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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Resultat zu erzielen, empfahl sich die Zurückforderung jenes einseitig aufgehobenen
Gesetzes, obwohl damit eine Rechtsfrage heraufbeschworen wurde, die natürlich
die conservative Seite anders beantwortete als die liberalen Parteien. Auch
die deutsche Partei hatte allen Grund, diesen Gegenstand ins Auge zu fassen,
wie sie ihn schon auf ihrer constituirenden Versammlung in Plochingen angeregt
hatte. Bildete doch unser mittelalterliches Ständewesen einen fast humoristischen
Gegensatz zu der Einführung des allgemeinen Stimmrechts in Norddeutschland.
Suchte sie sür den Anschluß unseres Landes an Preußen zu wirken, so war es
nur entsprechend, wenn sie zugleich die Nothwendigkeit einer weitgehenden
Vereinfachung der Verfassung und der gesammten Staaatsverwaltung betonte,
und wenn der Eintritt in den norddeutschen Bund für jetzt nicht möglich war,
Würtemberg also als souveräner Staat wer weiß wie lange fortexistirte, so war
nickt einzusehen, warum man säumen sollte, mit einer freisinnigen und ver¬
nünftigen Aenderung unserer Landeseinrichtungen Ernst zu machen.

Eine Zeit lang schien wirtlich die Regierung von dem lauten Ruf nach
Wiederherstellung des 1849er Gesetzes betroffen und in Verlegenheit gesetzt; sie
durfte indeß bald wieder ausathmen. Es war der Versuch gemacht worden, alle
freisinnigen Elemente des Landes zu einem gemeinschaftlichen Feldzug in dieser
inneren Landesangelegenhcit zu sammeln und so einen nachhaltigen Druck auf
die Entschließungen der Negierung auszuüben. Der Plan scheiterte jedoch, wie
kaum anders zu erwarten war. an dem Uebelwollen der Volkspartei, die zwar
in ihrer Weise nun dieselbe Agitation lebhaft in die Hand nahm, aber es dabei
wesentlich auf Förderung ihrer Parteizwecke absah; die Händel mit der preu¬
ßischen Partei waren ihr wichtiger als die Erreichung des gemeinsamen Ziels.
Dadurch wurde nun natürlich der Agitation die Spitze abgebrochen und sie
kann heute schon als mißlungen betrachtet werden. Die Regierung hatte keinen
Grund, das gemächliche Tempo ihrer geheimnißvollen Vorbereitungen für eine
Reform mit revolutionärem Geschwindschritt zu vertauschen. Es darf übrigens
nicht verschwiegen werden, daß die Sache von Anfang an nicht das Interesse
im Volke gefunden hatte. daS vorausgesetzt worden war. Jene Vorgänge in
den Jahren 1849--51 lagen zu weit zurück, um mit der Gewalt frisch empfun¬
dener Unbill zu wirken. Man hatte seitdem Größeres und Erschütternderes
erlebt, und so ungeheuerlich auch Wahlgesetz und Zusammensetzung der Kammern
sind, so war doch jetzt das Interesse durch weit andere Dinge in Anspruch ge¬
nommen als durch innere Reformen des Particularstaats: es fehlte der Glaube
an die Zukunft dieses Staats. Der Arbeiterstand war nicht für eine Agitation
zu erwärmen, die einmal doch einen gewissen Legitimitätsbeischmack hatte, an¬
statt die Forderung des allgemeinen Stuumrechts zum Ausgangspunkt zu nehmen.
Namentlich aber unter den Anhängern der deutschen Partei im Lande war kein
sehr lebhafter Eifer für eine Sache, welche, wie vielfach entgegengehalten wurde,


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Resultat zu erzielen, empfahl sich die Zurückforderung jenes einseitig aufgehobenen
Gesetzes, obwohl damit eine Rechtsfrage heraufbeschworen wurde, die natürlich
die conservative Seite anders beantwortete als die liberalen Parteien. Auch
die deutsche Partei hatte allen Grund, diesen Gegenstand ins Auge zu fassen,
wie sie ihn schon auf ihrer constituirenden Versammlung in Plochingen angeregt
hatte. Bildete doch unser mittelalterliches Ständewesen einen fast humoristischen
Gegensatz zu der Einführung des allgemeinen Stimmrechts in Norddeutschland.
Suchte sie sür den Anschluß unseres Landes an Preußen zu wirken, so war es
nur entsprechend, wenn sie zugleich die Nothwendigkeit einer weitgehenden
Vereinfachung der Verfassung und der gesammten Staaatsverwaltung betonte,
und wenn der Eintritt in den norddeutschen Bund für jetzt nicht möglich war,
Würtemberg also als souveräner Staat wer weiß wie lange fortexistirte, so war
nickt einzusehen, warum man säumen sollte, mit einer freisinnigen und ver¬
nünftigen Aenderung unserer Landeseinrichtungen Ernst zu machen.

