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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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die es zu einer bedeutenden Literatur gebracht haben, weist neben Schauspielen
heimischen Stoffes immer zugleich auch Römcrdramen auf. Was ist denn über¬
haupt ein nationales Motiv? Doch nur ein Ereigniß oder ein Zustand, der mit
unserem gegenwärtigen politischen oder Cultucbewußtsein in erkennbar noth¬
wendigen Zusammenhange steht, der in seiner damalige" Bedeutung sür die
ganze Nation noch jetzt die ganze Nation ergreift; die Stürme, welche die Zeilen,
denen er angehört, bewegte", müssen den Wogenschlag derselben noch bis an
unsere Küsten treiben. Und nnn braucht man nur die große Masse der bisher
gemachten national-dramatischen Versuche zu überblicke", um in"c zu werte",
wie schwer es ist, i" unserer Geschichte solche Momente allgemeiuverständlich zu
vermitteln. Wer mag behaupte", daß wir in der Traum- und Zaubcrsphäre
der wagnnsche" Musike-ramcn, deren Stoffe wir uns erst auf Umwegen künst¬
lich entdeckt haben, die hehre Kraft des Helalles, die unsre Nation aus ihrem
eignen Vorne schöpfen soll, gefunden hätte"? Wer will läugne", daß aus der
Fülle uuserer Salier- u"d Hvhenstaufcndrame" die Ausbeute äußerst gering/ ge¬
wesen ist? Und was die näher liegenden Jahrhunderte betrifft, so ist die
Schwierigkeit klar, die Zeit nach der Reformation, seit welcher sich Deutschland
in zwei Hälften gespalten hat, von denen wechselseitig die eine nahezu alles
als Schaden zu beklagen pflegt, was die andere als Fortichritt feiert, nicht ein¬
seitig in einem Parteilibell, sondern in einer givßen Idee, die jedes redliche
deutsche Gemüth wohlthätig nachzufühlen Vermochte, veisöhnend zu erfasse".
So besitzen wir belin von unsern drei classischen Drcunatikcr" eben auch "ur
drei im eigentliche" Si""e nationale Diame": Minna von Barnhelm, Götz von
Berlichitigen und Wallenstein. Schillclö großem Werke ist es freilich gelungen,
bei euren Stoffe mitten aus der gräßlichsten Zeit heraus das deutsche Volk
vom baltischen Meere bis zur Adria i" einem Hochgefühl auf echt nationaler
Grundlage zu eiliige", und damit die Bah" zu bezeichnen, auf der weiter gestrebt
weiden sollte, und vielleicht dürfe" wir von der politischen Erneuerung unsers
Volkes, die wir jetzt erlebe", Schöpfungen in solchem Sinne wieder hoffen.
Aber denken wir im Hinblick auf die vielen tauben Blüthen nicht zu gering
Von den Schwierigkeiten, die es bietet, und vergessen wir nicht, daß der Mo¬
ment großen polttischen Aufschwunges uns die Prophetien auch der antiken
Valellcmdsidec um so ve>ständlicher macht. Der antike Stoff von Lindners
Drama darf füglich nicht höhere Bedenken erregen als der Umstand, baß Schiller
ernst nationale" Gedanke", die von ihrer Zeit verstoßen zum Gedichte
Wehten mußten, zumeist an Schicksalen ausländischer Persönlichkeiten und Böller
Zur Wirkung kommen läßt.

Und zwar um so weniger, als grade oft in den antiken Stoffen, wie speciell
bei unserem Preisdrama, ein Motiv vorliegt, das zwar unser gegenwärtiges
Vewußtsein kaum mehr zu ertragen vermag, das aber grade darum ich


die es zu einer bedeutenden Literatur gebracht haben, weist neben Schauspielen
heimischen Stoffes immer zugleich auch Römcrdramen auf. Was ist denn über¬
haupt ein nationales Motiv? Doch nur ein Ereigniß oder ein Zustand, der mit
unserem gegenwärtigen politischen oder Cultucbewußtsein in erkennbar noth¬
wendigen Zusammenhange steht, der in seiner damalige» Bedeutung sür die
ganze Nation noch jetzt die ganze Nation ergreift; die Stürme, welche die Zeilen,
denen er angehört, bewegte», müssen den Wogenschlag derselben noch bis an
unsere Küsten treiben. Und nnn braucht man nur die große Masse der bisher
gemachten national-dramatischen Versuche zu überblicke», um in»c zu werte»,
wie schwer es ist, i» unserer Geschichte solche Momente allgemeiuverständlich zu
vermitteln. Wer mag behaupte», daß wir in der Traum- und Zaubcrsphäre
der wagnnsche» Musike-ramcn, deren Stoffe wir uns erst auf Umwegen künst¬
lich entdeckt haben, die hehre Kraft des Helalles, die unsre Nation aus ihrem
eignen Vorne schöpfen soll, gefunden hätte»? Wer will läugne», daß aus der
Fülle uuserer Salier- u»d Hvhenstaufcndrame» die Ausbeute äußerst gering/ ge¬
wesen ist? Und was die näher liegenden Jahrhunderte betrifft, so ist die
Schwierigkeit klar, die Zeit nach der Reformation, seit welcher sich Deutschland
in zwei Hälften gespalten hat, von denen wechselseitig die eine nahezu alles
als Schaden zu beklagen pflegt, was die andere als Fortichritt feiert, nicht ein¬
seitig in einem Parteilibell, sondern in einer givßen Idee, die jedes redliche
deutsche Gemüth wohlthätig nachzufühlen Vermochte, veisöhnend zu erfasse».
So besitzen wir belin von unsern drei classischen Drcunatikcr» eben auch »ur
drei im eigentliche» Si»»e nationale Diame»: Minna von Barnhelm, Götz von
Berlichitigen und Wallenstein. Schillclö großem Werke ist es freilich gelungen,
bei euren Stoffe mitten aus der gräßlichsten Zeit heraus das deutsche Volk
vom baltischen Meere bis zur Adria i» einem Hochgefühl auf echt nationaler
Grundlage zu eiliige», und damit die Bah» zu bezeichnen, auf der weiter gestrebt
weiden sollte, und vielleicht dürfe» wir von der politischen Erneuerung unsers
Volkes, die wir jetzt erlebe», Schöpfungen in solchem Sinne wieder hoffen.
Aber denken wir im Hinblick auf die vielen tauben Blüthen nicht zu gering
Von den Schwierigkeiten, die es bietet, und vergessen wir nicht, daß der Mo¬
ment großen polttischen Aufschwunges uns die Prophetien auch der antiken
Valellcmdsidec um so ve>ständlicher macht. Der antike Stoff von Lindners
Drama darf füglich nicht höhere Bedenken erregen als der Umstand, baß Schiller
ernst nationale» Gedanke», die von ihrer Zeit verstoßen zum Gedichte
Wehten mußten, zumeist an Schicksalen ausländischer Persönlichkeiten und Böller
Zur Wirkung kommen läßt.

