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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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danke er dafür" -- so wird das jedermann in Ordnung finden. Ein starkes
Stück von Duldsamkeit ist es auch, wenn die türkische Garde sich willig
finden läßt, bei dem Fronleichnamsfest der Katholiken vor der Monstranz zu
Präsentiren; ja sie erweist den gleichen Respect sogar beim jüdischen Trauergot-
tesdienst der enthüllten Bundeslade.

Bei einem Theile der Bevölkerung Kvnsiantinvpels ist der Islam nicht nur
zur Toleranz, sonder" sogar zur Gleichgiltigkeit und zum Indifferentismus
herabgesunken. Wenn es vorkommen kann, wie es uns begegnet ist, das! ein
soft", also ein Lehrer des Koran, den Giaur in den heiligen Mauern der Mo¬
schee selbst mit Spott ans die Verbeugungen eines andächtig sein Gebet ver¬
richtenden Derwisch aufmeiksam macht, oder ihm den Minder (die Kanzel) als die
Stätte zeigt, wo der Ficitagsredncr seine Possen vorbringe, so ist das auch ein
Zeichen der Zeit.

Noch bemerkenswerther erscheint es, daß die Wallfahrt nach Mekka. welche
jeder Muhamedaner mindestens einmal in seinem Leben gemacht haben soll, aus
der Mode kommt und der Abzug der großen Melkat'aravane, welche alljährlich
im März von Sandan abgeht, um der heiligen Kaaba einen kostbaren Teppich
als Geschenk des Sultans mitzunehmen, und ihre Rückkehr im August -- ehe¬
mals die festlichsten und feierlichsten Schauspiele der ganzen Stadt -- jetzt fast
unbemerkt vorübergehen. Damit stimmt, daß die Erleichterung der Wallfahrt
durch die Dampfschiffahrt die Betheiligung nicht vermehrt, sondern vermindert
hat. Kurz, der Islam des Westens beginnt seinen Zusammenhang mit dem
des Ostens, seine Beziehung zum Centrum zu verlieren; darunter leidet natür¬
lich auch die Bedeutung Konstantinopels als Hauptstadt und Borvrt des Islam
und als Sitz seines höchsten Oberhauptes.

Hin und wieder zeigen sich auch neben dem Indifferentismus Anwand¬
lungen eines neuen Geistes und entschiedenes Bedürfniß nach höherer religiöser
Wahrheit. Den deutlichsten und mächtigsten Ausdruck findet diese Gährung im
Schooße des Islam selbst, im Orden der Derwische, einer der interessantesten
Erscheinungen der Türkei. Er ist kein Mönchsorden, wie mau häufig annimmt,
sondern eine freie Bereinigung von Männern aller Stände und Classen -- der
Sultan Abdul Medschid geholte selbst dazu --, die sich zur Aufgabe machen,
reinen Wandel zu befördern und wohlzuthun, aber die nebenbei auch ihre
Geheimlehren Pflegen. Sie haben bekanntlich ihre besonderen religiösen Andachts¬
übungen, die in einem mystischen Tanze bestehen, welcher den Sphärenreigen der
Weltkörper iymbolisch den stellen soll, wahre Andacht und liefe Versenkung in
drastischer Form vcrsinnlichend. Aeußerlich stehen sie auf dem Boden des Islam,
sind sogar sehr kirchlich, aber in Wahrheit haben sie sich von ihm losgesagt,
und rhr Glaube >se mehr Philosophie, ihre Religion eine Art Pantheismus.
"Wie ein Sonnenstrahl," lautet eines ihrer Worte, das an einen Spruch des


danke er dafür" — so wird das jedermann in Ordnung finden. Ein starkes
Stück von Duldsamkeit ist es auch, wenn die türkische Garde sich willig
finden läßt, bei dem Fronleichnamsfest der Katholiken vor der Monstranz zu
Präsentiren; ja sie erweist den gleichen Respect sogar beim jüdischen Trauergot-
tesdienst der enthüllten Bundeslade.

Bei einem Theile der Bevölkerung Kvnsiantinvpels ist der Islam nicht nur
zur Toleranz, sonder» sogar zur Gleichgiltigkeit und zum Indifferentismus
herabgesunken. Wenn es vorkommen kann, wie es uns begegnet ist, das! ein
soft«, also ein Lehrer des Koran, den Giaur in den heiligen Mauern der Mo¬
schee selbst mit Spott ans die Verbeugungen eines andächtig sein Gebet ver¬
richtenden Derwisch aufmeiksam macht, oder ihm den Minder (die Kanzel) als die
Stätte zeigt, wo der Ficitagsredncr seine Possen vorbringe, so ist das auch ein
Zeichen der Zeit.

Noch bemerkenswerther erscheint es, daß die Wallfahrt nach Mekka. welche
jeder Muhamedaner mindestens einmal in seinem Leben gemacht haben soll, aus
der Mode kommt und der Abzug der großen Melkat'aravane, welche alljährlich
im März von Sandan abgeht, um der heiligen Kaaba einen kostbaren Teppich
als Geschenk des Sultans mitzunehmen, und ihre Rückkehr im August — ehe¬
mals die festlichsten und feierlichsten Schauspiele der ganzen Stadt — jetzt fast
unbemerkt vorübergehen. Damit stimmt, daß die Erleichterung der Wallfahrt
durch die Dampfschiffahrt die Betheiligung nicht vermehrt, sondern vermindert
hat. Kurz, der Islam des Westens beginnt seinen Zusammenhang mit dem
des Ostens, seine Beziehung zum Centrum zu verlieren; darunter leidet natür¬
lich auch die Bedeutung Konstantinopels als Hauptstadt und Borvrt des Islam
und als Sitz seines höchsten Oberhauptes.

Hin und wieder zeigen sich auch neben dem Indifferentismus Anwand¬
lungen eines neuen Geistes und entschiedenes Bedürfniß nach höherer religiöser
Wahrheit. Den deutlichsten und mächtigsten Ausdruck findet diese Gährung im
Schooße des Islam selbst, im Orden der Derwische, einer der interessantesten
Erscheinungen der Türkei. Er ist kein Mönchsorden, wie mau häufig annimmt,
sondern eine freie Bereinigung von Männern aller Stände und Classen — der
Sultan Abdul Medschid geholte selbst dazu —, die sich zur Aufgabe machen,
reinen Wandel zu befördern und wohlzuthun, aber die nebenbei auch ihre
Geheimlehren Pflegen. Sie haben bekanntlich ihre besonderen religiösen Andachts¬
übungen, die in einem mystischen Tanze bestehen, welcher den Sphärenreigen der
Weltkörper iymbolisch den stellen soll, wahre Andacht und liefe Versenkung in
drastischer Form vcrsinnlichend. Aeußerlich stehen sie auf dem Boden des Islam,
sind sogar sehr kirchlich, aber in Wahrheit haben sie sich von ihm losgesagt,
und rhr Glaube >se mehr Philosophie, ihre Religion eine Art Pantheismus.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/314>, abgerufen am 25.07.2024.