Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.Und dies Gefühl ist keine pure Anmaßung, sondern Erbtheil des Blutes. Denn die Masse des Volks ist "ach allem Gesagten durchaus nicht krank, Ein Hauplkriterium der geistigen Reife und Entwickelungsfälngkeit ist stets Und dies Gefühl ist keine pure Anmaßung, sondern Erbtheil des Blutes. Denn die Masse des Volks ist »ach allem Gesagten durchaus nicht krank, Ein Hauplkriterium der geistigen Reife und Entwickelungsfälngkeit ist stets <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190429"/> <p xml:id="ID_931"> Und dies Gefühl ist keine pure Anmaßung, sondern Erbtheil des Blutes.<lb/> Ein arabischer Denkspruch sagt: „Reichthum ist in Indien, Geistesmacht in<lb/> Europa, Herrschermacht bei den Osmanen." Und es steckt allerdings etwas<lb/> Von jenem angebornen Herrschertalent, vermöge dessen es den Osmanen gelang,<lb/> das Byzantinerthum über den Haufen zu werfen, vermöge dessen sie einst sich<lb/> zu gefürchteten Herren des Mittelmeers zu machen wußten, das auch in den<lb/> Zeiten des tiefsten Verfalles Kraft genug gab, sich als regierendes Element in<lb/> ganz Borderasien zu behaupten, — es steckt etwas von diesem Herrschertalent<lb/> noch heute in der Nation. Daß die Herrschaft dennoch aus den Fugen<lb/> geht, ist Schuld der Regierung und mehr ein Zeichen steigender Kraft und<lb/> Selbständigkeit der unterworfenen Nationen, Griechen, Serben, Bulgaren u. a.,<lb/> als ausdrückliches Symptom von der Krankheit des türkische» Volkes. In den<lb/> orientalischen Theilen des weiten Reiches ist unter den Stämmen keiner, der<lb/> zum herrschen fähiger und geschickter wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_932"> Denn die Masse des Volks ist »ach allem Gesagten durchaus nicht krank,<lb/> sondern voll Kraft und Gesundheit. Wen» es allen Angriffen der europäischen<lb/> Mächte unter den schwierigsten Umständen bisher immer noch Stand zu halten<lb/> wußte, wenn seine Heere trotz aller mangelhaften Ausbildung unter den mi߬<lb/> lichsten Verhältnissen, zuweilen Monate lang ohne Sold, dennoch sich stets mit<lb/> unbestrittener Bravour geschlagen haben, wen» die Nation sogar ans dem ihr<lb/> fremden Felde der Diplomatie im pariser Kongreß anerkanntermaßen den Sieg<lb/> davon tragen konnte, — so ist ein solches Volk »och weit entfernt vom Ab¬<lb/> scheiden, und es besitzt in der That nicht blos Zähigkeit des Beharrens, sondern<lb/> auch Eutwicklungskraft. Auch die Züge, deren wir bisher noch nicht gedachten,<lb/> der angeborenen Herzensgüte, welche in der unbeschränktesten Wohlthätigkeit<lb/> ihren Ausdruck findet, der Gastlichkeit, der tiefwurzelnden Achtung vor dem<lb/> Gesetz, des lebendigen religiösen Interesses, sprechen mit nichte» von sittlicher<lb/> Fäulniß u»d Korruption.</p><lb/> <p xml:id="ID_933" next="#ID_934"> Ein Hauplkriterium der geistigen Reife und Entwickelungsfälngkeit ist stets<lb/> die Sprache eines Volkes. Nu» höre man, was ein so competenter Sprach-<lb/> kcnner wie Max Müller >n seinen Vorlesungen über die Wissenschaft der<lb/> Sprache (deutsch bearbeitet von Böttiger) über das Türkische urtheilt. Nachdem<lb/> er den Grund der cillmäligeu Ausbreitung und Herrschaft des türkisches Volkes<lb/> zum Theil von den Vorzügen ihrer Sprache hergeleitet hat, sah>t er fort: „Die<lb/> sinnreiche Art und Weise, in welcher die zahlreichen grammatischen Formen zu<lb/> Stande gebracht sind, die Regelmäßigkeit, welche das System der Conjugation<lb/> und Declination durchdringt, die Durchsichtigkeit und Verständlichkeit des ganzen<lb/> Sprachbaues muß jedem auffallen, der für die wunderbare Kraft des menschlichen<lb/> Geistes, wie sie sich in der Sprache entfaltet, einen offnen Sum hat. In der<lb/> Grammatik der türkischen Sprache haben wir eine Sprache von ganz durch-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Und dies Gefühl ist keine pure Anmaßung, sondern Erbtheil des Blutes.
