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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Zeit Opium gereicht worden sein; wir haben sie wiederholt besucht, um diese
orientalische Merkwürdigkeit kennen zu lernen, es ist uns wenigstens nie ge¬
lungen, einen Opiumesser anzutreffen; doch sollen sie noch als historische Merk¬
würdigkeit in einzelnen bleichen Exemplaren in Konstantinopel herumlaufen.

Der Türke aus dem Volke ist einfach in Lebensweise, Tracht und Bedürf¬
nissen ; das Jagen und Drängen unserer Massen nach lauter Freude und äußer¬
lichen Vergnügen ist, wie allen Nationen eines primitiven Bildungszustandes,
auch dieser fremd. Der Besuch der Kaffeehäuser, wo für zwei Paru,, d. h. für
einen Pfennig, eine der winzigen Schalen mit Kaffee gereicht wird und für
einen zweiten Pfennig die Wasserpfeife (das Mi-Zilelr), wo zu allen Tages¬
zeiten Vornehm und Gering zu kürzerer oder längerer Rast einkehren. -- oder
der Besuch jener einfachen Volksfeste auf dem ^Imvillä," oder in den sogenannten
süßen Wassern von Europa und Asien, deren obligate Reize immer wieder auf
Kaffee, Pfeife und höchstens etwas Musik hinauskommen --, das sind die ein"
zigen Genüsse, welche sie suchen.

Den Hauptgenuß findet der Türke in der Natur, ein merkwürdiges und
gewiß unvercichtliches Zeichen für den gesunden Sinn des Volkes. Jeder Aus¬
sichtspunkt, jeder liebliche Thalwinkel ist auch von einem der einfachen Kaffee¬
häuser besehe; überall stößt man auf Gruppen von Männern und Frauen,
welche sich auch ohne solche einladende Ruhestätte beliebig wo am Kai nieder¬
gelassen haben und in sinnender Betrachtung die Wunder der großartig lieblichen
Natur in sich aufnehmen.

Das ist der vielgeschmähte Käff der angeblich faulen Türken, in Wahrheit
das poesicvolle, beschauliche Versenken in die Naturbetrachtung, die sich ja auch
in der Dichtung der Orientalen so lebendig und überschwenglich ausspricht. Sie
empfinden es als Mangel an den Franken, daß sie in Werkeltagstreiben und
Erwerbssucht der Herrlichkeit der Natur gegenüber sich so stumpf verhalten und
man hat schnell ihre Herzen erobert und ihre Zurückhaltung gebrochen, wenn
man gleiche Empfänglichkeit merken läßt.

Faul sind die Türken überhaupt nicht, sondern vielmehr sehr fleißig und
in ihrer Arbeit gewissenhaft, sorgsam, geschickt, so daß der türkische Handwerker
von den Franken vorzugsweise gesucht wird. Aber es fehlt ihnen der Unter¬
nehmungsgeist, der rechte Sinn für die große Arbeit des Handels und des Ver¬
kehrs. Die zum Fehler werdende Genügsamkeit und Beschaulichkeit ihres Wesens
ist Schuld, daß die verschlagenen Griechen, die gewinnsüchtigen Armenier,
vollends die Speculation der Franken Handel und Industrie an sich reißen
und die passiven Eingebornen überholen. Der Ehrgeiz der Concurrenz aber,
der dazu anspornt, sich in der Arbeit des Lebens von andern nicht überholen
zu lassen, fehlt ihnen deshalb, weil sie sich als Orientalen und unter diesen
/Wiederum als genießende Herrscher fühlen.


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Zeit Opium gereicht worden sein; wir haben sie wiederholt besucht, um diese
orientalische Merkwürdigkeit kennen zu lernen, es ist uns wenigstens nie ge¬
lungen, einen Opiumesser anzutreffen; doch sollen sie noch als historische Merk¬
würdigkeit in einzelnen bleichen Exemplaren in Konstantinopel herumlaufen.

Der Türke aus dem Volke ist einfach in Lebensweise, Tracht und Bedürf¬
nissen ; das Jagen und Drängen unserer Massen nach lauter Freude und äußer¬
lichen Vergnügen ist, wie allen Nationen eines primitiven Bildungszustandes,
auch dieser fremd. Der Besuch der Kaffeehäuser, wo für zwei Paru,, d. h. für
einen Pfennig, eine der winzigen Schalen mit Kaffee gereicht wird und für
einen zweiten Pfennig die Wasserpfeife (das Mi-Zilelr), wo zu allen Tages¬
zeiten Vornehm und Gering zu kürzerer oder längerer Rast einkehren. — oder
der Besuch jener einfachen Volksfeste auf dem ^Imvillä,» oder in den sogenannten
süßen Wassern von Europa und Asien, deren obligate Reize immer wieder auf
Kaffee, Pfeife und höchstens etwas Musik hinauskommen —, das sind die ein«
zigen Genüsse, welche sie suchen.

Den Hauptgenuß findet der Türke in der Natur, ein merkwürdiges und
gewiß unvercichtliches Zeichen für den gesunden Sinn des Volkes. Jeder Aus¬
sichtspunkt, jeder liebliche Thalwinkel ist auch von einem der einfachen Kaffee¬
häuser besehe; überall stößt man auf Gruppen von Männern und Frauen,
welche sich auch ohne solche einladende Ruhestätte beliebig wo am Kai nieder¬
gelassen haben und in sinnender Betrachtung die Wunder der großartig lieblichen
Natur in sich aufnehmen.

