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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Aufregung im französischen Volk und mehrt dem Kaiser Napoleon die Schwierig¬
keiten seiner Stellung.

Wir betrachten die politischen Erfindungen deS Kaisers nicht immer mit
Sympathie, aber mit der Achtung, welche ein kluger und kühn combinirendcr
Wille sich erzwingt. Es wird uns schwer, bei den neuen Verfassungsänderungen
des Kaisers die oft bewährte Überlegenheit seines Urtheils zu erkennen. Die
Abschaffung der Adreßdcbatte und die sehr beschränkte Wiederherstellung des Jn-
terpellationsrechts erscheinen in der Ferne wie kleines Flickwerk, womit ein hin¬
fälliger Bau für das nächste Bedürfniß des Tages gestützt werden soll. Auch
der Wechsel im Ministerium, gleichviel ob er nothwendig war, oder ob er nur als
dramatischer Effect für zweckmäßig erachtet wurde, wird schwerlich die Franzosen
versöhnen. Achtzehn Jahre hat der Kaiser gearbeitet, zuerst sich selbst, dann
auch sein Haus in Frankreich festzusetzen. Er hat den Franzosen eine Anzahl
glänzender Überraschungen und Erfolge bereitet, er hat ihnen auch unläugbar
die wichtigsten nationalökonomischen Fortschritte aufgezwungen, und doch ficht
es aus, als ob der Imperialismus, das System seines Hauses, das so gut auf
Schwächen und Vorzüge der Nation berechnet war, und auf die Verhältnisse,
welche dort die Revolution des vorigen Jahrhunderts geschaffen, noch bei Leb¬
zeiten Napoleons des Dritten ein greisenhaftes Antlitz annehmen sollte. Auch
ihn trifft das Schicksal, welches keinem thatenreichen Politiker erspart bleibt: die
Folgen frühern Thuns legen sich belastend um sein Haupt und beschränken ihm
die Freiheit des Handelns. Der innere Widerspruch beengt, welcher 'zwischen
dem demokratischen Schein seiner Herrschaft und der minutiösen Vielrcgicrerei
und Fesselung der öffentlichen Meinung von je vorhanden war, und die kaiser¬
liche Partei beengt, die zahlreichen Menschen, welche als Diener seines Systems
heraufgekommen sind und seine Werkzeuge und Berather darstellen. Seine Me-
thode, zu regieren, der große Wurf seiner überraschenden Einfälle haben für die
Franzosen einen Theil des blendenden Reizes verloren, sogar Erfolge und Siege
haben verwöhnt, und einzelne Fälle, in denen er entweder unrichtig combinirte, wie
in Mexico, oder größer urtheilte als sein Volk, wie in Italien und Deutschland, er¬
regen eine unverhältnißmäßige Mißstimmung. Wieder ist es ein Glück für Deutsch¬
land, daß der Kaiser durch die allgemeine Ausstellung seinen Franzosen ein
Friedensjahr proclamirt hat, und nicht geringeres Glück, daß die militärischen
Erfolge Preußens eine Umgestaltung des französischen Heeres nothwendig er¬
scheinen ließen. Aber wir wissen wohl, daß wir solchem Frieden nicht fest ver.
trauen dürfen. Sorgfältig lauscht der Kaiser auf jeden Athemzug Frankreichs
und auf jedes Geräusch, das der Telegraph in sein Gehcimzimmer leitet. Seine
Herrschaft beruht darauf, daß er dies stille Gemurmel richtig deutet und durch
eine plötzlich hervortretende Idee dasselbe übcrherrscht. Er ist im vorigen Jahre


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Aufregung im französischen Volk und mehrt dem Kaiser Napoleon die Schwierig¬
keiten seiner Stellung.

Wir betrachten die politischen Erfindungen deS Kaisers nicht immer mit
Sympathie, aber mit der Achtung, welche ein kluger und kühn combinirendcr
Wille sich erzwingt. Es wird uns schwer, bei den neuen Verfassungsänderungen
des Kaisers die oft bewährte Überlegenheit seines Urtheils zu erkennen. Die
Abschaffung der Adreßdcbatte und die sehr beschränkte Wiederherstellung des Jn-
terpellationsrechts erscheinen in der Ferne wie kleines Flickwerk, womit ein hin¬
fälliger Bau für das nächste Bedürfniß des Tages gestützt werden soll. Auch
der Wechsel im Ministerium, gleichviel ob er nothwendig war, oder ob er nur als
dramatischer Effect für zweckmäßig erachtet wurde, wird schwerlich die Franzosen
versöhnen. Achtzehn Jahre hat der Kaiser gearbeitet, zuerst sich selbst, dann
auch sein Haus in Frankreich festzusetzen. Er hat den Franzosen eine Anzahl
glänzender Überraschungen und Erfolge bereitet, er hat ihnen auch unläugbar
die wichtigsten nationalökonomischen Fortschritte aufgezwungen, und doch ficht
es aus, als ob der Imperialismus, das System seines Hauses, das so gut auf
Schwächen und Vorzüge der Nation berechnet war, und auf die Verhältnisse,
welche dort die Revolution des vorigen Jahrhunderts geschaffen, noch bei Leb¬
zeiten Napoleons des Dritten ein greisenhaftes Antlitz annehmen sollte. Auch
ihn trifft das Schicksal, welches keinem thatenreichen Politiker erspart bleibt: die
Folgen frühern Thuns legen sich belastend um sein Haupt und beschränken ihm
die Freiheit des Handelns. Der innere Widerspruch beengt, welcher 'zwischen
dem demokratischen Schein seiner Herrschaft und der minutiösen Vielrcgicrerei
und Fesselung der öffentlichen Meinung von je vorhanden war, und die kaiser¬
liche Partei beengt, die zahlreichen Menschen, welche als Diener seines Systems
heraufgekommen sind und seine Werkzeuge und Berather darstellen. Seine Me-
thode, zu regieren, der große Wurf seiner überraschenden Einfälle haben für die
Franzosen einen Theil des blendenden Reizes verloren, sogar Erfolge und Siege
haben verwöhnt, und einzelne Fälle, in denen er entweder unrichtig combinirte, wie
in Mexico, oder größer urtheilte als sein Volk, wie in Italien und Deutschland, er¬
regen eine unverhältnißmäßige Mißstimmung. Wieder ist es ein Glück für Deutsch¬
land, daß der Kaiser durch die allgemeine Ausstellung seinen Franzosen ein
Friedensjahr proclamirt hat, und nicht geringeres Glück, daß die militärischen
Erfolge Preußens eine Umgestaltung des französischen Heeres nothwendig er¬
scheinen ließen. Aber wir wissen wohl, daß wir solchem Frieden nicht fest ver.
trauen dürfen. Sorgfältig lauscht der Kaiser auf jeden Athemzug Frankreichs
und auf jedes Geräusch, das der Telegraph in sein Gehcimzimmer leitet. Seine
Herrschaft beruht darauf, daß er dies stille Gemurmel richtig deutet und durch
eine plötzlich hervortretende Idee dasselbe übcrherrscht. Er ist im vorigen Jahre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/205>, abgerufen am 02.10.2024.