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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Seneca erinnert, "der Erde und doch immer auch der Sonne angehört, so ist der
Mensch, wenn auch auf der Erde, immer doch eins mit seinem Ursprung, mit
Gott." -- "Wie Meer und Meereswellen," sagt ein anderes, "eins sind und
doch verschieden -- denn das Meer, wenn es sich erhebt, dringt die Wellen
hervor, und die Wellen, wenn sie sich lege", werden das Meer --, so sind die
Menschl" die Wellen Gottes, im Tode aber fluthe" sie wiederum in ihn zurück."
Die Dcnviscbe sind der Reform zu^cibum, was nicht möglich wäre, wenn sie zu
den Fanatikern oder auch n"r zu de" gläubigen Anhängern des Koran zählten.
Da sie aber in besonderer Verehrung in der Menge stehe", so sind grade sie
eines der wichtigsten Fermente für die Reformation.

Grade diese Erscheinung erklärt nun auch eine andere sehr merkwür¬
dige, welche jüngst besonders lebhaft die Anfmcrtsanrkcit Europas aus sich
gezogen hat: die Neigung der Türren zum Protestantismus. Schon seit einer
Reihe vo" Jahren tan" man dies beobachten; in neuester Zeit aber ist es
stellenweise so auffällig geworden, daß die bis dahin außerordentlich nachsichtige
Negierung plötzlich meinte, Eruhalt thun zu müssen. Die Folge waren die
Ereignisse, welche u"S vor einem Jahre alle Zeitungen meldeten. Christenthum
und Islam sind den Türken im Grunde durch keine so große Kluft geschieden,
wie uns. Christus ist auch ihnen ein großer Prophet, der größte nach Muha-
med. "Ich habe ihm," läßt der Koran Gott reden, "das Evangelium anver¬
traut, eine Verkündigung voll vo" Anweisung und Licht, die das Gesetz Mosis,
welches anch von mir ist, bekräftigt und den Gottesfürchtigen Lehre und Er¬
innerung ist. Aber Dir (Muhamed) habe ich das Buch der Weisheit gegeben,
Welches das Gesetz Mosis und das Evangelium bestätigt und erst erfüllt." Die
Erfüllung und Ergänzung aber besteht nach den, Koran in der Vernichtung der
Trinitätslehrc. in welcher der Islam einen Rückfall in das Heidenthum, in den
Polytheismus sieht. Die Polemik dagegen, daß Christus der Sohn Gottes,
daß Gott der Dritte von Dreien, daß die Christen damit Gott andere Götter
- zur Seite setzten u. s. w. zieht sich durch den ganze" Koran hindurch, und die
Losung: "Es ist nur ein Gott und Muhamed sei" Prophet", ist nicht nur ein
Bekenntniß zum Monotheismus, sondern zugleich ein polemisches Felvgcschrei
gegen daS Chnstcnthum. Daher einerseits die Verachtung, mit welcher die
Türken auf den Katholicismus u"d die griechische Kirche mit ihren Malereien,
ihrem Heiligen- und Bilderdienst herabblicken; andererseits die milde Beurthei¬
lung des Protestantismus, den sie als ein Einlenken zum wahren Glauben,
eine Annäherung an den Islam betrachten. Während es somit unmöglich ist,
daß ein gläubiger Türke je zur römischen oder griechischen Kirche übertreten
sollte, deren Lehren ihm gegen alle Vernunft zu streiten scheinen, fühlt er von
vornherein, schon der Einfachheit des Cultus wegen, mit dem Protestantismus
SNvisse Sympathien. Aber der Protestantismus erscheint weiter auch dem Un-


Glelizbotm I. 18V7. 39

Seneca erinnert, „der Erde und doch immer auch der Sonne angehört, so ist der
Mensch, wenn auch auf der Erde, immer doch eins mit seinem Ursprung, mit
Gott." — „Wie Meer und Meereswellen," sagt ein anderes, „eins sind und
doch verschieden — denn das Meer, wenn es sich erhebt, dringt die Wellen
hervor, und die Wellen, wenn sie sich lege», werden das Meer —, so sind die
Menschl» die Wellen Gottes, im Tode aber fluthe» sie wiederum in ihn zurück."
Die Dcnviscbe sind der Reform zu^cibum, was nicht möglich wäre, wenn sie zu
den Fanatikern oder auch n»r zu de» gläubigen Anhängern des Koran zählten.
Da sie aber in besonderer Verehrung in der Menge stehe», so sind grade sie
eines der wichtigsten Fermente für die Reformation.

