Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.ordnung bei allen ihren sonstigen Fehlern war, sondern er ist eine schlecht zu¬ Vergleichen wir in dieser Beziehung einmal die Rheinprovinz mit den übrigen Mit der außerordentlich großen Zahl unserer Richter hängt es wieder zu¬ Zur Zeit bestehen bei uns noch die von Carmcr herrührenden Bestimmungen 28*
ordnung bei allen ihren sonstigen Fehlern war, sondern er ist eine schlecht zu¬ Vergleichen wir in dieser Beziehung einmal die Rheinprovinz mit den übrigen Mit der außerordentlich großen Zahl unserer Richter hängt es wieder zu¬ Zur Zeit bestehen bei uns noch die von Carmcr herrührenden Bestimmungen 28*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190388"/> <p xml:id="ID_793" prev="#ID_792"> ordnung bei allen ihren sonstigen Fehlern war, sondern er ist eine schlecht zu¬<lb/> sammengefügte Verbindung der verschiedenartigsten, zum Theil einander wider¬<lb/> sprechenden Principien. Nichts ist z. B. seltsamer als die mündliche Verhand¬<lb/> lung in erster Instanz, wie sie jetzt bei uns stattfindet. Nach geschehenem<lb/> Schriftwechsel erscheinen die Parteien in Person oder durch ihre Anwälte vor<lb/> dem erkennenden Gerichte. Nun aber tragen nicht etwa die Parteien selbst ihre<lb/> Behauptungen und Anträge dem Gerichte vor, sondern einer der Richter liest<lb/> oder trägt ihnen vor, was bisher an factischen Behauptungen und Anträgen<lb/> der Parteien in den Acten enthalten ist. Hierauf dürfen die Parteien ihre<lb/> Nechtsausführungcn vortragen und das Gericht faßt dann seinen Beschluß. Mit<lb/> dem Proccßverfahren steht nun auch die Gerichtsverfassung in nächster Ver¬<lb/> bindung. Eine Folge unseres jetzigen Proceßvcrfahrens und allerdings auch<lb/> unserer Vormundschaftsordnung, welche in echt bureaukratischer Weise die ganze<lb/> Leitung der Vormundschaft in die Hände des Gerichts legt, ist daher auch die,<lb/> daß kein Staat verhältnißmäßig so viel Richter und so wenig Anwälte zählt<lb/> als unsere sogenannten alten Provinzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_794"> Vergleichen wir in dieser Beziehung einmal die Rheinprovinz mit den übrigen<lb/> Provinzen. Nach der officiellen Zusammenstellung im Ministerialblatt von 18S8<lb/> S. 300 betrug damals die Zahl der Richter und Directoren bei sämmtlichen Ge¬<lb/> richten erster Instanz in den sieben alten Provinzen 2,603. während die Zahl<lb/> der Rechtsanwälte und Notare in diesen Provinzen 1,100 betrug. In der Rhein-<lb/> Provinz dagegen waren bei den Landgerichten 108, bei den Friedensgcrichten<lb/> 123 richterliche Beamte angestellt, und bei diesen Gerichten fungirten 138 Nechts-<lb/> anwcilte und 227 Notare. Es ist also in der Rheinprovinz die Zahl der An¬<lb/> wälte und Notare erheblich größer als die der Richter, während sie in den<lb/> alten Provinzen noch nicht die Hälfte der Zahl der Richter erreicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_795"> Mit der außerordentlich großen Zahl unserer Richter hängt es wieder zu¬<lb/> sammen, daß ihre Besoldung eine äußerst kärgliche ist, während die Anwälte<lb/> der alten Provinzen, da sie nicht auf ein festes Gehalt, sondern auf-Gebühren<lb/> angewiesen sind, meistens ein genügendes Auskommen haben. Die natürliche<lb/> Folge davon ist, daß in unseren alten Provinzen die Anwaltsstellen weit ge¬<lb/> suchter sind als die Nichterstcllen. Während in fast allen anderen Staaten die<lb/> Abvocatur als Vorbereitung zum Nichteramte gilt, betrachten bei uns sehr viele<lb/> der tüchtigsten Richter ihr Amt nur als eine Durchgangsstellung, welche sie eine<lb/> Zeit lang einnehmen müssen, um