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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Zwittergebilde uns auch zur Zeit noch als unvermittelte Producte ihrer ersten
Berührung begegnen, zusehends förderlich gewirkt. Dies gilt ganz besonders
vom häuslichen Leben und von der socialen Stellung der Frauen. Daß die
Türkinnen von heute durchaus nicht das Kerkerleben führen, welches die land¬
läufigen Haremsfabeln schildern, davon kann man sich auf jedem Ausgang, vor
allem in den Bazars oder bei den großen Volksfesten überzeugen. Dort be¬
wegen sie sich fast ebenso ungehindert wie unsere Frauen.. Ihre Tracht, jene
dichte Verhüllung des Gesichts hat ebenso in dem Klima ihren Grund, wie in
angeblichen Schicklichkeitsrücksichten; das begreift man an Ort und Stelle sehr
bald. Die Griechinnen des Alterthums trugen sich in einzelnen Strichen ganz
ähnlich, in Megara noch heute so. Da unsre Damenhüte glücklicherweise bei
den Türkinnen noch nicht eingebürgert sind, mußten sie sich anderweitig gegen
den Sonnenbrand schirmen; seht freilich macht die abendländische Mode mehr
und mehr Glück, und man sieht oft vornehme Damen mit dünnen Florschlciern
und Knickern umherlaufen, eine Stillvsigkcit, die natürlich komisch wirkt.

Aber auch in dem Hause ist von einer Absperrung immer nur im be¬
schränkten Sinne zu sprechen. Große Zurückhaltung und Scheu den Männern
gegenüber charakterisirt auch die Frauen der Güechcn, Serben und aller übrigen
Völker der Balkanhalbinsel. Sie ziehen sich zurück, wenn ein Fremder oder ein
andrer als ein Verwandter das Haus betritt; einen Blick in das Familien-
zimmer zu thun, hält dort ebenso schwer wie bei den Türken. Nur in großen
vornehmen Häusern ist der Harem von der andern Wohnung völlig getrennt,
in der Regel so, daß er das Hauptgebäude ausfüllt, der kleinere Seitenflügel
aber die Männerwohnung bildet; in kleinen Haushaltungen beschränkt er sich
auf einen Raum, den wir Kinder- und Familienstube zu nennen pflegen; Ver¬
wandte haben dahinein Zutritt, Fremde nicht; umgekehrt erscheinen die Frauen
aber auch nicht, wenn der Herr Männerbcsuch empfängt. Wird die Familie
eines europäischen Gesandten zum Diner geladen, so machen die Damen vom
Hausherrn geleitet vorher ihren Besuch im Harem, aber keine der Frauen vom
Hause erscheint bei Tische. Ebenso wenig würde die Frau mit ihrem Gemahl
einer Einladung zu einer Gesellschaft von Herren und Damen folgen. Wohl
aber verkehren die Frauen unter einander völlig zwanglos. Die Frau des
Großvezicrs gab ihre auf "Madame Neschid Pascha" lautende Visitenkarte in
aller Form moderner Etikette ab, und die Gesandtinncn besuchen die Paschaiunen
und Prinzessinnen, mit welchen sie bekannt sind, ohne specielles Cemnoniell.

Strenger und klösterlicher ist die Zucht im Harem des Sultans. Aber
auch er selbst ist ja unnahbarer und umgiebt sich mit mehr Nimbus als unsere
Fürsten. Daß dies in noch stärkerem Grade von seinen Frauen gilt, ist ein
Stück altonenlalischcn Zopfes; eine strenge Zucht machen die Palastintrigucn,
Welche bei vier Sultaninncn und ihren Hofstaaten unvermeidlich sind, sehr


Zwittergebilde uns auch zur Zeit noch als unvermittelte Producte ihrer ersten
Berührung begegnen, zusehends förderlich gewirkt. Dies gilt ganz besonders
vom häuslichen Leben und von der socialen Stellung der Frauen. Daß die
Türkinnen von heute durchaus nicht das Kerkerleben führen, welches die land¬
läufigen Haremsfabeln schildern, davon kann man sich auf jedem Ausgang, vor
allem in den Bazars oder bei den großen Volksfesten überzeugen. Dort be¬
wegen sie sich fast ebenso ungehindert wie unsere Frauen.. Ihre Tracht, jene
dichte Verhüllung des Gesichts hat ebenso in dem Klima ihren Grund, wie in
angeblichen Schicklichkeitsrücksichten; das begreift man an Ort und Stelle sehr
bald. Die Griechinnen des Alterthums trugen sich in einzelnen Strichen ganz
ähnlich, in Megara noch heute so. Da unsre Damenhüte glücklicherweise bei
den Türkinnen noch nicht eingebürgert sind, mußten sie sich anderweitig gegen
den Sonnenbrand schirmen; seht freilich macht die abendländische Mode mehr
und mehr Glück, und man sieht oft vornehme Damen mit dünnen Florschlciern
und Knickern umherlaufen, eine Stillvsigkcit, die natürlich komisch wirkt.

