Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.Natur, als in der orientalischen Welt, in welcher die Stammesfchden vergangener Exemplisiciren wir diese Sätze im Einzelnen und zunächst an Galizien. Die 31"
Natur, als in der orientalischen Welt, in welcher die Stammesfchden vergangener Exemplisiciren wir diese Sätze im Einzelnen und zunächst an Galizien. Die 31"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190412"/> <p xml:id="ID_885" prev="#ID_884"> Natur, als in der orientalischen Welt, in welcher die Stammesfchden vergangener<lb/> Geschlechter noch immer nicht ausgekämpft sind. Die innere Geschichte selbst<lb/> der letzten hundert Jahre russischen Lebens ist wesentlich bedingt von der Ge¬<lb/> schichte des uralten Streits, den Russen und Polen um den Besitz Lithauens<lb/> und der Ukraine führen und dessen jüngste Phase (1863—67) die Physiognomie<lb/> des russischen Volks beinahe unkenntlich verändert hat. Weil der Kampf zwischen<lb/> Ruthenen und Polen nur ein Wiederspiel der blutigen Ereignisse ans lithauischer<lb/> Erbe ist, hat er heute die gesammte russische Nation zum ungebetenen Zeugen<lb/> seiner Wechselfälle. Dieselbe Frage, — über welche in Lemberg und Przemysl<lb/> gestritten wird, sucht unter verändertem Namen ihre Lösung in allen Ländern<lb/> der russischen Westgrenze — in den Ostseeprovinzen, wie in Finnland und jenen<lb/> Woyewodschaften. welche heute die nord- und südwestlichen „Gouvernements"<lb/> heißen. In allen diesen Ländern und Provinzen wird darüber gestritten, ob<lb/> ihr nationaler Charakter durch die Träger ihrer Cultur oder<lb/> durch die Abstammung der Majorität d e r B co ö l ter un g bestimmt<lb/> werden soll. Hier heißen die Cuiturträg r Schweden und Deutsche, dort<lb/> sind sie Polen masovischen, klein- oder grohpvtnischen Ursprungs: — allenthalben<lb/> handelt es sich um die Resultate eiues auf halbem Wege steckengebliebcnen<lb/> geschichtlichen Processes, um Rechte, die zu lange gegolten haben, um sich streichen<lb/> zu lassen und die von den fqctischcn Verhältnissen doch nur zur Hälfte gedeckt<lb/> werden. Von dem Princip, das entschieden werden soll, wissen die wenigsten<lb/> etwas, hinter den rohen Namen von Racen- und Confessionshändeln birgt sich<lb/> aber eines der schwierigsten Probleme, welches die moderne Staatskunst zu<lb/> lösen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_886" next="#ID_887"> Exemplisiciren wir diese Sätze im Einzelnen und zunächst an Galizien. Die<lb/> Bezeichnung „Galizien" umfaßt eine Reihe von Territorien, die ursprünglich<lb/> nichts weiter mit einander gemein haben, als daß sie bis zum Jahre 1773 zu<lb/> der königlichen Republik Polen gehörten, dieser von Oestreich entrissen und im<lb/> Jahre 1817 zu einem Ganzen zusammengebacken wurden, das man, nachdem<lb/> noch der östreichische Theil der Moldau (die sogenannte Bukowina) hinzugezogen<lb/> worden war, der alten Stadt Halicz zu Ehren das „Königreich Galizien"<lb/> nannte. Zu polnischer Zeit hatten diese Landschaften niemals ein Ganzes,<lb/> weder einen Kraj (Land), noch eine Woyewodschaft (Provinz) gebildet, die Ehre<lb/> aus Länder- und Völkersplittern, die nichts unter einander gemein haben, einen<lb/> Verwaltungsbezirk mit gemeinsamen Institutionen, einem gemeinsamen Landtag<lb/> u. s. w. formirt zu haben, gebührt der östreichischen Regierung und dem wiener<lb/> Congreß. Wenn wir die Bukowina ausscheiden, so besteht Galizien aus Theilen<lb/> fünf verschiedener polnischer Länder: dem Herzogthum Auschwitz (Oswicczim)-<lb/> Zator. einem Theil Kleinpolens. Nothrnßlands, abgenssenen Stücken von Woly-<lb/> nien und Podolien. Fetzen von fünf Woyewodschaften (Krakau, Sandomir,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 31"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
