'stellen sollen. Durch die bitteren Erfahrungen der<lb/> letzten Jahre gewitzigt, scheue» sie sich, einem Gouvernement entgegenzukommen,<lb/> dessen Pläne noch'in mystisches Dunkel gehüllt sind, und von dem wir trotz<lb/> der Prophetie Ihrer „Leipziger Zeitung" doch noch Nichtwissen, ob sein neuer Chef<lb/> Baron Beust wirklich der alte „Zauberer" selbst, oder auch bei uns wieder<lb/> nur der Lehrling ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1124"> Mit begreiflicher Spannung sieht man sonach den Erklärungen der Re¬<lb/> gierung im nächste» Landiage entgegen. Ein interessantes Schauspiel, auch in<lb/> psychologischer Beziehung werden die Czechen bieten, welche in der letzten Land¬<lb/> tagssession vor einigen Wochen »och den Mund voll specifisch östreichischen Pa¬<lb/> triotismus nahmen und nun plötzlich wieder auf den panslavistischcn Standpunkt<lb/> zurückvoltigiren, der Regierung die heftigste Opposition bereiten und schließlich<lb/> mit — Preußen drohen. Denn dieses letztere Manöver ist schnell Mode ge¬<lb/> worden. Sobald die Czechen sehen, daß es rin ihre» separatistischen Bestrebungen<lb/> nicht sonderlich von Statten geht »ut die Regierung denselben den Rücken kehrt,<lb/> Verbreiter die nationalen Organe das Gerücht. Preußen rüste und nun wird<lb/> mit großer Emphase verkündet, daß nur die Czechen allein das Vaterland vor<lb/> preußischen Annexionsgelüsten zu retten vermögen. Die neueste dieser agitato¬<lb/> rische» Phantasie», welche gar der sächsischen Dynastie die Wenzelkrvne ansinnt,<lb/> wird Ihnen „draußen im Reich" zu lachen gegeben haben. Aber wer bier<lb/> innerbalt' der Zustände lebt, die solche Blasen treibe», dem ist ernsthaft genug<lb/><note type="byline"> 1--I.--I.-</note> zu Muthe. ' </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.<lb/> Verloa von F. L. Hcrliig. — Druck von Hiithcl Legler in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0330]
Jsraeliten sollten einen czechischen und einen deutschen Abgeordneten wählen,
allein jene litten Einsicht und Muth genug. zum großen Theil für die deut¬
schen Abgeordneten zu stimme», welche auch uni ziemlich bedeutender Majorität
durchdränge».
Alles in Allem genommen ist die deutsche Partei nun im böhmischen Land¬
tage in eminenter Minorität, welche sich fast wie ein Dritttheil verhält, vor¬
ausgesetzt, daß das Bündniß des Adels mit der nationalen Partei fernerhin
von Dauer ist. Wie die Dinge jene stehen, besonders seit dem große» Um¬
schwung in Wien, bietet diese Koalition sehr wenig Hoffnung auf baldige Lö¬
sung. Vielmehr ist zu erwarten, daß in der nächsten Session Czechen und Feu¬
dale um so compacter zusammenstellen, um de» Dualismus in Oestreich nicht
ins L«den Irelen zu lassen. Die Czecden erklären de» Dualismus gradezu für
„das Todesurtheil der Nation", die Feudalen wieder müssen el» Ministerium,
das die altständischen Vorrechte zu vernichten droht, aufs äußerste »»kämpfen.
Man spricht sogar neuerdings davon, Graf Bclcredi ^w.erde selbst hierher kom¬
men und die Opposition gegen seinen Nachfolger im Staat5mi»isterium leiten.
Unsere Hocdtories sind übrigens der festen Ueberzeugung und sprechen dieselbe
gegen jedermann, der es hören will, aus, daß die neue Ministerconstellation
kein halbes Jahr überlebt und daß dann wieder Belcreoi ober — Clam-Mar-
tinitz ans Ruder kommen müsse. Daß an die Beschickung des engeren Reichs-
ralhes unter feinen Umstände» gedacht werden dürfe, darüber sind die Alliirten
bereits vollständig einig.
Den Deutschen dagegen fehlt es sehr an Klarheit darüber, wie sie sich
zu dem neuen Ministerium'stellen sollen. Durch die bitteren Erfahrungen der
letzten Jahre gewitzigt, scheue» sie sich, einem Gouvernement entgegenzukommen,
dessen Pläne noch'in mystisches Dunkel gehüllt sind, und von dem wir trotz
der Prophetie Ihrer „Leipziger Zeitung" doch noch Nichtwissen, ob sein neuer Chef
Baron Beust wirklich der alte „Zauberer" selbst, oder auch bei uns wieder
nur der Lehrling ist.
Mit begreiflicher Spannung sieht man sonach den Erklärungen der Re¬
gierung im nächste» Landiage entgegen. Ein interessantes Schauspiel, auch in
psychologischer Beziehung werden die Czechen bieten, welche in der letzten Land¬
tagssession vor einigen Wochen »och den Mund voll specifisch östreichischen Pa¬
triotismus nahmen und nun plötzlich wieder auf den panslavistischcn Standpunkt
zurückvoltigiren, der Regierung die heftigste Opposition bereiten und schließlich
mit — Preußen drohen. Denn dieses letztere Manöver ist schnell Mode ge¬
worden. Sobald die Czechen sehen, daß es rin ihre» separatistischen Bestrebungen
nicht sonderlich von Statten geht »ut die Regierung denselben den Rücken kehrt,
Verbreiter die nationalen Organe das Gerücht. Preußen rüste und nun wird
mit großer Emphase verkündet, daß nur die Czechen allein das Vaterland vor
preußischen Annexionsgelüsten zu retten vermögen. Die neueste dieser agitato¬
rische» Phantasie», welche gar der sächsischen Dynastie die Wenzelkrvne ansinnt,
wird Ihnen „draußen im Reich" zu lachen gegeben haben. Aber wer bier
innerbalt' der Zustände lebt, die solche Blasen treibe», dem ist ernsthaft genug
1--I.--I.- zu Muthe. '
Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
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