Aber auch in dem Hause ist von einer Absperrung immer nur im be¬
schränkten Sinne zu sprechen. Große Zurückhaltung und Scheu den Männern
gegenüber charakterisirt auch die Frauen der Güechcn, Serben und aller übrigen
Völker der Balkanhalbinsel. Sie ziehen sich zurück, wenn ein Fremder oder ein
andrer als ein Verwandter das Haus betritt; einen Blick in das Familien-
zimmer zu thun, hält dort ebenso schwer wie bei den Türken. Nur in großen
vornehmen Häusern ist der Harem von der andern Wohnung völlig getrennt,
in der Regel so, daß er das Hauptgebäude ausfüllt, der kleinere Seitenflügel
aber die Männerwohnung bildet; in kleinen Haushaltungen beschränkt er sich
auf einen Raum, den wir Kinder- und Familienstube zu nennen pflegen; Ver¬
wandte haben dahinein Zutritt, Fremde nicht; umgekehrt erscheinen die Frauen
aber auch nicht, wenn der Herr Männerbcsuch empfängt. Wird die Familie
eines europäischen Gesandten zum Diner geladen, so machen die Damen vom
Hausherrn geleitet vorher ihren Besuch im Harem, aber keine der Frauen vom
Hause erscheint bei Tische. Ebenso wenig würde die Frau mit ihrem Gemahl
einer Einladung zu einer Gesellschaft von Herren und Damen folgen. Wohl
aber verkehren die Frauen unter einander völlig zwanglos. Die Frau des
Großvezicrs gab ihre auf „Madame Neschid Pascha" lautende Visitenkarte in
aller Form moderner Etikette ab, und die Gesandtinncn besuchen die Paschaiunen
und Prinzessinnen, mit welchen sie bekannt sind, ohne specielles Cemnoniell.

Strenger und klösterlicher ist die Zucht im Harem des Sultans. Aber
auch er selbst ist ja unnahbarer und umgiebt sich mit mehr Nimbus als unsere
Fürsten. Daß dies in noch stärkerem Grade von seinen Frauen gilt, ist ein
Stück altonenlalischcn Zopfes; eine strenge Zucht machen die Palastintrigucn,
Welche bei vier Sultaninncn und ihren Hofstaaten unvermeidlich sind, sehr


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[0303] Zwittergebilde uns auch zur Zeit noch als unvermittelte Producte ihrer ersten Berührung begegnen, zusehends förderlich gewirkt. Dies gilt ganz besonders vom häuslichen Leben und von der socialen Stellung der Frauen. Daß die Türkinnen von heute durchaus nicht das Kerkerleben führen, welches die land¬ läufigen Haremsfabeln schildern, davon kann man sich auf jedem Ausgang, vor allem in den Bazars oder bei den großen Volksfesten überzeugen. Dort be¬ wegen sie sich fast ebenso ungehindert wie unsere Frauen.. Ihre Tracht, jene dichte Verhüllung des Gesichts hat ebenso in dem Klima ihren Grund, wie in angeblichen Schicklichkeitsrücksichten; das begreift man an Ort und Stelle sehr bald. Die Griechinnen des Alterthums trugen sich in einzelnen Strichen ganz ähnlich, in Megara noch heute so. Da unsre Damenhüte glücklicherweise bei den Türkinnen noch nicht eingebürgert sind, mußten sie sich anderweitig gegen den Sonnenbrand schirmen; seht freilich macht die abendländische Mode mehr und mehr Glück, und man sieht oft vornehme Damen mit dünnen Florschlciern und Knickern umherlaufen, eine Stillvsigkcit, die natürlich komisch wirkt. Aber auch in dem Hause ist von einer Absperrung immer nur im be¬ schränkten Sinne zu sprechen. Große Zurückhaltung und Scheu den Männern gegenüber charakterisirt auch die Frauen der Güechcn, Serben und aller übrigen Völker der Balkanhalbinsel. Sie ziehen sich zurück, wenn ein Fremder oder ein andrer als ein Verwandter das Haus betritt; einen Blick in das Familien- zimmer zu thun, hält dort ebenso schwer wie bei den Türken. Nur in großen vornehmen Häusern ist der Harem von der andern Wohnung völlig getrennt, in der Regel so, daß er das Hauptgebäude ausfüllt, der kleinere Seitenflügel aber die Männerwohnung bildet; in kleinen Haushaltungen beschränkt er sich auf einen Raum, den wir Kinder- und Familienstube zu nennen pflegen; Ver¬ wandte haben dahinein Zutritt, Fremde nicht; umgekehrt erscheinen die Frauen aber auch nicht, wenn der Herr Männerbcsuch empfängt. Wird die Familie eines europäischen Gesandten zum Diner geladen, so machen die Damen vom Hausherrn geleitet vorher ihren Besuch im Harem, aber keine der Frauen vom Hause erscheint bei Tische. Ebenso wenig würde die Frau mit ihrem Gemahl einer Einladung zu einer Gesellschaft von Herren und Damen folgen. Wohl aber verkehren die Frauen unter einander völlig zwanglos. Die Frau des Großvezicrs gab ihre auf „Madame Neschid Pascha" lautende Visitenkarte in aller Form moderner Etikette ab, und die Gesandtinncn besuchen die Paschaiunen und Prinzessinnen, mit welchen sie bekannt sind, ohne specielles Cemnoniell. Strenger und klösterlicher ist die Zucht im Harem des Sultans. Aber auch er selbst ist ja unnahbarer und umgiebt sich mit mehr Nimbus als unsere Fürsten. Daß dies in noch stärkerem Grade von seinen Frauen gilt, ist ein Stück altonenlalischcn Zopfes; eine strenge Zucht machen die Palastintrigucn, Welche bei vier Sultaninncn und ihren Hofstaaten unvermeidlich sind, sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/303>, abgerufen am 22.12.2024.