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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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übrigen Staaten Deutschlands in Hannover zusammen behufs Berathung über
einen gemeinsamen deutschen Civilproceß. Preußen lehnte offenbar aus rein
politischen Gründen ab, diese Conferenz zu beschicken.

Sowohl von der bornemannschen Commission, zu welcher namentlich Pape
und Kühne gehörten, als von den Theilnehmern der Conferenz zu Hannover
sind Entwürfe einer Civilproceßordnung ausgearbeitet, welche seit zwei Jahren
der öffentlichen Beurtheilung vorliegen.

Beide Entwürfe beruhen im Ganzen durchaus auf denselben Grundsätzen.
Sie legen beide dem Proceßverfahren die Verhandlungsmaxime zu Grunde,
geben aber dem Richter das Recht der Proccßleitung, während die Parteien
den Betrieb des Processes haben; beide unterscheiden für die erste Instanz das
Verfahren vor dem Einzelrichtcr, welches nur bei geringfügigen Streitobjecten
stattfindet, und das vor Collegialgerichten; bei legerem Verfahren haben sieden
Anwaltszwang und überlassen den Parteien den Betrieb des Processes sowie
der Execution. In allen diesen Beziehungen sind beide Entwürfe durchaus im
Einklang mit dem rheinisch-französischen Processe; sie weichen von diesem letztern
jedoch -- und wie wir glauben, mit vollem Rechte -- in einem wesentlichen
Punkte ab; während nämlich das rheinisch-französische Verfahren gegen bloße
Bewcisurtheile Appellation zuläßt, erklären unsere beiden Entwürfe die Beweis-
resolute für nicht appellabel. In dieser Beziehung haben unsere Entwürfe die
Autorität unseres bisherigen preußischen Processes sowie des alten römischen
Rechts für sich, welches letztere bereits, um die Unzahl von Berufungen, die
nur zur Verzögerung dienen, abzuschneiden, das einfache Princip hatte, daß nur
gegen Endurtheile (äolinitiviKZ LLllt<Zirtig.k!) Appellation stattfinde; auch Waldeck
hatte in seinen vom Juristentage genehmigten Anträgen, welche offenbar vom
größten Einflüsse auf die Abfassung beider Entwürfe gewesen sind, sich gegen
die Appellabilität bloßer Zwischen- oder Bewcisurtheile ausgesprochen. --

Die Differenzen in Einzelheiten zwischen beiden Entwürfen können wir
hier nicht erörtern, sie sind sämmtlich unwesentlicher Natur; was die Form be¬
trifft, so verdient unstreitig der in Hannover ausgearbeitete Entwurf den Vor¬
zug vor dem preußische" EntWurfe, denn ersterer ist mit weit mehr Präcision
abgefaßt als der letztere; er zählt nur 684 Paragraphen, während der preu¬
ßische 1,389 zählt.

Nach Veröffentlichung des preußischen Entwurfs der Proccßordnung wurden
die Gerichte zum Bericht darüber aufgefordert.

Diese Berichte sind großentheils ungünstig für den Entwurf ausgefallen,
weil viele, namentlich unter den älteren Juristen die Mangelhaftigkeit unseres
jetzigen Verfahrens noch nicht genügend erkannt haben.

Unser jetzt geltender preußischer Civilproceß ist nicht ein einheitliches auf
nem Grundgedanken beruhendes Ganze, wie solches die carmcrsche Proceß^


übrigen Staaten Deutschlands in Hannover zusammen behufs Berathung über
einen gemeinsamen deutschen Civilproceß. Preußen lehnte offenbar aus rein
politischen Gründen ab, diese Conferenz zu beschicken.

Sowohl von der bornemannschen Commission, zu welcher namentlich Pape
und Kühne gehörten, als von den Theilnehmern der Conferenz zu Hannover
sind Entwürfe einer Civilproceßordnung ausgearbeitet, welche seit zwei Jahren
der öffentlichen Beurtheilung vorliegen.

Beide Entwürfe beruhen im Ganzen durchaus auf denselben Grundsätzen.
Sie legen beide dem Proceßverfahren die Verhandlungsmaxime zu Grunde,
geben aber dem Richter das Recht der Proccßleitung, während die Parteien
den Betrieb des Processes haben; beide unterscheiden für die erste Instanz das
Verfahren vor dem Einzelrichtcr, welches nur bei geringfügigen Streitobjecten
stattfindet, und das vor Collegialgerichten; bei legerem Verfahren haben sieden
Anwaltszwang und überlassen den Parteien den Betrieb des Processes sowie
der Execution. In allen diesen Beziehungen sind beide Entwürfe durchaus im
Einklang mit dem rheinisch-französischen Processe; sie weichen von diesem letztern
jedoch — und wie wir glauben, mit vollem Rechte — in einem wesentlichen
Punkte ab; während nämlich das rheinisch-französische Verfahren gegen bloße
Bewcisurtheile Appellation zuläßt, erklären unsere beiden Entwürfe die Beweis-
resolute für nicht appellabel. In dieser Beziehung haben unsere Entwürfe die
Autorität unseres bisherigen preußischen Processes sowie des alten römischen
Rechts für sich, welches letztere bereits, um die Unzahl von Berufungen, die
nur zur Verzögerung dienen, abzuschneiden, das einfache Princip hatte, daß nur
gegen Endurtheile (äolinitiviKZ LLllt<Zirtig.k!) Appellation stattfinde; auch Waldeck
hatte in seinen vom Juristentage genehmigten Anträgen, welche offenbar vom
größten Einflüsse auf die Abfassung beider Entwürfe gewesen sind, sich gegen
die Appellabilität bloßer Zwischen- oder Bewcisurtheile ausgesprochen. —