Grade diese Erscheinung erklärt nun auch eine andere sehr merkwür¬
dige, welche jüngst besonders lebhaft die Anfmcrtsanrkcit Europas aus sich
gezogen hat: die Neigung der Türren zum Protestantismus. Schon seit einer
Reihe vo» Jahren tan» man dies beobachten; in neuester Zeit aber ist es
stellenweise so auffällig geworden, daß die bis dahin außerordentlich nachsichtige
Negierung plötzlich meinte, Eruhalt thun zu müssen. Die Folge waren die
Ereignisse, welche u»S vor einem Jahre alle Zeitungen meldeten. Christenthum
und Islam sind den Türken im Grunde durch keine so große Kluft geschieden,
wie uns. Christus ist auch ihnen ein großer Prophet, der größte nach Muha-
med. „Ich habe ihm," läßt der Koran Gott reden, „das Evangelium anver¬
traut, eine Verkündigung voll vo» Anweisung und Licht, die das Gesetz Mosis,
welches anch von mir ist, bekräftigt und den Gottesfürchtigen Lehre und Er¬
innerung ist. Aber Dir (Muhamed) habe ich das Buch der Weisheit gegeben,
Welches das Gesetz Mosis und das Evangelium bestätigt und erst erfüllt." Die
Erfüllung und Ergänzung aber besteht nach den, Koran in der Vernichtung der
Trinitätslehrc. in welcher der Islam einen Rückfall in das Heidenthum, in den
Polytheismus sieht. Die Polemik dagegen, daß Christus der Sohn Gottes,
daß Gott der Dritte von Dreien, daß die Christen damit Gott andere Götter
- zur Seite setzten u. s. w. zieht sich durch den ganze» Koran hindurch, und die
Losung: „Es ist nur ein Gott und Muhamed sei» Prophet", ist nicht nur ein
Bekenntniß zum Monotheismus, sondern zugleich ein polemisches Felvgcschrei
gegen daS Chnstcnthum. Daher einerseits die Verachtung, mit welcher die
Türken auf den Katholicismus u»d die griechische Kirche mit ihren Malereien,
ihrem Heiligen- und Bilderdienst herabblicken; andererseits die milde Beurthei¬
lung des Protestantismus, den sie als ein Einlenken zum wahren Glauben,
eine Annäherung an den Islam betrachten. Während es somit unmöglich ist,
daß ein gläubiger Türke je zur römischen oder griechischen Kirche übertreten
sollte, deren Lehren ihm gegen alle Vernunft zu streiten scheinen, fühlt er von
vornherein, schon der Einfachheit des Cultus wegen, mit dem Protestantismus
SNvisse Sympathien. Aber der Protestantismus erscheint weiter auch dem Un-


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[0315] Seneca erinnert, „der Erde und doch immer auch der Sonne angehört, so ist der Mensch, wenn auch auf der Erde, immer doch eins mit seinem Ursprung, mit Gott." — „Wie Meer und Meereswellen," sagt ein anderes, „eins sind und doch verschieden — denn das Meer, wenn es sich erhebt, dringt die Wellen hervor, und die Wellen, wenn sie sich lege», werden das Meer —, so sind die Menschl» die Wellen Gottes, im Tode aber fluthe» sie wiederum in ihn zurück." Die Dcnviscbe sind der Reform zu^cibum, was nicht möglich wäre, wenn sie zu den Fanatikern oder auch n»r zu de» gläubigen Anhängern des Koran zählten. Da sie aber in besonderer Verehrung in der Menge stehe», so sind grade sie eines der wichtigsten Fermente für die Reformation. Grade diese Erscheinung erklärt nun auch eine andere sehr merkwür¬ dige, welche jüngst besonders lebhaft die Anfmcrtsanrkcit Europas aus sich gezogen hat: die Neigung der Türren zum Protestantismus. Schon seit einer Reihe vo» Jahren tan» man dies beobachten; in neuester Zeit aber ist es stellenweise so auffällig geworden, daß die bis dahin außerordentlich nachsichtige Negierung plötzlich meinte, Eruhalt thun zu müssen. Die Folge waren die Ereignisse, welche u»S vor einem Jahre alle Zeitungen meldeten. Christenthum und Islam sind den Türken im Grunde durch keine so große Kluft geschieden, wie uns. Christus ist auch ihnen ein großer Prophet, der größte nach Muha- med. „Ich habe ihm," läßt der Koran Gott reden, „das Evangelium anver¬ traut, eine Verkündigung voll vo» Anweisung und Licht, die das Gesetz Mosis, welches anch von mir ist, bekräftigt und den Gottesfürchtigen Lehre und Er¬ innerung ist. Aber Dir (Muhamed) habe ich das Buch der Weisheit gegeben, Welches das Gesetz Mosis und das Evangelium bestätigt und erst erfüllt." Die Erfüllung und Ergänzung aber besteht nach den, Koran in der Vernichtung der Trinitätslehrc. in welcher der Islam einen Rückfall in das Heidenthum, in den Polytheismus sieht. Die Polemik dagegen, daß Christus der Sohn Gottes, daß Gott der Dritte von Dreien, daß die Christen damit Gott andere Götter - zur Seite setzten u. s. w. zieht sich durch den ganze» Koran hindurch, und die Losung: „Es ist nur ein Gott und Muhamed sei» Prophet", ist nicht nur ein Bekenntniß zum Monotheismus, sondern zugleich ein polemisches Felvgcschrei gegen daS Chnstcnthum. Daher einerseits die Verachtung, mit welcher die Türken auf den Katholicismus u»d die griechische Kirche mit ihren Malereien, ihrem Heiligen- und Bilderdienst herabblicken; andererseits die milde Beurthei¬ lung des Protestantismus, den sie als ein Einlenken zum wahren Glauben, eine Annäherung an den Islam betrachten. Während es somit unmöglich ist, daß ein gläubiger Türke je zur römischen oder griechischen Kirche übertreten sollte, deren Lehren ihm gegen alle Vernunft zu streiten scheinen, fühlt er von vornherein, schon der Einfachheit des Cultus wegen, mit dem Protestantismus SNvisse Sympathien. Aber der Protestantismus erscheint weiter auch dem Un- Glelizbotm I. 18V7. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/315>, abgerufen am 25.07.2024.