Eine Zeit lang schien wirtlich die Regierung von dem lauten Ruf nach
Wiederherstellung des 1849er Gesetzes betroffen und in Verlegenheit gesetzt; sie
durfte indeß bald wieder ausathmen. Es war der Versuch gemacht worden, alle
freisinnigen Elemente des Landes zu einem gemeinschaftlichen Feldzug in dieser
inneren Landesangelegenhcit zu sammeln und so einen nachhaltigen Druck auf
die Entschließungen der Negierung auszuüben. Der Plan scheiterte jedoch, wie
kaum anders zu erwarten war. an dem Uebelwollen der Volkspartei, die zwar
in ihrer Weise nun dieselbe Agitation lebhaft in die Hand nahm, aber es dabei
wesentlich auf Förderung ihrer Parteizwecke absah; die Händel mit der preu¬
ßischen Partei waren ihr wichtiger als die Erreichung des gemeinsamen Ziels.
Dadurch wurde nun natürlich der Agitation die Spitze abgebrochen und sie
kann heute schon als mißlungen betrachtet werden. Die Regierung hatte keinen
Grund, das gemächliche Tempo ihrer geheimnißvollen Vorbereitungen für eine
Reform mit revolutionärem Geschwindschritt zu vertauschen. Es darf übrigens
nicht verschwiegen werden, daß die Sache von Anfang an nicht das Interesse
im Volke gefunden hatte. daS vorausgesetzt worden war. Jene Vorgänge in
den Jahren 1849—51 lagen zu weit zurück, um mit der Gewalt frisch empfun¬
dener Unbill zu wirken. Man hatte seitdem Größeres und Erschütternderes
erlebt, und so ungeheuerlich auch Wahlgesetz und Zusammensetzung der Kammern
sind, so war doch jetzt das Interesse durch weit andere Dinge in Anspruch ge¬
nommen als durch innere Reformen des Particularstaats: es fehlte der Glaube
an die Zukunft dieses Staats. Der Arbeiterstand war nicht für eine Agitation
zu erwärmen, die einmal doch einen gewissen Legitimitätsbeischmack hatte, an¬
statt die Forderung des allgemeinen Stuumrechts zum Ausgangspunkt zu nehmen.
Namentlich aber unter den Anhängern der deutschen Partei im Lande war kein
sehr lebhafter Eifer für eine Sache, welche, wie vielfach entgegengehalten wurde,


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[0325] Resultat zu erzielen, empfahl sich die Zurückforderung jenes einseitig aufgehobenen Gesetzes, obwohl damit eine Rechtsfrage heraufbeschworen wurde, die natürlich die conservative Seite anders beantwortete als die liberalen Parteien. Auch die deutsche Partei hatte allen Grund, diesen Gegenstand ins Auge zu fassen, wie sie ihn schon auf ihrer constituirenden Versammlung in Plochingen angeregt hatte. Bildete doch unser mittelalterliches Ständewesen einen fast humoristischen Gegensatz zu der Einführung des allgemeinen Stimmrechts in Norddeutschland. Suchte sie sür den Anschluß unseres Landes an Preußen zu wirken, so war es nur entsprechend, wenn sie zugleich die Nothwendigkeit einer weitgehenden Vereinfachung der Verfassung und der gesammten Staaatsverwaltung betonte, und wenn der Eintritt in den norddeutschen Bund für jetzt nicht möglich war, Würtemberg also als souveräner Staat wer weiß wie lange fortexistirte, so war nickt einzusehen, warum man säumen sollte, mit einer freisinnigen und ver¬ nünftigen Aenderung unserer Landeseinrichtungen Ernst zu machen. Eine Zeit lang schien wirtlich die Regierung von dem lauten Ruf nach Wiederherstellung des 1849er Gesetzes betroffen und in Verlegenheit gesetzt; sie durfte indeß bald wieder ausathmen. Es war der Versuch gemacht worden, alle freisinnigen Elemente des Landes zu einem gemeinschaftlichen Feldzug in dieser inneren Landesangelegenhcit zu sammeln und so einen nachhaltigen Druck auf die Entschließungen der Negierung auszuüben. Der Plan scheiterte jedoch, wie kaum anders zu erwarten war. an dem Uebelwollen der Volkspartei, die zwar in ihrer Weise nun dieselbe Agitation lebhaft in die Hand nahm, aber es dabei wesentlich auf Förderung ihrer Parteizwecke absah; die Händel mit der preu¬ ßischen Partei waren ihr wichtiger als die Erreichung des gemeinsamen Ziels. Dadurch wurde nun natürlich der Agitation die Spitze abgebrochen und sie kann heute schon als mißlungen betrachtet werden. Die Regierung hatte keinen Grund, das gemächliche Tempo ihrer geheimnißvollen Vorbereitungen für eine Reform mit revolutionärem Geschwindschritt zu vertauschen. Es darf übrigens nicht verschwiegen werden, daß die Sache von Anfang an nicht das Interesse im Volke gefunden hatte. daS vorausgesetzt worden war. Jene Vorgänge in den Jahren 1849—51 lagen zu weit zurück, um mit der Gewalt frisch empfun¬ dener Unbill zu wirken. Man hatte seitdem Größeres und Erschütternderes erlebt, und so ungeheuerlich auch Wahlgesetz und Zusammensetzung der Kammern sind, so war doch jetzt das Interesse durch weit andere Dinge in Anspruch ge¬ nommen als durch innere Reformen des Particularstaats: es fehlte der Glaube an die Zukunft dieses Staats. Der Arbeiterstand war nicht für eine Agitation zu erwärmen, die einmal doch einen gewissen Legitimitätsbeischmack hatte, an¬ statt die Forderung des allgemeinen Stuumrechts zum Ausgangspunkt zu nehmen. Namentlich aber unter den Anhängern der deutschen Partei im Lande war kein sehr lebhafter Eifer für eine Sache, welche, wie vielfach entgegengehalten wurde, 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/325>, abgerufen am 02.07.2024.