Die Differenzen in Einzelheiten zwischen beiden Entwürfen können wir
hier nicht erörtern, sie sind sämmtlich unwesentlicher Natur; was die Form be¬
trifft, so verdient unstreitig der in Hannover ausgearbeitete Entwurf den Vor¬
zug vor dem preußische» EntWurfe, denn ersterer ist mit weit mehr Präcision
abgefaßt als der letztere; er zählt nur 684 Paragraphen, während der preu¬
ßische 1,389 zählt.

Nach Veröffentlichung des preußischen Entwurfs der Proccßordnung wurden
die Gerichte zum Bericht darüber aufgefordert.

Diese Berichte sind großentheils ungünstig für den Entwurf ausgefallen,
weil viele, namentlich unter den älteren Juristen die Mangelhaftigkeit unseres
jetzigen Verfahrens noch nicht genügend erkannt haben.

Unser jetzt geltender preußischer Civilproceß ist nicht ein einheitliches auf
nem Grundgedanken beruhendes Ganze, wie solches die carmcrsche Proceß^


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[0228] übrigen Staaten Deutschlands in Hannover zusammen behufs Berathung über einen gemeinsamen deutschen Civilproceß. Preußen lehnte offenbar aus rein politischen Gründen ab, diese Conferenz zu beschicken. Sowohl von der bornemannschen Commission, zu welcher namentlich Pape und Kühne gehörten, als von den Theilnehmern der Conferenz zu Hannover sind Entwürfe einer Civilproceßordnung ausgearbeitet, welche seit zwei Jahren der öffentlichen Beurtheilung vorliegen. Beide Entwürfe beruhen im Ganzen durchaus auf denselben Grundsätzen. Sie legen beide dem Proceßverfahren die Verhandlungsmaxime zu Grunde, geben aber dem Richter das Recht der Proccßleitung, während die Parteien den Betrieb des Processes haben; beide unterscheiden für die erste Instanz das Verfahren vor dem Einzelrichtcr, welches nur bei geringfügigen Streitobjecten stattfindet, und das vor Collegialgerichten; bei legerem Verfahren haben sieden Anwaltszwang und überlassen den Parteien den Betrieb des Processes sowie der Execution. In allen diesen Beziehungen sind beide Entwürfe durchaus im Einklang mit dem rheinisch-französischen Processe; sie weichen von diesem letztern jedoch — und wie wir glauben, mit vollem Rechte — in einem wesentlichen Punkte ab; während nämlich das rheinisch-französische Verfahren gegen bloße Bewcisurtheile Appellation zuläßt, erklären unsere beiden Entwürfe die Beweis- resolute für nicht appellabel. In dieser Beziehung haben unsere Entwürfe die Autorität unseres bisherigen preußischen Processes sowie des alten römischen Rechts für sich, welches letztere bereits, um die Unzahl von Berufungen, die nur zur Verzögerung dienen, abzuschneiden, das einfache Princip hatte, daß nur gegen Endurtheile (äolinitiviKZ LLllt<Zirtig.k!) Appellation stattfinde; auch Waldeck hatte in seinen vom Juristentage genehmigten Anträgen, welche offenbar vom größten Einflüsse auf die Abfassung beider Entwürfe gewesen sind, sich gegen die Appellabilität bloßer Zwischen- oder Bewcisurtheile ausgesprochen. — Die Differenzen in Einzelheiten zwischen beiden Entwürfen können wir hier nicht erörtern, sie sind sämmtlich unwesentlicher Natur; was die Form be¬ trifft, so verdient unstreitig der in Hannover ausgearbeitete Entwurf den Vor¬ zug vor dem preußische» EntWurfe, denn ersterer ist mit weit mehr Präcision abgefaßt als der letztere; er zählt nur 684 Paragraphen, während der preu¬ ßische 1,389 zählt. Nach Veröffentlichung des preußischen Entwurfs der Proccßordnung wurden die Gerichte zum Bericht darüber aufgefordert. Diese Berichte sind großentheils ungünstig für den Entwurf ausgefallen, weil viele, namentlich unter den älteren Juristen die Mangelhaftigkeit unseres jetzigen Verfahrens noch nicht genügend erkannt haben. Unser jetzt geltender preußischer Civilproceß ist nicht ein einheitliches auf nem Grundgedanken beruhendes Ganze, wie solches die carmcrsche Proceß^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/228>, abgerufen am 27.09.2024.