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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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möchte sagen, zur Züchtigung, in der Gerechtigkeit -- desto geeigneter ist. Man
hat den Richterspruch des Brutus barbarisch genannt und gefordert, dem Urtheil
Schillers, der diesen Stoff als unpassend für eine Tragödie erklärt, unbedingt
zu folgen. Schreiber dieser Zeilen glaubt an echter Begeisterung für unsern
großen Dichter Keinem nachzustehen, aber er kann trotzdem nicht umhin, dagegen
zu protestiren. daß man das ästhetische Urtheil desselben in jedem Falle als
einen neuen Landvogtshut aufstecke; der edle Meister würde das selbst am wenig¬
sten gebilligt haben. Referent vermag in sein Urtheil über den vorliegenden
Fall, so vielfältig man es ihm nachspricht, nicht einzustimmen. Das Opfer des
Abraham ist doch ein Gegenstand, der von keinem modernen Maler verschmäht
wird und der in seiner religiösen Bedeutung -- soweit sie uns hier angeht --,
daß wir auf den Befehl der Gottheit auch das Liebste willig hingeben sollen,
ewig Wahrheit bleiben wird. Ist Abraham bereit, seinen schuldlosen Sohn zu
opfern, warum soll Brutus anstehen, den schuldigen zu verurtheilen? Es ist
das Bestreben unserer Zeit, alle blos menschlich angemaßte Autorität zu durch¬
brechen; das ist Recht, aber um so dringender ergeht die Mahnung, die Auto¬
rität göttlichen Gesetzes heiliger zu halten. Der Consul aber, der sich mit
seinem Amtseid verpflichtet, die Republik nicht zu Schaden kommen zu lassen,
fühlt sich göttlichem Gesetze Unterthan und als Richter über Leben und Tod
jedes anderen Nömersohns darf er nicht weichlich zurücktreten, wenn sein eigenes
Kind um Hochverrat!) vor dem Tribunal steht. Und wenn auch die Humanität
unserer Zeit den Richter jedes damit vergleichbaren Pflichtkampfes zu überheben
pflegt, so ist es doch falsch zu behaupten, man dürfe dem modernen Zuschauer
nicht zumuthen, nach der Richtschnur des Römers handeln zu sehn. Ob das
ästhetisch gut gethan ist, ob nicht vielmehr'bei einer gewissen Grenze unser sitt¬
liches Fassungsvermögen den Dienst versagt, ist eine andere Frage. Aber die
Möglichkeit solches Conflictes constatirt auch das Christenthum. "Wer Sohn
und Tochter mehr liebt als mich, ist mein nicht werth."

Auch in der consequenten Strenge des Senats, der unter den Mitgliedern
der Mirs laiMinia, den Collatinus mit verbannt, liegt, wie sehr sich auch
unser Gefühl dagegen sträubt, ein tiefer Sinn. Der Forderung, bei einer völ¬
ligen Staatsvcränderuug die letzte Wurzel, die mit dem bisherigen Uebelstand
auch nur noch scheinbar zusammenhing, herauszureißen, liegt großartiger.politi¬
scher Jnstinct zu Grunde. Wir wollen nicht sagen, daß dieser Gegenstand im
vorliegenden Stücke mit völlig genügender Schärfe wäre begründet und her¬
vorgehoben worden. Aber es scheint uns nicht müssig, wenn einem so vielfach
verzärtelten und verwöhnten Publikum, wie das unsere ist, einmal die Noth¬
wendigkeit eiserner Konsequenz und Energie im politischen Handeln einerseits,
und das Bild aufopferndster Pflichterfüllung andererseits hartkantig vor die


möchte sagen, zur Züchtigung, in der Gerechtigkeit — desto geeigneter ist. Man
hat den Richterspruch des Brutus barbarisch genannt und gefordert, dem Urtheil
Schillers, der diesen Stoff als unpassend für eine Tragödie erklärt, unbedingt
zu folgen. Schreiber dieser Zeilen glaubt an echter Begeisterung für unsern
großen Dichter Keinem nachzustehen, aber er kann trotzdem nicht umhin, dagegen
zu protestiren. daß man das ästhetische Urtheil desselben in jedem Falle als
einen neuen Landvogtshut aufstecke; der edle Meister würde das selbst am wenig¬
sten gebilligt haben. Referent vermag in sein Urtheil über den vorliegenden
Fall, so vielfältig man es ihm nachspricht, nicht einzustimmen. Das Opfer des
Abraham ist doch ein Gegenstand, der von keinem modernen Maler verschmäht
wird und der in seiner religiösen Bedeutung — soweit sie uns hier angeht —,
daß wir auf den Befehl der Gottheit auch das Liebste willig hingeben sollen,
ewig Wahrheit bleiben wird. Ist Abraham bereit, seinen schuldlosen Sohn zu
opfern, warum soll Brutus anstehen, den schuldigen zu verurtheilen? Es ist
das Bestreben unserer Zeit, alle blos menschlich angemaßte Autorität zu durch¬
brechen; das ist Recht, aber um so dringender ergeht die Mahnung, die Auto¬
rität göttlichen Gesetzes heiliger zu halten. Der Consul aber, der sich mit
seinem Amtseid verpflichtet, die Republik nicht zu Schaden kommen zu lassen,
fühlt sich göttlichem Gesetze Unterthan und als Richter über Leben und Tod
jedes anderen Nömersohns darf er nicht weichlich zurücktreten, wenn sein eigenes
Kind um Hochverrat!) vor dem Tribunal steht. Und wenn auch die Humanität
unserer Zeit den Richter jedes damit vergleichbaren Pflichtkampfes zu überheben
pflegt, so ist es doch falsch zu behaupten, man dürfe dem modernen Zuschauer
nicht zumuthen, nach der Richtschnur des Römers handeln zu sehn. Ob das
ästhetisch gut gethan ist, ob nicht vielmehr'bei einer gewissen Grenze unser sitt¬
liches Fassungsvermögen den Dienst versagt, ist eine andere Frage. Aber die
Möglichkeit solches Conflictes constatirt auch das Christenthum. „Wer Sohn
und Tochter mehr liebt als mich, ist mein nicht werth."

Auch in der consequenten Strenge des Senats, der unter den Mitgliedern
der Mirs laiMinia, den Collatinus mit verbannt, liegt, wie sehr sich auch
unser Gefühl dagegen sträubt, ein tiefer Sinn. Der Forderung, bei einer völ¬
ligen Staatsvcränderuug die letzte Wurzel, die mit dem bisherigen Uebelstand
auch nur noch scheinbar zusammenhing, herauszureißen, liegt großartiger.politi¬
scher Jnstinct zu Grunde. Wir wollen nicht sagen, daß dieser Gegenstand im
vorliegenden Stücke mit völlig genügender Schärfe wäre begründet und her¬
vorgehoben worden. Aber es scheint uns nicht müssig, wenn einem so vielfach
verzärtelten und verwöhnten Publikum, wie das unsere ist, einmal die Noth¬
wendigkeit eiserner Konsequenz und Energie im politischen Handeln einerseits,
und das Bild aufopferndster Pflichterfüllung andererseits hartkantig vor die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/242>, abgerufen am 04.07.2024.