Das ist der vielgeschmähte Käff der angeblich faulen Türken, in Wahrheit
das poesicvolle, beschauliche Versenken in die Naturbetrachtung, die sich ja auch
in der Dichtung der Orientalen so lebendig und überschwenglich ausspricht. Sie
empfinden es als Mangel an den Franken, daß sie in Werkeltagstreiben und
Erwerbssucht der Herrlichkeit der Natur gegenüber sich so stumpf verhalten und
man hat schnell ihre Herzen erobert und ihre Zurückhaltung gebrochen, wenn
man gleiche Empfänglichkeit merken läßt.

Faul sind die Türken überhaupt nicht, sondern vielmehr sehr fleißig und
in ihrer Arbeit gewissenhaft, sorgsam, geschickt, so daß der türkische Handwerker
von den Franken vorzugsweise gesucht wird. Aber es fehlt ihnen der Unter¬
nehmungsgeist, der rechte Sinn für die große Arbeit des Handels und des Ver¬
kehrs. Die zum Fehler werdende Genügsamkeit und Beschaulichkeit ihres Wesens
ist Schuld, daß die verschlagenen Griechen, die gewinnsüchtigen Armenier,
vollends die Speculation der Franken Handel und Industrie an sich reißen
und die passiven Eingebornen überholen. Der Ehrgeiz der Concurrenz aber,
der dazu anspornt, sich in der Arbeit des Lebens von andern nicht überholen
zu lassen, fehlt ihnen deshalb, weil sie sich als Orientalen und unter diesen
/Wiederum als genießende Herrscher fühlen.


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[0269] Zeit Opium gereicht worden sein; wir haben sie wiederholt besucht, um diese orientalische Merkwürdigkeit kennen zu lernen, es ist uns wenigstens nie ge¬ lungen, einen Opiumesser anzutreffen; doch sollen sie noch als historische Merk¬ würdigkeit in einzelnen bleichen Exemplaren in Konstantinopel herumlaufen. Der Türke aus dem Volke ist einfach in Lebensweise, Tracht und Bedürf¬ nissen ; das Jagen und Drängen unserer Massen nach lauter Freude und äußer¬ lichen Vergnügen ist, wie allen Nationen eines primitiven Bildungszustandes, auch dieser fremd. Der Besuch der Kaffeehäuser, wo für zwei Paru,, d. h. für einen Pfennig, eine der winzigen Schalen mit Kaffee gereicht wird und für einen zweiten Pfennig die Wasserpfeife (das Mi-Zilelr), wo zu allen Tages¬ zeiten Vornehm und Gering zu kürzerer oder längerer Rast einkehren. — oder der Besuch jener einfachen Volksfeste auf dem ^Imvillä,» oder in den sogenannten süßen Wassern von Europa und Asien, deren obligate Reize immer wieder auf Kaffee, Pfeife und höchstens etwas Musik hinauskommen —, das sind die ein« zigen Genüsse, welche sie suchen. Den Hauptgenuß findet der Türke in der Natur, ein merkwürdiges und gewiß unvercichtliches Zeichen für den gesunden Sinn des Volkes. Jeder Aus¬ sichtspunkt, jeder liebliche Thalwinkel ist auch von einem der einfachen Kaffee¬ häuser besehe; überall stößt man auf Gruppen von Männern und Frauen, welche sich auch ohne solche einladende Ruhestätte beliebig wo am Kai nieder¬ gelassen haben und in sinnender Betrachtung die Wunder der großartig lieblichen Natur in sich aufnehmen. Das ist der vielgeschmähte Käff der angeblich faulen Türken, in Wahrheit das poesicvolle, beschauliche Versenken in die Naturbetrachtung, die sich ja auch in der Dichtung der Orientalen so lebendig und überschwenglich ausspricht. Sie empfinden es als Mangel an den Franken, daß sie in Werkeltagstreiben und Erwerbssucht der Herrlichkeit der Natur gegenüber sich so stumpf verhalten und man hat schnell ihre Herzen erobert und ihre Zurückhaltung gebrochen, wenn man gleiche Empfänglichkeit merken läßt. Faul sind die Türken überhaupt nicht, sondern vielmehr sehr fleißig und in ihrer Arbeit gewissenhaft, sorgsam, geschickt, so daß der türkische Handwerker von den Franken vorzugsweise gesucht wird. Aber es fehlt ihnen der Unter¬ nehmungsgeist, der rechte Sinn für die große Arbeit des Handels und des Ver¬ kehrs. Die zum Fehler werdende Genügsamkeit und Beschaulichkeit ihres Wesens ist Schuld, daß die verschlagenen Griechen, die gewinnsüchtigen Armenier, vollends die Speculation der Franken Handel und Industrie an sich reißen und die passiven Eingebornen überholen. Der Ehrgeiz der Concurrenz aber, der dazu anspornt, sich in der Arbeit des Lebens von andern nicht überholen zu lassen, fehlt ihnen deshalb, weil sie sich als Orientalen und unter diesen /Wiederum als genießende Herrscher fühlen. 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/269>, abgerufen am 22.12.2024.