Und zwar um so weniger, als grade oft in den antiken Stoffen, wie speciell
bei unserem Preisdrama, ein Motiv vorliegt, das zwar unser gegenwärtiges
Vewußtsein kaum mehr zu ertragen vermag, das aber grade darum ich


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[0241] die es zu einer bedeutenden Literatur gebracht haben, weist neben Schauspielen heimischen Stoffes immer zugleich auch Römcrdramen auf. Was ist denn über¬ haupt ein nationales Motiv? Doch nur ein Ereigniß oder ein Zustand, der mit unserem gegenwärtigen politischen oder Cultucbewußtsein in erkennbar noth¬ wendigen Zusammenhange steht, der in seiner damalige» Bedeutung sür die ganze Nation noch jetzt die ganze Nation ergreift; die Stürme, welche die Zeilen, denen er angehört, bewegte», müssen den Wogenschlag derselben noch bis an unsere Küsten treiben. Und nnn braucht man nur die große Masse der bisher gemachten national-dramatischen Versuche zu überblicke», um in»c zu werte», wie schwer es ist, i» unserer Geschichte solche Momente allgemeiuverständlich zu vermitteln. Wer mag behaupte», daß wir in der Traum- und Zaubcrsphäre der wagnnsche» Musike-ramcn, deren Stoffe wir uns erst auf Umwegen künst¬ lich entdeckt haben, die hehre Kraft des Helalles, die unsre Nation aus ihrem eignen Vorne schöpfen soll, gefunden hätte»? Wer will läugne», daß aus der Fülle uuserer Salier- u»d Hvhenstaufcndrame» die Ausbeute äußerst gering/ ge¬ wesen ist? Und was die näher liegenden Jahrhunderte betrifft, so ist die Schwierigkeit klar, die Zeit nach der Reformation, seit welcher sich Deutschland in zwei Hälften gespalten hat, von denen wechselseitig die eine nahezu alles als Schaden zu beklagen pflegt, was die andere als Fortichritt feiert, nicht ein¬ seitig in einem Parteilibell, sondern in einer givßen Idee, die jedes redliche deutsche Gemüth wohlthätig nachzufühlen Vermochte, veisöhnend zu erfasse». So besitzen wir belin von unsern drei classischen Drcunatikcr» eben auch »ur drei im eigentliche» Si»»e nationale Diame»: Minna von Barnhelm, Götz von Berlichitigen und Wallenstein. Schillclö großem Werke ist es freilich gelungen, bei euren Stoffe mitten aus der gräßlichsten Zeit heraus das deutsche Volk vom baltischen Meere bis zur Adria i» einem Hochgefühl auf echt nationaler Grundlage zu eiliige», und damit die Bah» zu bezeichnen, auf der weiter gestrebt weiden sollte, und vielleicht dürfe» wir von der politischen Erneuerung unsers Volkes, die wir jetzt erlebe», Schöpfungen in solchem Sinne wieder hoffen. Aber denken wir im Hinblick auf die vielen tauben Blüthen nicht zu gering Von den Schwierigkeiten, die es bietet, und vergessen wir nicht, daß der Mo¬ ment großen polttischen Aufschwunges uns die Prophetien auch der antiken Valellcmdsidec um so ve>ständlicher macht. Der antike Stoff von Lindners Drama darf füglich nicht höhere Bedenken erregen als der Umstand, baß Schiller ernst nationale» Gedanke», die von ihrer Zeit verstoßen zum Gedichte Wehten mußten, zumeist an Schicksalen ausländischer Persönlichkeiten und Böller Zur Wirkung kommen läßt. Und zwar um so weniger, als grade oft in den antiken Stoffen, wie speciell bei unserem Preisdrama, ein Motiv vorliegt, das zwar unser gegenwärtiges Vewußtsein kaum mehr zu ertragen vermag, das aber grade darum ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/241>, abgerufen am 22.12.2024.