Ein arabischer Denkspruch sagt: „Reichthum ist in Indien, Geistesmacht in
Europa, Herrschermacht bei den Osmanen." Und es steckt allerdings etwas
Von jenem angebornen Herrschertalent, vermöge dessen es den Osmanen gelang,
das Byzantinerthum über den Haufen zu werfen, vermöge dessen sie einst sich
zu gefürchteten Herren des Mittelmeers zu machen wußten, das auch in den
Zeiten des tiefsten Verfalles Kraft genug gab, sich als regierendes Element in
ganz Borderasien zu behaupten, — es steckt etwas von diesem Herrschertalent
noch heute in der Nation. Daß die Herrschaft dennoch aus den Fugen
geht, ist Schuld der Regierung und mehr ein Zeichen steigender Kraft und
Selbständigkeit der unterworfenen Nationen, Griechen, Serben, Bulgaren u. a.,
als ausdrückliches Symptom von der Krankheit des türkische» Volkes. In den
orientalischen Theilen des weiten Reiches ist unter den Stämmen keiner, der
zum herrschen fähiger und geschickter wäre.
Denn die Masse des Volks ist »ach allem Gesagten durchaus nicht krank,
sondern voll Kraft und Gesundheit. Wen» es allen Angriffen der europäischen
Mächte unter den schwierigsten Umständen bisher immer noch Stand zu halten
wußte, wenn seine Heere trotz aller mangelhaften Ausbildung unter den mi߬
lichsten Verhältnissen, zuweilen Monate lang ohne Sold, dennoch sich stets mit
unbestrittener Bravour geschlagen haben, wen» die Nation sogar ans dem ihr
fremden Felde der Diplomatie im pariser Kongreß anerkanntermaßen den Sieg
davon tragen konnte, — so ist ein solches Volk »och weit entfernt vom Ab¬
scheiden, und es besitzt in der That nicht blos Zähigkeit des Beharrens, sondern
auch Eutwicklungskraft. Auch die Züge, deren wir bisher noch nicht gedachten,
der angeborenen Herzensgüte, welche in der unbeschränktesten Wohlthätigkeit
ihren Ausdruck findet, der Gastlichkeit, der tiefwurzelnden Achtung vor dem
Gesetz, des lebendigen religiösen Interesses, sprechen mit nichte» von sittlicher
Fäulniß u»d Korruption.
Ein Hauplkriterium der geistigen Reife und Entwickelungsfälngkeit ist stets
die Sprache eines Volkes. Nu» höre man, was ein so competenter Sprach-
kcnner wie Max Müller >n seinen Vorlesungen über die Wissenschaft der
Sprache (deutsch bearbeitet von Böttiger) über das Türkische urtheilt. Nachdem
er den Grund der cillmäligeu Ausbreitung und Herrschaft des türkisches Volkes
zum Theil von den Vorzügen ihrer Sprache hergeleitet hat, sah>t er fort: „Die
sinnreiche Art und Weise, in welcher die zahlreichen grammatischen Formen zu
Stande gebracht sind, die Regelmäßigkeit, welche das System der Conjugation
und Declination durchdringt, die Durchsichtigkeit und Verständlichkeit des ganzen
Sprachbaues muß jedem auffallen, der für die wunderbare Kraft des menschlichen
Geistes, wie sie sich in der Sprache entfaltet, einen offnen Sum hat. In der
Grammatik der türkischen Sprache haben wir eine Sprache von ganz durch-
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