Advocaten werden zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_796" next="#ID_797"> Zur Zeit bestehen bei uns noch die von Carmcr herrührenden Bestimmungen<lb/> Zu Recht, wodurch jedem Juristen, der sich dem Staatsdienste widmet, die<lb/> Examina besteht und sich nichts Ehrenrühriges zu Schulden kommen läßt,<lb/> Anstellung als Richter versprochen wird. Diese Anstellung kann daher<lb/> der Justizminister gesetzlich eurem unbescholtenen Assessor uicht versagen;</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 28*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0229]
ordnung bei allen ihren sonstigen Fehlern war, sondern er ist eine schlecht zu¬
sammengefügte Verbindung der verschiedenartigsten, zum Theil einander wider¬
sprechenden Principien. Nichts ist z. B. seltsamer als die mündliche Verhand¬
lung in erster Instanz, wie sie jetzt bei uns stattfindet. Nach geschehenem
Schriftwechsel erscheinen die Parteien in Person oder durch ihre Anwälte vor
dem erkennenden Gerichte. Nun aber tragen nicht etwa die Parteien selbst ihre
Behauptungen und Anträge dem Gerichte vor, sondern einer der Richter liest
oder trägt ihnen vor, was bisher an factischen Behauptungen und Anträgen
der Parteien in den Acten enthalten ist. Hierauf dürfen die Parteien ihre
Nechtsausführungcn vortragen und das Gericht faßt dann seinen Beschluß. Mit
dem Proccßverfahren steht nun auch die Gerichtsverfassung in nächster Ver¬
bindung. Eine Folge unseres jetzigen Proceßvcrfahrens und allerdings auch
unserer Vormundschaftsordnung, welche in echt bureaukratischer Weise die ganze
Leitung der Vormundschaft in die Hände des Gerichts legt, ist daher auch die,
daß kein Staat verhältnißmäßig so viel Richter und so wenig Anwälte zählt
als unsere sogenannten alten Provinzen.
Vergleichen wir in dieser Beziehung einmal die Rheinprovinz mit den übrigen
Provinzen. Nach der officiellen Zusammenstellung im Ministerialblatt von 18S8
S. 300 betrug damals die Zahl der Richter und Directoren bei sämmtlichen Ge¬
richten erster Instanz in den sieben alten Provinzen 2,603. während die Zahl
der Rechtsanwälte und Notare in diesen Provinzen 1,100 betrug. In der Rhein-
Provinz dagegen waren bei den Landgerichten 108, bei den Friedensgcrichten
123 richterliche Beamte angestellt, und bei diesen Gerichten fungirten 138 Nechts-
anwcilte und 227 Notare. Es ist also in der Rheinprovinz die Zahl der An¬
wälte und Notare erheblich größer als die der Richter, während sie in den
alten Provinzen noch nicht die Hälfte der Zahl der Richter erreicht.
Mit der außerordentlich großen Zahl unserer Richter hängt es wieder zu¬
sammen, daß ihre Besoldung eine äußerst kärgliche ist, während die Anwälte
der alten Provinzen, da sie nicht auf ein festes Gehalt, sondern auf-Gebühren
angewiesen sind, meistens ein genügendes Auskommen haben. Die natürliche
Folge davon ist, daß in unseren alten Provinzen die Anwaltsstellen weit ge¬
suchter sind als die Nichterstcllen. Während in fast allen anderen Staaten die
Abvocatur als Vorbereitung zum Nichteramte gilt, betrachten bei uns sehr viele
der tüchtigsten Richter ihr Amt nur als eine Durchgangsstellung, welche sie eine
Zeit lang einnehmen müssen, um Advocaten werden zu können.
Zur Zeit bestehen bei uns noch die von Carmcr herrührenden Bestimmungen
Zu Recht, wodurch jedem Juristen, der sich dem Staatsdienste widmet, die
Examina besteht und sich nichts Ehrenrühriges zu Schulden kommen läßt,
Anstellung als Richter versprochen wird. Diese Anstellung kann daher
der Justizminister gesetzlich eurem unbescholtenen Assessor uicht versagen;
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