Natur, als in der orientalischen Welt, in welcher die Stammesfchden vergangener
Geschlechter noch immer nicht ausgekämpft sind. Die innere Geschichte selbst
der letzten hundert Jahre russischen Lebens ist wesentlich bedingt von der Ge¬
schichte des uralten Streits, den Russen und Polen um den Besitz Lithauens
und der Ukraine führen und dessen jüngste Phase (1863—67) die Physiognomie
des russischen Volks beinahe unkenntlich verändert hat. Weil der Kampf zwischen
Ruthenen und Polen nur ein Wiederspiel der blutigen Ereignisse ans lithauischer
Erbe ist, hat er heute die gesammte russische Nation zum ungebetenen Zeugen
seiner Wechselfälle. Dieselbe Frage, — über welche in Lemberg und Przemysl
gestritten wird, sucht unter verändertem Namen ihre Lösung in allen Ländern
der russischen Westgrenze — in den Ostseeprovinzen, wie in Finnland und jenen
Woyewodschaften. welche heute die nord- und südwestlichen „Gouvernements"
heißen. In allen diesen Ländern und Provinzen wird darüber gestritten, ob
ihr nationaler Charakter durch die Träger ihrer Cultur oder
durch die Abstammung der Majorität d e r B co ö l ter un g bestimmt
werden soll. Hier heißen die Cuiturträg r Schweden und Deutsche, dort
sind sie Polen masovischen, klein- oder grohpvtnischen Ursprungs: — allenthalben
handelt es sich um die Resultate eiues auf halbem Wege steckengebliebcnen
geschichtlichen Processes, um Rechte, die zu lange gegolten haben, um sich streichen
zu lassen und die von den fqctischcn Verhältnissen doch nur zur Hälfte gedeckt
werden. Von dem Princip, das entschieden werden soll, wissen die wenigsten
etwas, hinter den rohen Namen von Racen- und Confessionshändeln birgt sich
aber eines der schwierigsten Probleme, welches die moderne Staatskunst zu
lösen hat.
Exemplisiciren wir diese Sätze im Einzelnen und zunächst an Galizien. Die
Bezeichnung „Galizien" umfaßt eine Reihe von Territorien, die ursprünglich
nichts weiter mit einander gemein haben, als daß sie bis zum Jahre 1773 zu
der königlichen Republik Polen gehörten, dieser von Oestreich entrissen und im
Jahre 1817 zu einem Ganzen zusammengebacken wurden, das man, nachdem
noch der östreichische Theil der Moldau (die sogenannte Bukowina) hinzugezogen
worden war, der alten Stadt Halicz zu Ehren das „Königreich Galizien"
nannte. Zu polnischer Zeit hatten diese Landschaften niemals ein Ganzes,
weder einen Kraj (Land), noch eine Woyewodschaft (Provinz) gebildet, die Ehre
aus Länder- und Völkersplittern, die nichts unter einander gemein haben, einen
Verwaltungsbezirk mit gemeinsamen Institutionen, einem gemeinsamen Landtag
u. s. w. formirt zu haben, gebührt der östreichischen Regierung und dem wiener
Congreß. Wenn wir die Bukowina ausscheiden, so besteht Galizien aus Theilen
fünf verschiedener polnischer Länder: dem Herzogthum Auschwitz (Oswicczim)-
Zator. einem Theil Kleinpolens. Nothrnßlands, abgenssenen Stücken von Woly-
nien und Podolien. Fetzen von fünf Woyewodschaften (Krakau, Sandomir,
31"
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |