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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Es war im Jahre 1848 auch die Absicht gewesen, ein neues Gerichts¬
verfahren für den ganzen preußischen Staat einzuführen. Im Auftrage des
Justizministers Bornemann hatte Koch, anerkannt der ausgezeichnetste Schrift¬
steller über preußisches Recht, sich dieser Aufgabe unterzogen und bereits 'zu
Anfang 1849 den Entwurf einer Proceßordnung und Gerichtsverfassung ver¬
öffentlicht. Auch Koch hatte wie Reinhardt im Wesentlichen überall die Be¬
stimmungen des rheinisch-französischen Civilprvccsses adoptirt; auch sein Entwurf
ward jedoch nicht eingeführt und blieb, so werthvoll er war, in der juristischen
Literatur wenig beachtet. --

Als der deutsche Juristentag im Jahre 1859 in Berlin zusammentrat, stellte
Waldeck den Antrag, die Versammlung möge sich für Einführung einer gemein¬
samen deutschen Civilprvceßordnung aussprechen. Dieser Antrag fand allgemeine
Zustimmung. Waldeck hatte zugleich fünf Sätze als zu beachtende Normen des
Civilprocesses vorgelegt, indem er in der Hauptsache sich an den reinhardtschen
Entwurf vom Jahre 1827 anschloß und dessen Motive in seinem schriftlichen
Antrage zum Theil wörtlich allegirte.

Ueber die fünf von Waldeck aufgestellten Grundlagen des Civilprocesses
entspann sich eine sehr interessante Debatte, die zum Theil noch auf dem zweiten
Juristentag zu Dresden fortgesetzt ward und zuletzt mit Billigung des ganzen
waldeckschen Antrages schloß.

Es stellte sich bei dieser Debatte heraus, daß die Juristen der verschiedenen
deutschen Länder einander kaum verstanden, so z. B. faßten die hannoverschen
Juristen den Begriff eines Beweisrcsoluts ganz anders auf als die preußischen;
es zeigte sich aber auch ferner, daß von allen deutschen Juristen nur die
Hannoveraner und Rheinländer mit dem bei ihnen gellenden Processe zufrieden
waren.

Folge dieser Debatten war es hauptsächlich, daß die hannoversche Proce߬
ordnung vom 8. November 1850 in ganz Deutschland bekannt wurde. Sie ist
in der Hauptsache der genfer Proceßordnung nachgebildet, welche letztere eine
Bearbeitung des französischen Processes ist. Als Hauptvcrsasser der hannover¬
schen Proceßvrdnung gilt Leonhardt, weiland hannoverscher Justizminister.

Die Verhandlungen des deutschen Juristentages gaben nun Veranlassung,
daß durch Cabinetsordre vom 25. Februar 1861 in unserem Staate unter dem
Vorsitz des ehemaligen Justizministers Bornemann eine Commission gebildet
wurde, um, wie es in der Cabinetsordre heißt, "eine Civilproceßordnung aus¬
zuarbeiten, die sich >zur Einführung in allen Landestheile der Monarchie und
womöglich auch zur Herbeiführung einer gemeinsamen deutschen Gesetzgebung
eigne."

Kaum hatte diese Commission ihr Werk begonnen, so traten auf Ver¬
anlassung des deutschen Bundestags Abgesandte von Oestreich und den meisten


Grenzboten I. 1867. 28

Es war im Jahre 1848 auch die Absicht gewesen, ein neues Gerichts¬
verfahren für den ganzen preußischen Staat einzuführen. Im Auftrage des
Justizministers Bornemann hatte Koch, anerkannt der ausgezeichnetste Schrift¬
steller über preußisches Recht, sich dieser Aufgabe unterzogen und bereits 'zu
Anfang 1849 den Entwurf einer Proceßordnung und Gerichtsverfassung ver¬
öffentlicht. Auch Koch hatte wie Reinhardt im Wesentlichen überall die Be¬
stimmungen des rheinisch-französischen Civilprvccsses adoptirt; auch sein Entwurf
ward jedoch nicht eingeführt und blieb, so werthvoll er war, in der juristischen
Literatur wenig beachtet. —

Als der deutsche Juristentag im Jahre 1859 in Berlin zusammentrat, stellte
Waldeck den Antrag, die Versammlung möge sich für Einführung einer gemein¬
samen deutschen Civilprvceßordnung aussprechen. Dieser Antrag fand allgemeine
Zustimmung. Waldeck hatte zugleich fünf Sätze als zu beachtende Normen des
Civilprocesses vorgelegt, indem er in der Hauptsache sich an den reinhardtschen
Entwurf vom Jahre 1827 anschloß und dessen Motive in seinem schriftlichen
Antrage zum Theil wörtlich allegirte.

Ueber die fünf von Waldeck aufgestellten Grundlagen des Civilprocesses
entspann sich eine sehr interessante Debatte, die zum Theil noch auf dem zweiten
Juristentag zu Dresden fortgesetzt ward und zuletzt mit Billigung des ganzen
waldeckschen Antrages schloß.

Es stellte sich bei dieser Debatte heraus, daß die Juristen der verschiedenen
deutschen Länder einander kaum verstanden, so z. B. faßten die hannoverschen
Juristen den Begriff eines Beweisrcsoluts ganz anders auf als die preußischen;
es zeigte sich aber auch ferner, daß von allen deutschen Juristen nur die
Hannoveraner und Rheinländer mit dem bei ihnen gellenden Processe zufrieden
waren.

Folge dieser Debatten war es hauptsächlich, daß die hannoversche Proce߬
ordnung vom 8. November 1850 in ganz Deutschland bekannt wurde. Sie ist
in der Hauptsache der genfer Proceßordnung nachgebildet, welche letztere eine
Bearbeitung des französischen Processes ist. Als Hauptvcrsasser der hannover¬
schen Proceßvrdnung gilt Leonhardt, weiland hannoverscher Justizminister.

Die Verhandlungen des deutschen Juristentages gaben nun Veranlassung,
daß durch Cabinetsordre vom 25. Februar 1861 in unserem Staate unter dem
Vorsitz des ehemaligen Justizministers Bornemann eine Commission gebildet
wurde, um, wie es in der Cabinetsordre heißt, „eine Civilproceßordnung aus¬
zuarbeiten, die sich >zur Einführung in allen Landestheile der Monarchie und
womöglich auch zur Herbeiführung einer gemeinsamen deutschen Gesetzgebung
eigne."

Kaum hatte diese Commission ihr Werk begonnen, so traten auf Ver¬
anlassung des deutschen Bundestags Abgesandte von Oestreich und den meisten


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[0227] Es war im Jahre 1848 auch die Absicht gewesen, ein neues Gerichts¬ verfahren für den ganzen preußischen Staat einzuführen. Im Auftrage des Justizministers Bornemann hatte Koch, anerkannt der ausgezeichnetste Schrift¬ steller über preußisches Recht, sich dieser Aufgabe unterzogen und bereits 'zu Anfang 1849 den Entwurf einer Proceßordnung und Gerichtsverfassung ver¬ öffentlicht. Auch Koch hatte wie Reinhardt im Wesentlichen überall die Be¬ stimmungen des rheinisch-französischen Civilprvccsses adoptirt; auch sein Entwurf ward jedoch nicht eingeführt und blieb, so werthvoll er war, in der juristischen Literatur wenig beachtet. — Als der deutsche Juristentag im Jahre 1859 in Berlin zusammentrat, stellte Waldeck den Antrag, die Versammlung möge sich für Einführung einer gemein¬ samen deutschen Civilprvceßordnung aussprechen. Dieser Antrag fand allgemeine Zustimmung. Waldeck hatte zugleich fünf Sätze als zu beachtende Normen des Civilprocesses vorgelegt, indem er in der Hauptsache sich an den reinhardtschen Entwurf vom Jahre 1827 anschloß und dessen Motive in seinem schriftlichen Antrage zum Theil wörtlich allegirte. Ueber die fünf von Waldeck aufgestellten Grundlagen des Civilprocesses entspann sich eine sehr interessante Debatte, die zum Theil noch auf dem zweiten Juristentag zu Dresden fortgesetzt ward und zuletzt mit Billigung des ganzen waldeckschen Antrages schloß. Es stellte sich bei dieser Debatte heraus, daß die Juristen der verschiedenen deutschen Länder einander kaum verstanden, so z. B. faßten die hannoverschen Juristen den Begriff eines Beweisrcsoluts ganz anders auf als die preußischen; es zeigte sich aber auch ferner, daß von allen deutschen Juristen nur die Hannoveraner und Rheinländer mit dem bei ihnen gellenden Processe zufrieden waren. Folge dieser Debatten war es hauptsächlich, daß die hannoversche Proce߬ ordnung vom 8. November 1850 in ganz Deutschland bekannt wurde. Sie ist in der Hauptsache der genfer Proceßordnung nachgebildet, welche letztere eine Bearbeitung des französischen Processes ist. Als Hauptvcrsasser der hannover¬ schen Proceßvrdnung gilt Leonhardt, weiland hannoverscher Justizminister. Die Verhandlungen des deutschen Juristentages gaben nun Veranlassung, daß durch Cabinetsordre vom 25. Februar 1861 in unserem Staate unter dem Vorsitz des ehemaligen Justizministers Bornemann eine Commission gebildet wurde, um, wie es in der Cabinetsordre heißt, „eine Civilproceßordnung aus¬ zuarbeiten, die sich >zur Einführung in allen Landestheile der Monarchie und womöglich auch zur Herbeiführung einer gemeinsamen deutschen Gesetzgebung eigne." Kaum hatte diese Commission ihr Werk begonnen, so traten auf Ver¬ anlassung des deutschen Bundestags Abgesandte von Oestreich und den meisten Grenzboten I. 1867. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/227>, abgerufen am 27.09.2024.